Sehr geehrter Fragesteller,
vielen Dank für Ihre Frage, welche ich gerne wie folgt beantworten möchte:
Laut Ihren Angaben sind der Vater ein deutscher und die Mutter eine chinesische Staatsangehörige. Ebenfalls hat nach Ihren Angaben der Vater das Kindergeld für das Kind erhalten. Ich gehe daher davon aus, dass in diesem Falle das Kindergeld nach § 64 Abs. 1 EStG nur an einen Elternteil, vermutlich vorliegend an den Vater (vgl. § 64 Abs. 2 EStG) gezahlt wurde. Schließlich haben Sie angegeben, dass die Familienkasse die Rückzahlung auf § 63 Abs. 1 S. 6 EStG stützt.
Für den Kindergeldanspruch sind nach § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG grundsätzlich nur Kinder zu berücksichtigen, die einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder in einem anderen EU- bzw. EWR-Staat oder in der Schweiz haben. Außerdem sind nach dem Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Kinder, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich haben, zu berücksichtigen, sofern der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt vor dem 01.01.2021 begründet wurde.
Wie Sie also selbst schon festgestellt haben, ist anspruchsberechtigt grundsätzlich nur, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (§ 62 Abs. 1 Satz 1 EStG). Ob ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vorliegt, prüft die Familienkasse auf Grundlage des AEAO zu § 8 EStG und § 9 EStG (sofern keine zwischenstaatlichen vorrangigen Vereinbarungen, z.B. NATO Truppenstatut, eingreifen).
Die Begriffe des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes stellen hierbei allein auf die tatsächlichen Verhältnisse ab. Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Ob im Einzelfall eine solche Benutzung vorliegt, ist unter Würdigung der Gesamtumstände nach den Verhältnissen des jeweiligen Anspruchszeitraums zu beurteilen; die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse in den Folgejahren ist nur zu berücksichtigen, soweit ihr Indizwirkung für die Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse im zurückliegenden Zeitraum zukommt (BFH vom 23.6.2015 III R 38/14, BStBl. 2016 II S. 102). Die bloße Absicht, einen Wohnsitz zu begründen oder aufzugeben, bzw. die An- und Abmeldung bei der Ordnungsbehörde entfalten allein keine unmittelbare steuerliche Wirkung (BFH vom 14.11.1969 III R 95/68, BStBl. 1970 II S. 153). Hat der Berechtigte eine Wohnung inne, die nach objektiven Maßstäben dauerhaft genutzt und beibehalten werden soll, kommt einem etwaigen Willen des Berechtigten, an diesem Platz keinen Wohnsitz begründen oder beibehalten zu wollen, keine Bedeutung zu (vgl. BFH vom 23.11.1988 II R 139/87, BStBl. 1989 II S. 182). Maßgeblich sind alleine die tatsächlichen Lebensverhältnisse.
Die An- und Abmeldung bei der Ordnungsbehörde können aber im Allgemeinen als Indizien dafür angesehen werden, dass der Berechtigte seinen Wohnsitz unter der von ihm angegebenen Anschrift begründet bzw. aufgegeben hat.
Ein Berechtigter kann gleichzeitig mehrere Wohnungen und mehrere Wohnsitze i.S.d. § 8 AO haben. 2Diese können im Inland und/oder Ausland gelegen sein. Zur Begründung eines steuerlichen Wohnsitzes im Inland ist nicht Voraussetzung, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet oder dass der Berechtigte von dort aus seiner täglichen Arbeit nachgeht (BFH vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl. II S. 447, und vom 18.12.2013 III R 44/12, BStBl. 2015 II S. 143). Für die Annahme eines Wohnsitzes auf Grund einer Zweit- bzw. Nebenwohnung ist es nicht erforderlich, dass diese der Erstwohnung hinsichtlich Größe und Ausstattung gleichrangig ist. Es ist dem begrenzten Zweck Rechnung zu tragen, dem die Zweit- bzw. Nebenwohnung dient.
Um eine Wohnung im Sinne des § 8 AO vorzuweisen, müssen Sie folgende Punkte gegenüber der Familienkasse für das Kind nachweisen:
Wohnung
Mit Wohnung sind stationäre Räumlichkeiten gemeint, die – mindestens im Sinne einer bescheidenen Bleibe – für den Berechtigten auf Dauer zum Wohnen geeignet sind. Weil „Bewohnen" mehr ist als „Aufenthalt" oder „Übernachtung", erfüllt eine nur kurzfristige, lediglich vorübergehende oder eine notdürftige Unterbringungsmöglichkeit den Wohnungsbegriff nicht. Nicht erforderlich ist eine abgeschlossene Wohnung mit Küche und separater Waschgelegenheit i.S.d. Bewertungsrechts bzw., dass das zur Wohnung gehörende Bad in den Wohnbereich integriert ist. In rechtlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln ausgestattet ist. Darauf, ob die Ausstattungsgegenstände vom Vermieter gestellt oder vom Mieter selbst beschafft worden sind, kommt es nicht an (BFH vom 14.11.1969 III R 95/68, BStBl. 1970 II S. 153).
