Sehr geehrter Fragesteller,
zu Ihrer Anfrage nehme ich wie folgt Stellung:
1.
Nach Ihrer Sachverhaltsschilderung hat Ihnen Ihr Vater im Jahr 2005 das Haus geschenkt. Soweit Sie formulieren, Sie seien laut Grundbuch alleiniger Besitzer, ist das insoweit ungenau, als dass es hier nicht auf den Besitz ankommt, sondern auf das Eigentum. Da Sie auf das Grundbuch Bezug nehmen, gehe ich davon aus, dass sie im Grundbuch als alleiniger Eigentümer des genannten Mehrfamilienhauses eingetragen sind.
Ihr Vater hat, wenn ich ihre Schilderung richtig verstehe, ein Testament errichtet, wonach Sie Alleinerbe sein sollen. D.h., Ihr Bruder kann Pflichtteilsansprüche und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen Sie geltend machen.
Die Pflichtteilsansprüche errechnen sich auf der Grundlage der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Bei dem Pflichtteilsanspruch gemäß § 2303 BGB
handelt es sich um einen Geldanspruch gegen den Erben.
Wenn ich davon ausgehe, dass lediglich Sie und Ihr Bruder gesetzliche Erben nach dem Vater sind, würden Sie, wenn keine letztwillige Verfügung errichtet worden wäre, je zu 1/2 Erben geworden sein. Da der Pflichtteilsanspruch in der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruch besteht, beläuft sich der Pflichtteilsanspruch des Bruders auf ein Viertel.
2.
Als Pflichtteilsberechtigter hat Ihr Bruder einen Anspruch darauf, dass Sie ein Nachlassverzeichnis errichten.
Das Nachlassverzeichnis muss Aktiva und Passiva, also Schulden, auch Begräbniskosten, ausweisen. Der sich daraus errechnende Reinnachlass (Aktiva abzüglich Passiva) ist die Grundlage für die Berechnung der Höhe des Pflichtteils.
Die Schenkung des Mehrfamilienhauses schmälert den Nachlass mit der Folge, dass Ihr Bruder einen so genannten Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen Sie hat. Zu beachten ist, dass seit dem 01.01.2010 das Prinzip der Abschmelzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gilt. Das bedeutet, länger zurückliegende Schenkungen erhöhen den Wert des Pflichtteils nicht in voller Höhe, sondern nur noch anteilig.
Eine Schenkung wird in voller Höhe berücksichtigt, wenn sie im letzten Lebensjahr des Erblassers erfolgt ist. Ist die Schenkung im vorletzten Jahr vor Eintritt des Erbfalls erfolgt, werden nur noch 90 % angesetzt. Mit jedem Jahr sinkt der Wert um 10 Prozent.
Ihr Vater ist im Jahr 2009 verstorben. Da die Schenkung im Jahr 2005 erfolgt ist, werden nur noch 60 % des Wertes der Immobilie berücksichtigt.
3.
Maßgebend ist der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls. Das ergibt sich aus § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB
. Auf den Verkaufserlös im Fall eines Verkaufs kommt es also ebenso wenig an, wie auf den Wert, der sich anhand des Gutachtens aus dem Jahr 2006 ergibt. Wenn man sich nicht verständigen kann, müsste ein Gutachten erstellt werden, das den Verkehrswert zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalles feststellt.
Der von Ihnen erwähnte Beschluss des BGH vom 25.11.2010 besagt nichts anderes.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Raab
Rechtsanwalt
Antwort
vonRechtsanwalt Gerhard Raab
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Vielen Dank Herr Raab,
Sie gehen richtig davon aus, dass ich der alleinige Besitzer seit Ende 2005 bin. So steht es auch im Grundbuch. Habe ich Sie richtig verstanden das dieses Urteil,BGH · Beschluss vom 25. November 2010 · Az. IV ZR 124/09
in meinem Fall keine Anwendung findet? Vielen Dank nochmals!!!!
Sehr geehrter Fragesteller,
zu Ihrer Nachfrage nehme ich wie folgt Stellung:
In dem Beschluß des BGH heißt es u. a. wie folgt:
"Abzustellen ist mithin auf den so genannten gemeinen Wert, der dem Verkaufswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht. Da derartige Schätzungen mit Unsicherheiten verbunden sind, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind, von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen, grundsätzlich an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren muss."
D. h. wenn Sie jetzt, also rund fünf Jahre nach dem Tod Ihres Vaters das Hausgrundstück veräußern, kann man nicht mehr davon sprechen, daß die Veräußerung "bald nach dem Erbfall" erfolgt ist.
Ferner sagt der BGH:
"Ist grundsätzlich für die Berechnung des Verkehrswerts der Verkaufserlös zugrunde zu legen, so trifft den Pflichtteilsberechtigten auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verkaufserlös nicht dem Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht. Hierzu muss der Pflichtteilsberechtigte darlegen und beweisen, dass sich bei einer Veräußerung des Grundstücks unter dem Schätzwert die Marktverhältnisse seit dem Zeitpunkt des Erbfalles verändert haben."
Würde man den Verkaufspreis zugrunde legen, könnte das zu dem unvertretbaren Ergebnis führen, daß der Nachlaß geschmälert wird, wenn das Haus zu einem unrealistisch niedrigen Preis veräußert würde.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Raab
Rechtsanwalt