Sehr geehrter Fragesteller,
nachdem die Agentur für Arbeit aktuell nach Ihren Angaben Ihr Leistungsvermögen auf weniger als 15 Stunden wöchentlich einschätzt, sind Sie aus dortiger Sicht aktuell überhaupt nicht arbeitslos, da eine der Voraussetzungen für Arbeitslosigkeit ist, dass Sie den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen (§ 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB 3
) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nur zur Verfügung steht, wer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auch tatsächlich ausüben kann und darf (§ 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB 3
).
Die Tatsache, dass Sie dennoch einen positiven Bescheid (Bewilligung von Arbeitslosengeld 1) erhalten haben, liegt einzig und allein an § 145 SGB 3
, der die sich aus Sicht der Agentur für Arbeit ergebende mangelnde Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt aus medizinischen Gründen zunächst einmal fingiert, und zwar solange, bis die Rentenversicherung über Ihren Anspruch auf Erwerbsminderungsrente entschieden hat.
Sinn und Zweck von § 135 SGB 3
ist es zu verhindern, dass ein Rentenantragsteller bis zur Entscheidung durch die Rentenversicherung "auf dem Trockenen" sitzt, weil die Rente noch nicht bewilligt wurde und die Agentur für Arbeit das Restleistungsvermögen auf unter 15 Stunden taxiert.
Nunmehr zur Beantwortung Ihrer Frage: Lehnt die Rentenversicherung Ihren Rentenantrag vollständig ab, d.h. schätzt diese Ihr Restleistungsvermögen auf mindestens 6 Stunden täglich wenigstens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ein, ist auch die Agentur für Arbeit an diese Leistungseinschätzung gebunden.
Die Folge ist: Sie sind dann ein "ganz normaler Arbeitsloser", erhalten dann also auch Arbeitslosengeld 1, wenn und solange ein Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld 1 besteht und Sie auch noch die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Sie können gegebenenfalls also Ihre vollen zwei Jahre Bezugsdauer, die nach Ihren Angaben noch offen ist, in Anspruch nehmen. Ihr Anspruch erlischt also grundsätzlich n i c h t.
Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld dürfte im Übrigen auch dann noch bestehen, wenn die Rentenversicherung Ihnen nur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt (Restleistungsvermögen zwischen 3 und unter 6 Stunden täglich). Sie erhalten dann zum einen natürlich hier Rente wegen teilweiser Rente von der deutschen Rentenversicherung, haben aber dann zusätzlich dann eben ggf. noch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (natürlich wird die gezahlte Rente dabei berücksichtigt, es gibt Anrechnungsvorschriften).
Ein kleiner Hinweis am Rande, falls die Rentenversicherung Schwierigkeiten macht: Nach Ihrer Schilderung sind Sie aktuell 60 Jahre alt, dürften also Jahrgang 1957 sein. Sie könnten also - mit Abzügen - mit 60 Jahren und 11 Monaten in Altersrente für Schwerbehinderte ergehen, falls Sie die dortigen Voraussetzungen erfüllen (Schwerbehinderteneigenschaft, Lebensalter und 35 Versicherungsjahre). Augenscheinlich gibt es ja doch gesundheitliche Probleme, sodass das auch mit der Schwerbehinderung kein unüberwindliches Hindernis sein sollte, im Einzelnen hierzu www.versorgungsmedizinische-grundsätze.de.
Freundliche Grüße
Rechtsanwalt Dotterweich
Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht
Diese Antwort ist vom 04.08.2017 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Antwort
vonRechtsanwalt Reinhold Dotterweich
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Sehr geehrter Herr Dotterweich,
>Die Folge ist: Sie sind dann ein "ganz normaler Arbeitsloser", erhalten dann also auch Arbeitslosengeld 1, wenn und solange ein Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld 1 besteht und Sie auch noch die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Sie können gegebenenfalls also Ihre vollen zwei Jahre Bezugsdauer, die nach Ihren Angaben noch offen ist, in Anspruch nehmen. Ihr Anspruch erlischt also grundsätzlich n i c h t. <
Meine Nachfrage: Ich befinde mich in ungekündigter Anstellung > besteht der von Ihnen geschilderte Anspruch auch dann ?
Vielen Dank für Ihre Bemühungen.
Es grüßt freundlich
Ja, der Anspruch besteht nach Maßgabe der folgenden Ausführungen auch dann, wenn Sie sich in einem ungekündigten Anstellungsverhältnis befinden.
Es ist ein häufiger Irrtum, dass Mandanten glauben, Sie könnten gar nicht arbeitslos sein, so lange rechtlich noch ein Arbeitsverhältnis (Arbeitsvertrag) besteht.
Nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB 3
ist nämlich arbeitslos, wer Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin ist und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit).
Beschäftigungslosigkeit ist bereits dann gegeben, wenn das (rechtlich durchaus noch bestehende) Arbeitsverhältnis nicht mehr umgesetzt wird, d.h. gar keine Arbeitsleistung mehr erbracht werden kann (Krankheit) oder etwa der Arbeitgeber diese gar nicht mehr abruft (Freistellung, Aussperrung etc.).
Bei Zuerkennung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung könnten Sie definitionsgemäß noch in untervollschichtigem Umfang Tätigkeiten verrichten. Ob eine weitere Einsatzmöglichkeit im alten Anstellungsverhältnis in zeitlich reduzierten Umfang in Frage kommt, ist zunächst einmal eine medizinische Frage (können Sie rein gesundheitlich ihre bisherige, arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit in reduzierten Umfang überhaupt noch verrichten?) und darüber hinaus auch eine rechtliche: Ist der Arbeitgeber überhaupt bereit, Ihnen einen Teilzeit- Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen? Wenn auch nur eine der obigen Voraussetzungen zu verneinen ist, dann sind Sie trotz eines rein juristisch weiterhin bestehenden Arbeitsverhältnisses (gültiger und fortbestehender Arbeitsvertrag / Anstellungsvertrag) beschäftigungslos, sodass Arbeitslosengeld bezogen werden kann.
Freundliche Grüße
RA Dotterweich