Innehaben der Wohnung
Der Berechtigte muss die Wohnung innehaben. Danach muss die Wohnung in objektiver Hinsicht dem Berechtigten jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung stehen.
Nutzung zu Wohnzwecken
Die Nutzung muss zu Wohnzwecken erfolgen. Die Wohnnutzung muss weder regelmäßig noch über eine längere Zeit erfolgen; erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte bzw. unregelmäßige kurze Aufenthalte zu Erholungszwecken oder zu Verwaltungszwecken hinausgeht. Es ist nicht erforderlich, dass der Berechtigte sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr zu Wohnzwecken in der Wohnung aufhält (BFH vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl. II S. 447). Es muss nach dem Gesamtbild der Verhältnisse wahrscheinlich sein, dass der Berechtigte die Nutzung der Wohnung zu Wohnzwecken auch in der Zukunft fortsetzen wird. Hierin kommt u.a. ein Zeitmoment zum Ausdruck, Anhaltspunkte können aber auch Ausstattung und Einrichtung sein. Als Anhaltspunkt zur Bestimmung des Zeitmoments kann auf den in § 9 Satz 2 AO normierten Sechsmonatszeitraum zurückgegriffen werden (BFH vom 8.11.2014 III R 21/12, BStBl. 2015 II S. 135). Dieser Sechsmonatszeitraum kann auch jahresübergreifend sein. Wer eine Wohnung von vornherein in der Absicht nimmt, sie nur vorübergehend (für bis zu sechs Monate) beizubehalten und zu benutzen, begründet dort keinen Wohnsitz (BFH vom 30.8.1989 I R 215/85, BStBl. II S. 956). Entscheidend ist jedoch die Absicht des Berechtigten. Im Einzelfall kann daher auch ein tatsächlicher Aufenthalt von bis zu sechs Monaten als ein nicht nur vorübergehender anzusehen sein. Dann muss sich jedoch die ursprüngliche Absicht auf einen längeren Aufenthalt bezogen haben (BFH vom 30.8.1989 I R 215/85, BStBl. II S. 956).
Da die Mutter vorliegend im Ausland lebt und der Vater im Inland könnte man versuchen, vorliegend auf den Begriff des sog. Familienwohnsitzes abzustellen. Die Frage des Wohnsitzes ist zwar für jeden Berechtigten gesondert zu prüfen. Ein Ehegatte oder Lebenspartner, der jedoch nicht dauernd getrennt lebt, hat seinen Wohnsitz grundsätzlich dort, wo seine Familie lebt (BFH vom 6.2.1985 I R 23/82, BStBl. II S. 331). Diese Vermutung gilt regelmäßig unabhängig davon, welche räumliche Entfernung zwischen den Ehegatten oder Lebenspartnern besteht. Deshalb ist eine inländische Wohnung, die von einem Ehegatten oder Lebenspartner gelegentlich zu Wohnzwecken genutzt wird, auch dann ein Wohnsitz, wenn er sich zeitlich überwiegend im Ausland aufhält. Minderjährige Kinder teilen grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern, weil sie über die Haushaltszugehörigkeit eine abgeleitete Nutzungsmöglichkeit besitzen und damit regelmäßig zugleich die elterliche Wohnung i.S.d. § 8 AO innehaben.
Sollte die Mutter zusammen mit dem Kind einen Wohnsitz im Ausland begründet haben, bedeutet dies nicht automatisch, dass sie und das Kind hierdurch ihren Wohnsitz im Inland verloren haben. Wer einen Wohnsitz im Ausland begründet, hat auch im Inland einen Wohnsitz i.S.v. § 8 AO, sofern er die inländische Wohnung weiterhin unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, sie beibehalten und nutzen zu wollen (BFH vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl. II S. 447). Das Innehaben der inländischen Wohnung kann nach den Umständen des Einzelfalles auch dann anzunehmen sein, wenn der Berechtigte sie während eines Auslandsaufenthalts vorübergehend (bis zu sechs Monaten) vermietet oder untervermietet, um sie alsbald nach Rückkehr ins Inland wieder zu benutzen. Nach der Lebenserfahrung spricht es für die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes i.S.d. § 8 AO, wenn jemand eine Wohnung, die er vor einem Auslandsaufenthalt als einzige ständig nutzte, während desselben unverändert und in einem ständig nutzungsbereiten Zustand beibehält und zu Wohnzwecken nutzt oder nutzen kann. Von Bedeutung kann dabei auch sein, ob der Berechtigte nach Beendigung des Auslandsaufenthaltes mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wohnung wieder ständig nutzen wird (BFH vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl. II S. 447). Insoweit handelt es sich um eine Sachverhaltsvermutung, die vom Berechtigten widerlegt werden kann; ihm obliegt insoweit die Feststellungslast (BFH vom 17.5.1995 I R 8/94, BStBl. 1996 II S. 2).
