Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Im Zusammenhang mit der Vollstreckung von Minimalforderungen durch Zwangsversteigerung gibt es nur ein veröffentlichtes Urteil, das einen Zwangsversteigerungsantrag mangels Rechtsschutzbedürfnis ablehnte: AG Stuttgart, Urteil vom 10.10.1989 - 8 C 7155/89
.
Dort wurde im Rahmen der Prüfung des Allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses als Sachurteilsvoraussetzung die Klage als unzulässig abgelehnt wegen des geringen Streitwerts. Dieser betrug jedoch auch nur 0,41 DM.
Zitat aus dem Urteil: „Der Zivilprozeß gewährt nämlich dem einzelnen Schutz nur im Rahmen der Gemeinschaft, so daß niemand die Gerichte unnütz oder gar unlauter bemühen darf. Das mit der Prozeßhandlung verfolgte Ziel muß schutzwürdig sein, wobei Maßstab für die Schutzwürdigkeit ist, die Bewährung des Rechts und die Wahrung des Rechtsfriedens zu sichern."
Ansonsten ist es absolut durchgängige Rechtsprechung und herrschende Literaturmeinung, insbesondere der höheren Gerichte, dass
- es weder eine gesetzliche Norm noch einen allgemeinen Rechtsgrundsatz gibt, dass
die Immobiliarvollstreckung wegen einer geringeren Forderung nicht betrieben werden
darf (Bagatellforderungen sind grundsätzlich ohne Beschränkung nach unten der
Immobiliarvollstreckung zugänglich) noch
- für die Zwangsvollstreckung in das Vermögen eines Schuldner eine Reihenfolge
eingehalten werden muss: insbesondere bedarf es für die Immobiliarvollstreckung nicht
der vorherigen Durchführung von anderen („milderen") Vollstreckungsmaßnahmen,
z.B. einer Mobiliarvollstreckung oder Forderungspfändung. Dies gilt auch für die
Zwangsvollstreckung von Bagatellforderungen.
Eine „Schadensminderungspflicht" in dem Sinne, dass der vollstreckende Gläubiger das mildeste Mittel wählen muss, gibt es nicht. Literatur und Rechtsprechung halten durchweg auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für gewahrt, wenn wegen geringer Forderungen die Immobiliarvollstreckung betrieben wird.
Einzig Alexander Kirchner („Rechtsschutz bei Bagatellforderungen", sowie RPfl 2004, S. 395ff) vertritt fortlaufend eine gegenteilige Meinung. Hier finden Sie möglicherweise weitere Argumentationsansätze.
Für Sie positive Urteile liegen jedoch aufgrund der absolut vorherrschenden Meinung in sämtlichen Kommentierungen zur Zivilprozessordnung sowie Fachliteratur zur Immobiliarzwangsvollstreckung schlichtweg nicht vor.
Höhere Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis für die Zwangsversteigerung werden nur in dem gesetzlich normierten Sonderfall gem. §10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG
(Vollstreckung in WEG-Eigentum) gestellt.
In allen anderen Fällen verbleibt es für die betroffenen Mitglieder der Gemeinschaft ausdrücklich bei dem Vollstreckungsschutz gem. §765a ZPO
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Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Vielen Dank,
ich kenne mich damit nicht so aus, ich fand dazu aber noch einige Seiten, die sich mit der Thematik befassten, dort haben aber sog. Rechtspfleger geurteilt
Ich bitte daher um Mitteilung ob die höheren Instanzen hier überhaupt maßgebend sind weil der Streitwert im vorliegen Beispiel ja niedrig sind.
Es ist ehrlich gesagt mit meinem Rechtsverständnis nicht vermittelbar, wieso der Gläubiger sich das immer aussuchen kann, es gab ja immerhin schon ein Sondervotum
Vielleicht geben Sie bitte noch kurz ihre Rechtssicht wieder, im Hinblick auch auf § 226 BGB
Könnte dieser also theoretisch überhaupt Anwendung finden, ich meine rein theoretisch, wenn es für den Gläubiger doch absolut nichts bringt eine langwierige Versteigerung durchzuführen ?
