Sehr geehrte Ratsuchende,
gerne beantworte ich Ihre Anfrage unter Berücksichtigung Ihrer Sachverhaltsschilderung und Ihres Einsatzes wie folgt:
Zwar schreibt § 611 BGB
lediglich vor, dass der Arbeitgeber durch den Arbeitsvertrag zur Leistung der versprochenen Vergütung verpflichtet ist. Allerdings bejahen der überwiegende Teil der Rechtsprechung Literatur einen rechtlichen Anspruch auf tatsächliche vertragsgemäße Beschäftigung. Rechtliche Grundlage hierfür ist das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art.1 GG
,Art.2 Abs.1 GG
), sich an seinem Arbeitsplatz (auch) entfalten und entwickeln zu können. Der Beschäftigungsanspruch, der ebenso wie z.B. der Lohnanspruch auch einklagbar ist, entfällt grundsätzlich nur bei Unzumutbarkeit. Erlaubt ist eine einseitig durch den Arbeitgeber erklärte Freistellung ohne Kündigung auch bei Fortzahlung der Vergütung daher nur, wenn das Interesse des Arbeitgebers an einer Suspendierung dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt, z.B. wenn es wegen Betriebsstörung oder Auftragsmangel keine Einsatzmöglichkeit für den Arbeitnehmer gibt, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien massiv gestört ist (z.B. bei dringendem Verdacht einer strafbaren Handlung) oder wenn von dem Arbeitnehmer eine Gefahr für andere Arbeitnehmer oder Kunden ausgeht (z.B. ansteckende Krankheit). Liegt keiner dieser Ausnahmegründe vor, darf Ihr Arbeitgeber Sie nicht einfach einseitig ohne Ihre Zustimmung freistellen. Auch kann er Ihnen ohne triftigen Grund nicht untersagen, Ihre Kollegen zu kontaktieren.
Bezüglich Notebook und Dienstwagen gilt: Zwar kann der Arbeitgeber natürlich grundsätzlich die ihm gehörenden Arbeitsmittel zurückfordern, allerdings muss die Ausübung dieses Rechts nach billigem Ermessen (§ 315 BGB
) erfolgen. Soweit das Firmennotebook zwingend zur Ausübung Ihrer Tätigkeit notwendig ist, dürfte auch diesbezüglich Ihr Beschäftigungsanspruch einem sofortigen Rückgabeanspruch entgegenstehen. Bezüglich der Rückgabe eines Dienstwagens hat das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil (BAG 21.3.2012, 5 AZR 651/10
) entschieden, dass die Rückforderung eines Dienstwagens, den der Arbeitnehmer auch privat nutzen darf und dementsprechend auch versteuern muss, regelmäßig unbillig ist, wenn der Arbeitgeber hierfür keine ausreichenden Gründe vorbringen kann. Abgesehen davon dürfte es in Ihrem Fall zudem schon an einer wirksamen Freistellung fehlen.
Inwiefern eine Kündigungsschutzklage erfolgreich sein würde, lässt sich natürlich nicht beurteilen, solange Ihnen noch nicht gekündigt wurde und daher kein Kündigungsgrund bekannt ist. Allerdings dürfte bei Ihnen wohl nur eine betriebsbedingte Kündigung in Frage kommen. Das Kündigungsschutzgesetz stellt aber hohe Anforderungen an eine wirksame betriebsbedingte Kündigung. So müsste der Arbeitgeber im Streitfall die Gründe für eine solche Kündigung nachweisen. Will Ihr Arbeitgeber die Kündigung auf außerbetriebliche Gründe (z.B. Umsatzrückgang) stützen, muss er im Prozess detailliert vortragen, wie sich der Auftragsrückgang tatsächlich auf die Arbeitsmenge ausgewirkt hat und dass dadurch ein konkreter Arbeitskräfteüberhang entstanden ist, siehe z.B. Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 23.08.2005 2 Sa 163/05
. Auch wenn die Möglichkeit besteht, Sie auf einen anderen freien, vergleichbaren Arbeitsplatz im Betrieb zu versetzen, ist die betriebsbedingte Kündigung nicht gerechtfertigt. Der Arbeitgeber muss zudem nach § 1 Absatz 3 KSchG
bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers eine Sozialauswahl vornehmen, wobei insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind. Nimmt man insbesondere den Umstand hinzu, dass scheinbar sogar Neueinstellungen geplant sind, dürfte es dem Arbeitgeber zumindest schwer fallen, die betriebsbedingte Kündigung ausreichend zu begründen.
