Sehr geehrter Fragesteller,
zu Ihrer Anfrage nehme ich wie folgt Stellung:
1.
Wenn das Nachlaßvermögen (im Sinne des Reinnachlasses) mit 690.000 DM, entsprechend etwa 352.800 € zutreffend ermittelt worden ist, wäre die Berechnung des Pflichtteils korrekt.
Ich unterstelle, daß die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben. Damit erben, gesetzliche Erbfolge unterstellt, Hella zu 1/2 und die Kinder von Horst, Ludwig und Dorothee, ebenfalls zu 1/2. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, so daß die Kinder 1/4 erhalten. Dorothee hat mithin Anspruch auf 1/8, dies sind rund 44.000 €.
Allerdings sollte geprüft werden, ob der Nachlaß tatsächlich richtig ermittelt worden ist. So stellt sich die Frage, ob neben den Aktiva auch die Passiva Berücksichtigung gefunden haben. Die Passiva (Erblasserschulden, Bestattungskosten) sind vom Aktivnachlaß abzuziehen.
Sodann stellt sich die Frage, ob hier nicht Kosten für die Betreuung des Erblassers berücksichtigt werden müssen. Die Sachverhaltsschilderung spricht jedenfalls dafür.
Der Pflegeaufwand könnte folgendermaßen berechnet werden:
Zu ermitteln ist zunächst die Pflegezeit. D. h. man müßte rekonstruieren, wieviele Stunden Hella ihren Ehemann pro Tag gepflegt hat. Dieser Pflegeaufwand ist sodann auf die Jahre der Pflege hochzurechnen. Pro Stunde kann man mindestens 10 € ansetzen. Der Geldbetrag für die erbrachten Pflegeleistungen ist sodann vom Aktivnachlaß abzuziehen.
2.
Schenkungen gehören zum fiktiven Nachlaß gem. § 2325 BGB
.
Damit ist zu fragen, ob der Erblasser innerhalb von 10 Jahren vor seinem Tod Schenkungen erbracht hat. Das Haus, das 1994 an Hella verschenkt worden ist, liegt außerhalb der Frist von 10 Jahren mit der Folge, daß es nicht zum Nachlaß des Erblassers gehört und damit auch bei der Berechnung des Pflichtteils keine Berücksichtigung findet.
3.
Diejenigen Hausratsgegenstände, die Hella in die Ehe eingebracht hat, stehen in ihrem Eigentum und gehören nicht zum Nachlaß.
Der Hausrat, der im Eigentum des Erblassers stand, ist dagegen zu berücksichtigen.
Nicht zum Hausrat gehören fest mit dem Haus verbundene Teile, wie z. B. die Fenster. Diese sind damit nicht losgelöst vom Haus zu bewerten und finden bei der Pflichtteilsberechnung ebenfalls keine Berücksichtigung.
4.
Die gemeinsame Reise ist bei der Berechnung des Pflichtteils ebenfalls nicht zu berücksichtigen.
5.
Hella darf von ihrem Geld einem ihrer Kinder einen Gebrauchtwagen schenken. Aus dem im Sachverhalt geschilderten Testament ergibt sich nichts Gegenteiliges.
6.
Nach Hellas Tod erben die Kinder von Horst nicht, da sie nicht gesetzliche Erben von Hella sind.
7.
Hellas Kinder sind nicht Erben von Horst. Derzeit haben sie folglich keine Ansprüche. Sie werden erst Erben nach dem Tod ihrer Mutter.
Das Testament ist bezüglich der Schlußerben eindeutig: Wird der Pflichtteil verlangt, sollen die Schlußerben, die den Pflichtteil geltend machen, nichts erhalten.
8.
Bezüglich des Nießbrauchsrechts ist dessen Kapitalwert zu errechnen. Grob gesagt, ist der Wert des Nießbrauchs umso höher, je höher der Verkehrswert des Grundstücks ist. Diesbezüglich rate ich, ggf. ein Gutachten (z. B. des Gutachterausschusses) einzuholen, wenn eine einvernehmliche Regelung nicht erzielt werden kann.
9.
Soweit Dorothee zu Beginn der Ehezeit finanziell unterstützt worden ist, wirkt sich das auf den Pflichtteil nach dem Sachverhalt nicht aus.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Raab
Rechtsanwalt
Antwort
vonRechtsanwalt Gerhard Raab
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E-Mail:
Hella ist verstört.