Liege ich wirklich so derbe daneben, dass also ein Gesetz keine Anwendung finden kann, wenn aus reiner Boshaftigkeit und ohne Grund direkt in ein Haus vollstreckt wird, obwohl die Miteigentümerin ein relativ dickes Konto hat, von dem man aus pfänden könnte?
Ich fand dazu noch eine Seite
http://www.iww.de/ve/archiv/vollstreckungspraxis-duerfen-bagatellforderungen-vollstreckt-werden-f31612
sowie
Gryuter
Siehe Fußnote 12 https://books.google.de/books?id=3yZ1BgAAQBAJ&pg=PA3&lpg=PA3&dq=lg+bagatellforderung&source=bl&ots=wVJ1za4Q0r&sig=EBrfMaHlU1QBJqpZwiqUVNwjsN8&hl=de&sa=X&ei=mSBpVcrsC-aa7gaHzYCwBg&ved=0CD4Q6AEwCQ#v=onepage&q=lg%20bagatellforderung&f=false
Dort Rechtspfleger LG Frankenthal 1979,433
Usw usf
Gerne beantworte ich Ihre Nachfrage wie folgt:
die Thematik und insbesondere der Argumentationsansatz mit dem Sondervotum ist in der Tat eine vertiefte grundsätzliche Überlegung wert, ob die erläuterte geltende Rechtslage richtig und mit dem Rechtsverständnis eines in seine Eigentumsrechte vertrauenden Bürgers vereinbar ist.
Die Heranziehung des Schikaneverbots gem. §226 BGB
würde vorliegend aber nur dann theoretisch weiterführen, wenn von Anfang an absolut ausgeschlossen wäre, dass durch die Versteigerung das Ziel des Gläubigers (Ausgleich seiner Forderung) erreicht werden kann.
Dies wird aber nie der Fall sein, weil die Zwangsversteigerung gerade anerkannt legitimes Mittel der Vollstreckung und damit der Durchsetzung von Forderungen ist. Und wenn der Gläubiger mit Betreiben der Zwangsversteigerung auch nur erreicht, dass irgendjemand – sei es ein Mitglied der Gemeinschaft oder ein Dritter – die Forderung begleicht, hätte sich die Legitimität seines Mittels wiederum bewahrheitet. §226 BGB
setzt voraus, dass nach Lage der gesamten Umstände ein anderer Zweck als Schadenszufügung objektiv ausgeschlossen ist. Dies wird bei Bestehen einer titulierten Forderung und Wahl eines prozessual zulässigen Vollstreckungsmittels aber nicht bejaht werden können.
Auch führen all diese Überlegungen in der Praxis leider absehbar zu keinem befriedigenden Ergebnis, da jeder Rechtspfleger in einem konkret anhängigen Rechtsfall entsprechend der einhellig herrschenden Meinung entscheiden wird. Ob ein Gläubiger – wie von Ihnen vorgetragen – aus „reiner Boshaftigkeit und ohne Grund" handelt, wäre demnach aus Sicht des Rechtspflegers eine rein subjektive Empfindung und nicht für seine Entscheidung maßgeblich, da objektiv der Gläubiger mit der Zwangsversteigerung die Durchsetzung seiner Forderung zumindest theoretisch erreichen kann.
Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Bundesgerichtshof z.B. auch mit Beschluss vom 30.01.2004 Az.: IXa ZB 233/03
, gerade in einem Fall von Zwangsversteigerung und weiteren betroffenen Miteigentümern ausdrücklich abgelehnt hat, dass ein Gläubiger auf den Grundsatz des sichersten Wegs verwiesen werden kann und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss, indem er den Gegenstand verwertet, der den Schuldner am wenigsten belastet.
Ihr Rechtsempfinden liegt also nicht so völlig daneben, wird aber leider in der Praxis absehbar nicht in einer entsprechenden Entscheidung seinen Niederschlag finden.