Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen wie folgt beantworten:
Die strafrechtliche Beurteilung hängt davon ab, ob der Sachverständige vorsätzlich oder fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstellt hat und ob dies rechtlich relevant ist.
1. Betrug (§ 263 StGB)
Ein Betrug setzt voraus, dass der Gutachter vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat, um sich oder jemand anderen zu bereichern. Hier müsste nachgewiesen werden, dass der Gutachter absichtlich falsche Annahmen getroffen hat, um dem Antragsteller eine Baugenehmigung zu ermöglichen. Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn er bewusst falsche Daten verwendet oder Messwerte manipuliert hätte. Bloße Fehler oder Fahrlässigkeit reichen nicht aus.
2. Mittelbare Falschbeurkundung (§ 271 StGB)
Falls das falsche Gutachten in eine öffentliche Urkunde, z. B. eine behördliche Entscheidung (Baugenehmigung), eingeflossen ist, könnte eine mittelbare Falschbeurkundung vorliegen. Voraussetzung wäre, dass der Gutachter vorsätzlich falsche Tatsachen angegeben hat und dadurch eine Behörde zur Ausstellung eines unrichtigen Dokuments verleitet wurde. Auch hier müsste der Vorsatz bewiesen werden.
3. Falsches uneidliches Zeugnis (§ 153 StGB)
Ein Verstoß gegen § 153 StGB (Falsches uneidliches Zeugnis) liegt nicht vor, da der Gutachter nicht als Zeuge vor Gericht ausgesagt hat. Wäre er in einer Verhandlung als Sachverständiger befragt worden und hätte falsche Angaben gemacht, könnte dies relevant sein.
4. (Fahrlässige) falsche Gutachtenerstellung (§ 160 StGB, § 163 StGB)
Diese Vorschriften betreffen Sachverständige, die vor Gericht bestellt wurden. Da das Gutachten aber nicht vom Gericht in Auftrag gegeben, sondern privat erstellt wurde, greifen diese Normen nicht.
5. Ordnungswidrigkeitenrecht und Haftungsfragen
Wenn der Gutachter fahrlässig falsche Angaben gemacht hat, kann dies zivilrechtliche Folgen haben. Der Nachbar könnte z. B. auf Schadensersatz klagen, wenn er nachweisen kann, dass durch das falsche Gutachten ein Schaden entstanden ist (z. B. ein Wertverlust der Immobilie). Zudem könnte die Behörde das Gutachten überprüfen und eine neue Bewertung des Lärmpegels verlangen. Disziplinarrechtliche oder berufsrechtliche Konsequenzen sind ebenfalls denkbar, falls der Gutachter einer Berufsordnung unterliegt.
Fazit
Strafrechtlich käme nur Betrug (§ 263 StGB) oder mittelbare Falschbeurkundung (§ 271 StGB) in Betracht, aber nur bei nachweisbarem Vorsatz. Fahrlässige Fehler im Gutachten sind grundsätzlich nicht strafbar, können aber zivilrechtliche oder berufsrechtliche Folgen haben. Eine genaue Untersuchung des Falles, insbesondere der Motivation des Gutachters, wäre erforderlich.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen.
Mit freundlichen Grüßen
Hagen Riemann
(Rechtsanwalt)
Antwort
vonRechtsanwalt Hagen Riemann
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Sehr geehrter Herr Riemann,
Zunächst bedanke ich mich für detaillierte und aufschlussreiche Antwort.
Noch eine Rückfrage zur mittelbaren Falschbeurkundung: muss zur Erfüllung des Tatbestands das Gutachten explizit zum Bestandteil der behördlichen Baugenehmigung erklär worden sein oder reicht es, wenn das Gutachten zu einer positiven Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde geführt hat und dies zwingend Voraussetzung für die Genehmigung war?
Vielen Dank für Ihr wertschätzendes Feedback! Ihre Rückfrage zur mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB) ist sehr berechtigt und betrifft eine wesentliche Differenzierung im Tatbestand.
Tatbestandsvoraussetzungen der mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 Abs. 1 StGB)
Die Vorschrift schützt das Vertrauen in die Richtigkeit öffentlicher Urkunden. Strafbar macht sich, wer durch Täuschung oder unrichtige Angaben bewirkt, dass eine Behörde oder ein Amtsträger eine unrichtige öffentliche Urkunde erstellt. Dabei sind folgende Punkte entscheidend:
Vorliegen einer öffentlichen Urkunde
Eine Baugenehmigung ist eine öffentliche Urkunde, da sie von einer Behörde ausgestellt wird und Beweis über eine amtliche Entscheidung erbringt.
Eine Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde kann ebenfalls eine öffentliche Urkunde sein, wenn sie einen rechtsverbindlichen Charakter hat (z. B. eine amtliche Genehmigungsvoraussetzung schafft).
Unrichtigkeit der Urkunde
Die Baugenehmigung muss objektiv unrichtig sein. Dies wäre der Fall, wenn sie auf fehlerhaften Tatsachen beruht, die für die Entscheidung maßgeblich waren (z. B. die Lärmgrenzwerte wurden in Wahrheit überschritten).
Dabei ist entscheidend, ob die falschen Angaben des Gutachters zu einer rechtlich fehlerhaften Beurkundung durch die Behörde geführt haben.
Mittelbare Verursachung durch Täuschung
Der Gutachter müsste durch bewusst falsche Angaben die Behörde veranlasst haben, die Genehmigung auf einer falschen Grundlage zu erteilen.
Fahrlässige oder leichtfertige Falschangaben reichen nicht aus.
Reicht es, wenn das Gutachten zur positiven Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde geführt hat?
Hier kommt es darauf an, ob die Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde integraler Bestandteil der Baugenehmigung wurde oder zwingend deren Grundlage war:
Wenn die Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde selbst eine öffentliche Urkunde ist (z. B. weil sie für die Baugenehmigung rechtsverbindlich war), dann könnte schon die falsche Grundlage dieser Stellungnahme eine mittelbare Falschbeurkundung darstellen.
Falls die Immissionsschutzbehörde ihre Stellungnahme aufgrund des Gutachtens erteilt hat, die Behörde aber noch eigene Prüfungen vornahm, ist fraglich, ob das Gutachten tatsächlich die Unrichtigkeit der Baugenehmigung „verursacht" hat.
Entscheidend ist, ob die Baugenehmigung ohne das Gutachten nicht erteilt worden wäre und die Behörde es als objektiv entscheidungserhebliche Grundlage in ihren Bescheid übernommen hat.
Fazit
Für eine Strafbarkeit nach § 271 StGB reicht es nicht aus, dass das fehlerhafte Gutachten „irgendwie" in den Verwaltungsprozess eingeflossen ist. Es müsste nachweisbar sein, dass:
✔ Das Gutachten zwingend erforderlich für eine positive Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde war.
✔ Diese Stellungnahme wiederum die unrichtige Baugenehmigung kausal herbeigeführt hat.
✔ Der Gutachter vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat, um die Behörde zur Ausstellung einer unrichtigen Urkunde zu verleiten.
Falls der Gutachter nur fahrlässig Fehler gemacht hat, wäre die Schwelle zur Strafbarkeit nicht erreicht. Dann kommen jedoch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 271 StGB oder Amtshaftung) in Betracht.
Mit freundlichen Grüßen
Hagen Riemann
(Rechtsanwalt)