Sie sollten sich zunächst noch einmal an Ihre Rechtsschutzversicherung wenden. Da insbesondere die einseitige Freistellung hier einen Verstoß gegen Ihren Beschäftigungsanspruch darstellen dürfte, wenn keine Ausnahmegründe greifen, und damit sehr wohl bereits ein Rechtsverstoß und einklagbarer Anspruch vorliegen dürfte, müsste die Versicherung hier bereits in der Pflicht sein.
Ich hoffe, Ihnen eine erste hilfreiche Orientierung ermöglicht zu haben. Bei Unklarheiten benutzen Sie bitte die kostenfreie Nachfragefunktion.
Bedenken Sie bitte, dass ich Ihnen hier im Rahmen einer Erstberatung ohne Kenntnis aller Umstände keinen abschließenden Rat geben kann. Sofern Sie eine abschließende Beurteilung des Sachverhaltes wünschen, empfehle ich, einen Rechtsanwalt zu kontaktieren und die Sachlage mit diesem bei Einsicht in sämtliche Unterlagen konkret zu erörtern.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Jan Wilking
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Rechtsanwalt Jan Wilking
Hallo Herr Wilking, vielen Dank für Ihre ausführliche, aufschlussreiche Antwort. Mir ist noch eine Sache unklar: Darf der Arbeitgeber überhaupt eine "gemischte" einseitige Freistellung aussprechen, d.h. eine bis 15.11.12 befristete unwiderrufliche Freistellung die dann die Abgeltung meines gesamten Resturlaubsanspruches zur Folge hätte, und danach eine widerrufliche Freistellung aussprechen? Mittlerweile hat man die Freistellung nämlich wieder zurückgenommen und ich arbeite derzeit an einem Projekt mit (300 km von meinem Wohnort entfernt), habe auch ein Angebot für eine Stelle im Konzern. Allerdings scheint sich HR auf den Standpunkt stellen zu wollen, dass ich meinen (schon gebuchten) Weihnachtsurlaub absagen soll, da mein Urlaubsanspruch mit der Freistellung abgegolten sei. Ist das rechtens? Wie kann ich HR gegenüber am besten argumentieren?
Vielen Dank für Ihre Nachfrage, die ich wie folgt beantworten möchte:
Eine Anrechnung von Urlaub ist nur bei unwiderruflicher Freistellung zulässig, siehe z.B. BAG, Urteil vom 19. Mai 2009 – 9 AZR 433/08
. Bei widerruflicher Freistellung muss der Arbeitnehmer dagegen jederzeit mit einem Rückruf rechnen, kann also gerade nicht frei über seine Zeit verfügen, wie es in seinem Erholungsurlaub der Fall sein muss.
Grundsätzlich sehe ich daher keine Unwirksamkeit, wenn die Anrechnung des Urlaubs sich nur auf die Zeit der unwwiderruflichen Freistellung bezieht. Allerdings muss die einseitige Freistellungserklärung durch den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennen lassen, in welchem Umfang der Arbeitgeber die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllen will. Zweifel gehen zu Lasten des Arbeitgebers, denn als Erklärender hat er es in der Hand, den Umfang der Freistellung eindeutig festzulegen (siehe BAG, Urteil vom 17. Mai 2011 - 9 AZR 189/10
). Hier gäbe es möglicherweise Angriffspunkte, je nach konkreter Formulierung der Freistellungserklärung.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen