Sehr geehrter Ratsuchender,
1.
Leider stehen Ihnen zu Lebzeiten Ihrer Eltern keinerlei erbrechtliche Ansprüche zu, die einen Zugriff auf deren Vermögen erlauben, auch nicht soweit Bestandteile dieses Vermögens bereits übertragen wurden.
Mit der Hausübertragung an Ihre Schwester ist zwar nicht zwangsläufig auch eine Enterbung verbunden (diese müsste in Form einer letztwilligen Verfügung Ihrer Eltern vorliegen), jedoch haben Sie auch als gesetzlicher Erbe keine rechtliche Möglichkeit, vor dem Ableben eines der Elternteile vorzeitig einen Ausgleich zu verlangen.
2.
Deshalb macht es derzeit keinen Sinn, an Ihre Schwester heranzutreten und Ihren „Anteil“ einzufordern.
Ihnen steht aber im Erbfall gegebenenfalls ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 Abs. 1 BGB
gegen Ihre Schwester zu.
Nach dieser Vorschrift können Sie nach dem Ableben eines der Elternteile denjenigen Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand (bzw. der Anteil des verstorbenen Elternteils hieran) dem Nachlass hinzugerechnet wird.
Sie können diesen Anspruch auch dann geltend machen, wenn Sie selbst erbberechtigt sind, wie § 2326 BGB
klarstellt, also nicht nur dann, wenn Sie auf Pflichtteilsansprüche verwiesen werden (also nicht nur im Falle der ausdrücklichen Enterbung oder wenn Sie in einem Testament nicht berücksichtigt werden).
Dieser Anspruch ist rein schuldrechtlicher Natur und verschafft Ihnen daher nur das Recht auf Auszahlung eines Geldbetrages. Miteigentumsanteile stehen Ihnen dagegen nicht zu.
3.
Nachdem es sich hier wegen des vorbehaltenen lebenslangen Nießbrauchs um eine gemischte Schenkung handelt, gestaltet sich die Bewertung wie folgt:
Die Schenkung wird nur in dem Unfang berücksichtigt, in dem der Wert des verschenkten Grundstücks den Wert der kapitalisierten Nutzung übersteigt (BGHZ 118, 49
) – bei der Kapitalisierung wird der tatsächliche Wohnwert abzüglich der monatlichen Aufwendungen mit der damaligen konkreten Lebenserwartung des Schenkers multipliziert.
Wie Sie richtig vermuten, kann es durchaus vorkommen, dass der so ermittelte Restwert gegen Null strebt. Allerdings ist der Wert unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes auf den Todeszeitpunkt hochzurechnen.
Ausnahmsweise kann es auch aufgrund des Niederstwertprinzips (§ 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB
) dazu kommen, dass das Nutzungsrecht völlig unberücksichtigt bleibt, nämlich dann, wenn das Grundstück ohne Berücksichtigung des Nießbrauchs zur Zeit des Erbfalls weniger wert ist als zur Zeit der Schenkung (BGHZ 125, 395
).
4.
Die Sache hat leider einen großen Haken:
Gemäß § 2325 Abs. 3 BGB
können nämlich solche Schenkungen mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden, die vom Erbfall zurückgerechnet mindestens zehn Jahre zurückliegen.
Es kann also dazu kommen, dass Sie letztlich doch faktisch „enterbt“ werden, jedenfalls hinsichtlich der Immobilie.
Möglich ist auch, dass ein Elternteil vor Ablauf der Zehn-Jahres-Frist verstirbt und der andere Elternteil erst danach, so dass Ihnen die Ansprüche noch ungefähr zur Hälfte zustehen.
5.
Mit dem Erbfall des zweiten Elternteils erlischt gemäß § 1061 BGB
auch das Nießbrauchsrecht, so dass die Belastung des Grundstücks dann gänzlich wegfällt. Dies hat zur Folge, dass Ihre Schwester dann allein über das Grundstück verfügen kann.
Erbrechtliche Ansprüche können Sie dann entweder aufgrund eines Testaments oder als gesetzlicher Erbe geltend machen, aber nur hinsichtlich des dann noch im Nachlass vorhandenen Vermögens.
6.
Sie sind dann wiederum auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 Abs. 1 BGB
beschränkt.
Dieser verjährt gemäß § 2332 Abs. 1 BGB
in drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt, in dem Sie von dem Eintritt des Erbfalls und der Schenkung Kenntnis erlangt haben.
Ich hoffe, meine Antwort hat die rechtliche Situation für Sie transparent gemacht.
Gerne können Sie sich über die Nachfragefunktion erneut an mich wenden, wenn Ihnen noch nicht alles klar geworden ist, ebenso falls ich einen für Sie bedeutsamen Punkt übersehen habe.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfram Geyer
Rechtsanwalt
Gemäß § 2325 Abs. 3 BGB
können nämlich solche Schenkungen mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden, die vom Erbfall zurückgerechnet mindestens zehn Jahre zurückliegen.
Wann beginnt diese Zehnjahresfrist, vom Zeitpunkt der tatsächlichen Schenkung oder vom Zeitpunkt, an dem ich davon in Kenntnis gesetzt wurde?
Sehr geehrter Ratsuchender,
nach dem Wortlaut des hier maßgeblichen § 2325 Abs. 3 BGB
kommt es auf den Zeitpunkt der „Leistung des verschenkten Gegenstands“ an und nicht auf den Zeitpunkt, in dem Sie von der Schenkung erfahren haben. (Auf die Kenntnis kommt es nur bei der Verjährungsfrist des § 2332 BGB
an.)
Entscheidend ist daher der Zeitpunkt, in dem die Übertragung des Rechts vollzogen wird. Bei Immobilien ist dies nach herrschender Rechtsansicht gemäß § 873 Abs. 1 BGB
die Umschreibung im Grundbuch (BGHZ 102, 289
).
Mit freundlichen Grüßen
Wolfram Geyer
Rechtsanwalt
Sehr geehrter Ratsuchender,
nachdem ich von dritter Seite aus darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich bei der Antwort ein wichtiges Detail Ihrer Sachverhaltsschilderung übersehen habe, möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen:
Entgegen meiner Auskunft bezüglich § 2325 Abs. 3 BGB
verhält es sich hier so, dass die 10-Jahres-Frist noch gar nicht angelaufen ist, und zwar deshalb, weil sich die Eltern ein lebenslanges Wohnrecht bzw. einen Nießbrauch vorbehalten haben. In diesem Fall geht die Rechtsprechung nämlich davon aus, dass der Schenker aufgrund des Vorbehalts noch keinen so intensiven Vermögensverlust hinzunehmen hat, dass er die Folgen selbst noch 10 Jahre lang zu tragen hätte (BGH, NJW 1994, 1791
).
Mit freundlichen Grüßen
Wolfram Geyer
Rechtsanwalt