Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Anlässlich der derzeit laufenden Betriebsratswahlen in zahlreichen Betrieben schicke ich zunächst den Hinweis voraus, dass von vornherein nur Pflichtverletzungen für ein Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG
in Betracht kommen, die in der laufenden Amtsperiode begangen wurden. Wegen einer Verletzung aus einer früheren Amtsperiode können nicht mehr sanktioniert werden, auch wenn das betreffende Betriebsratsmitglied erneut in den Betriebsrat gewählt wurde, vgl. BAG, Beschluss vom 29.04.1969, Az. 1 ABR 19/68
.
Die Frage ist nun, welche Pflichtverletzung Sie meinen: die mögliche Unterschlagung und den möglichen Diebstahl durch das eine Betriebsratsmitglied, oder die mögliche falsche Verdächtigung durch das andere Betriebsratsmitglied?
Eine grobe Pflichtverletzung kommt nur bei einer objektiv erheblichen und offensichtlich schwerwiegenden Pflichtverletzung in Betracht, BAG Beschluss vom 21.02.1978, Az. 1 ABR 54/76
. Die Pflichtverletzung muss sich auf die Amtstätigkeit als Betriebsratsmitglied beziehen, vgl. Fitting § 23 BetrVG
Rn. 21.
Weiter ist Voraussetzung, dass die Pflichtverletzung tatsächlich vorliegt. Damit ist jedenfalls der bloße Verdacht von Unterschlagung und Diebstahl noch nicht ausreichend für ein Amtsenthebungsverfahren. Kann der Vorwurf dagegen nachgewiesen werden und wurde die Tat im „Amt" begangen, dann kann dies eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen.
Umgekehrt sehe ich im Falle von falschen Verdächtigungen noch keine schwerwiegende Pflichtverletzung, jedenfalls solange nicht, als der Verdacht auf gewissen Anhaltspunkten beruhte und diese falschen Verdächtigungen zum ersten Mal geäußert wurden.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Johannes Kromer
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Rechtsanwalt Johannes Kromer
A und B waren Mitglieder des alten Betriebsrates und sind auch Mitglieder des neuen Betriebsrates. Zum Ende der Amtszeit des alten BR hat A das BR-Büro aufgeräumt, damit das neue Gremium ein sauberes Büro vorfindet. Dabei stieß er auf einen Karton, der seit Monaten im BR-Büro stand und dessen Inhalt er keinem BR-Mitglied zuordnen konnte. Die Gegenstände darin (Kerze, kleine Holzkiste u.ä.) hat er in einen Lagerraum gebracht und Papiere (Schulungsprospekte, Blöcke mit handschriftlichen Notizen) hat A in eine Datenschutztonne geworfen. B behauptet jetzt, der Inhalt dieses Kartons habe ihm gehört. In der Amtszeit des neuen Gremiums hat B nun wegen der Entsorgung des Kartons Beschwerde nach § 84 und § 85 BetrVG eingelegt. Wir haben § 85 in der letzten Sitzung behandelt, aber noch keinen Beschluss gefasst. In der Diskussion waren einige Mitglieder der Meinung, die Beschwerde nach § 85 sei unzulässig, da der Arbeitgeber ihr nicht abhelfen kann. Im Rahmen dieser Diskussion erwähnte B, dass er Beschwerde nach § 84 beim Arbeitgeber eingelegt hat und dass er in dieser Beschwerde nach § 84 dem A Sachbeschädigung, Vandalismus, Unterschlagung und Diebstahl vorwirft. Ein Verfahren nach § 23 soll, wenn ein grober Pflichtverstoß vorliegt, gegen B eingeleitet werden. Liegt ein grober Pflichtverstoß des B vor?
Vielen Dank für die weiteren Schilderungen. Eine grobe Pflichtverletzung des B sehe ich hier nicht.
Folgende Punkte sprechen nämlich zugunsten des B:
1. Offensichtlich wurden tatsächlich ein Karton von A – wohl aber – sachgerecht entsorgt.
2. Die Beschwerden aus § 84
und 85 BetrVG
sind aus meiner Sicht keine Beschwerden eines Betriebsratsmitglieds. § 84
und § 85 BetrVG
wendet sich an Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist natürlich ebenfalls ein Arbeitnehmer, aber wenn es um Rechte und Pflichten aus seiner Amtsstellung als Betriebsrat geht sind die §§ 84
und 85 BetrVG
nicht anwendbar.
3. Das LAG Baden-Württemberg hatte einst entscheiden, dass auch eine Erstattung von Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber keine grobe Pflichtverletzung darstellt, wenn diese absichtlich unwahre Tatsachen enthält. Diese Argumentation lässt sich auch auf den vorliegenden Fall anwenden.