Sie hat sich inzwischen (AdvoCard macht’s möglich) von einem RA/Notar beraten lassen in Begleitung ihrer Tochter. Im ersten Termin sagte dieser auf die beiden wichtigsten Fragen, nämlich ob das geschenkte Haus bei der Berechnung des Pflichteils „mit drin“ ist: „Nein, mehr als 10 Jahre her“, und ob die Pflichteil-Fordernden Stiefkinder bei IHREM Ableben erneut erben: „Nein“.
Im zweiten Termin nahm er beides zurück (!) (Hella war in Begleitung der BEIDEN erwachsenen, eigenen Kinder) und behauptet nun, das vor 15 Jahren geschenkte Haus müsse ebenfalls berücksichtigt werden, und bei Hellas Tod erben die Stiefkinder ein zweites Mal.
Der am Rande des Geschehens beobachtende Schwiegersohn hat dann über frag-den-Anwalt die bekannten Fragen gestellt und ein bißchen auf dieser Webseite, aber auch anderswo recherchiert.
Bei WIKIPEDIA findet sich unter dem Stichwort „Pflichtteil“ u.a. folgende Auskunft:
Lebzeitige beeinträchtigende Schenkungen
Um eine Aushöhlung des Pflichtteils durch Schenkungen schon zu Lebzeiten zu unterbinden, bestimmt § 2325 BGB
, dass der Pflichtteilsberechtigte in solchen Fällen von dem oder den Erben eine Ergänzung seines Pflichtteilsanspruchs verlangen kann (Pflichtteilsergänzungsanspruch). Dadurch wird er so gestellt, als ob das verschenkte Vermögen noch im Nachlass vorhanden wäre. Soweit der Erbe zur Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruches nicht verpflichtet ist, weil etwa der tatsächliche Nachlass nicht zur vollständigen Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruches genügt, kann sich der Pflichtteilsberechtigte nach § 2329 an den Empfänger des Geschenkes halten.
Die Schenkung ist nicht zu berücksichtigen, wenn zwischen Schenkung und Erbfall zehn Jahre verstrichen sind, oder es sich um bloße Anstandsschenkungen gehandelt hat. Bei Schenkungen an den Ehegatten beginnt die 10-Jahresfrist erst ab Auflösung der Ehe. Wurde die Ehe erst durch den Tod des Erblassers aufgelöst, sind daher für die Pflichtteilsergänzung alle Schenkungen während der gesamten Ehedauer an den überlebenden Ehegatten zu berücksichtigen.
Nach § 2327 BGB
sind Geschenke, die der Pflichtteilsberechtigte selbst vom Erblasser erhalten hat, ohne zeitliche Beschränkung auf seinen Pflichtteilsanspruch anzurechnen. Das gilt aber nur für den Pflichtteilsergänzungsanspruch, d.h. wenn man selbst die erfolgten Schenkungen abgezogen haben will. Für den eigentlichen Pflichtteil sind erhaltene Schenkungen nur anrechenbar, wenn das in der letztwilligen Verfügung so angeordnet war.
Können – dies alles vorausgeschickt – die beiden von Ihnen gemachten Aussagen
Schenkungen gehören zum fiktiven Nachlaß gem. § 2325 BGB
.
Damit ist zu fragen, ob der Erblasser innerhalb von 10 Jahren vor seinem Tod Schenkungen erbracht hat. Das Haus, das 1994 an Hella verschenkt worden ist, liegt außerhalb der Frist von 10 Jahren mit der Folge, daß es nicht zum Nachlaß des Erblassers gehört UND DAMIT AUCH BEI DER BERECHNUNG DES PFLICHTTEILS KEINE BERÜCKSICHTIGUNG FINDET.
sowie
Nach Hellas Tod erben die Kinder von Horst nicht, da sie nicht gesetzliche Erben von Hella sind.
aufrecht erhalten werden?
Sehr geehrter Fragesteller,
zu Ihrer Nachfrage nehme ich wie folgt Stellung:
1.
Der geschilderte Sachverhalt enthält zahlreiche rechtliche Probleme, über die sich trefflich mit unterschiedlichen Ergebnissen streiten läßt. Schon deshalb ist es dringend geboten, daß Hella anwaltliche Beratung in Anspruch nimmt. Eine Erstberatung in diesem Forum kann nur eine erste Orientierung bieten.
Problematisch ist hier bereits die Frage, ob bezüglich des Hauses eine Schenkung vorliegt. Zweifel ergeben sich, weil der Erblasser eine Gegenleistung, nämlich das Nießbrauchsrecht, erhält. Im Übrigen ist zu prüfen, ob die Pflege des Erblassers durch seine Ehefrau nicht ebenfalls als Gegenleistung gedacht gewesen ist. So bestehen unterschiedliche Auffassungen, ob z. B. unentgeltlich erbrachte Dienste (hier die Pflege) nachträglich in entgeltlich vereinbarte Dienste umgewandelt werden können. Das betrifft die Frage, ob die von Hella erbrachten Pflegeleistungen als Entgelt für den Erhalt des Hauses zu werten sind.
Daran knüpft die Frage an, ob ggf. von einer gemischten Schenkung gesprochen werden kann. Das ist der Fall, wenn der Wert der Leistung nur teilweise der Gegenleistung entspricht. Um hier Klarheit zu schaffen, muß neben dem Wert des Nießbrauchs der Geldwert der Pflegeleistung festgestellt werden.
D. h. es stellt sich die Frage, ob das Rechtsgeschäft, das der Eigentumsübertragung des Hausgrundstücks zugrunde liegt, als Schenkung zu werten ist. Verneint man diese Frage, werden auch keine Pflichtteilsergänzungsansprüche ausgelöst.
Es ist für Hella damit wichtig, den Wert der für die Grundstücksübertragung zugesagten Betreuung und des Nießbrauchsrechts zu ermitteln. D. h. es muß eine Kapitalisierung der Pflegedienste vorgenommen werden vom Zeitpunkt der Grundstücksübertragung bis zur statistischen Lebenserwartung des Erblassers.
2.
Ob hier die Vorschrift des § 2327 BGB
Anwendung finden kann, ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht.
Diese Vorschrift besagt, daß ein Ergänzungsberechtigter, der vom Erblasser eine Schenkung erhalten hat, nicht Ergänzung verlangen kann, ohne dabei sein eigenes Geschenk einzubringen. D. h. Voraussetzung für die Anwendung des § 2327 BGB
ist zunächst, daß überhaupt ein fiktiver Nachlaß zu berücksichtigen ist, daß also Pflichtteilsergänzungsansprüche bestehen und weiterhin eine Schenkung durch den Erblasser.
Sie erwähnen die finanzielle Unterstützung der Dorothee. Anhand dieser Schilderung ist aber nicht festzumachen, ob es sich um eine Unterhaltsleistung oder Schenkung handelt. Hier bedarf der Sachverhalt weiterer Aufklärung, um eine fundierte rechtliche Würdigung vornehmen zu können.
3.
Die „nochmalige“ Erbschaft hängt von der Interpretation der Klausel
"Diejenigen pflichtheilsberechtigten Schlußerben, die den Pflichtteil NICHT verlangen, erhalten aus dem Nachlass des Erstversterbenden ein Vermächtnis in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils nach ihm in Geld, das sofort anfällt, aber erst beim Tode des Längstlebenden fällig wird“ ab.
Ich sehe hierin eine sog. Jastrow’sche Klausel, mit der das Ziel verfolgt wird, die Höhe des Pflichtteils beim zweiten Todesfall möglichst gering zu halten. Angesprochen wird hier die Vorschrift des § 2269 BGB
, wobei nach der Formulierung im Testament der Fall des § 2269 Abs. 2 BGB
vorliegen dürfte. Da hier der Pflichtteil nach dem Erstversterbenden verlangt wird, kann im Fall des Letztversterbenden allenfalls der Pflichtteil eingefordert werden.
Mit § 2337 BGB
hat das indes nichts zu tun.
4.
Wegen der komplexen und wohl auch auslegungsfähigen Rechtslage rate ich Hella, sich in dieser Sache anwaltlich vertreten zu lassen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, daß Dorothee einen Rechtsanwalt eingeschaltet hat. Entscheidend ist auch, das Testament vollinhaltlich und nicht nur auszugsweise zu kennen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Raab
Rechtsanwalt