Im Grundsatz ist es also so:
Ob ein Kind nun einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, hängt von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab. Ein minderjähriges Kind, das sich zusammen mit seinen Eltern im Ausland aufhält und bereits vor deren Ausreise mit seinen Eltern einen Wohnsitz im Inland hatte, behält diesen grundsätzlich bei, wenn auch die Eltern ihren Wohnsitz im Inland beibehalten.
Kann das Kind den Wohnsitz der Eltern im Inland indes aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht nur kurzfristig nicht aufsuchen, kann es dort (zunächst) auch keinen eigenen Wohnsitz begründen.
Hält sich das Kind im Ausland auf, reicht es für die Annahme eines (inländischen) Wohnsitzes nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht. Es muss eine Beziehung zur elterlichen Wohnung vorhanden sein, die über die allein durch das Familienverhältnis begründete Beziehung hinausgeht und erkennen lässt, dass das Kind die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet (BFH vom 17.3.1961 VI 185/60 U, BStBl. III S. 298) und sie innehat, um sie als solche zu nutzen (BFH vom 25.9.2014 III R 10/14, BStBl. 2015 II S. 655). Anderenfalls behält das Kind seinen inländischen Wohnsitz bei den Eltern nicht bei, sondern gibt ihn zunächst auf und begründet ihn bei einer späteren Rückkehr wieder neu.
Sie sehen also, die Beurteilung, ob ein Inlandswohnsitz beibehalten wird, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. So sind neben der Dauer des Auslandsaufenthaltes insbesondere das Alter des Kindes, die Unterbringung im Ausland und im Elternhaus, der Zweck des Auslandsaufenthalts, die Häufigkeit und die Dauer der Aufenthalte bei den Eltern sowie die persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern und im Ausland ausschlaggebend. Die Feststellung einer Rückkehrabsicht sagt grundsätzlich nichts darüber aus, ob der inländische Wohnsitz während des vorübergehenden Auslandaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird (BFH vom 23.11.2000 VI R 165/99 und VI R 107/99, BStBl. 2001 II S. 279 und S. 294).
Der Inlandswohnsitz wird auch dann beibehalten, wenn das Kind entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Ort des Auslandsaufenthalts) oder es zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt (BFH vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. 2001 II S. 294).
Bei Kindern, die sich von vornherein in einem begrenzten Zeitraum von bis zu einem Jahr im Ausland aufhalten, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der inländische Wohnsitz beibehalten wird, sodass Inlandsaufenthalte für die Beibehaltung des Wohnsitzes nicht erforderlich sind. Wird die Absicht zur Rückkehr innerhalb eines Jahres aufgegeben, so kann in diesem Moment eine Aufgabe des Wohnsitzes erfolgen (BFH vom 25.9.2014 III R 10/14, BStBl. 2015 II S. 655).
Um Ihren Fall abschließend beurteilen zu können, benötige ich auf dieser Basis mehrere Detailinformationen zu der Lebenssituation des Kindes. Die Familienkasse hat vorliegend den Zeitumstand (das Kind hält sich bereits seit über einem Jahr im Ausland auf) und die erfolgte Abmeldung als Indizien für den Verlust des Wohnsitzes angenommen. Aus Ihren Schilderungen kann ich aber erkennen, dass dies ursprünglich alles nicht so geplant war. Aus diesem Grund wäre hier zu prüfen, wann genau der inländische Wohnsitz „verloren gegangen" ist. Nur bis zu diesem Zeitpunkt wäre dann eine Rückforderung des Finanzamts auch tatsächlich begründet.
Unter diesen Umständen kann die Familienkasse sodann zu viel gezahltes Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO bei einer Änderung der Verhältnisse nach § 70 Abs. 2 S. 1 EStG auch rückwirkend von Ihnen zurückfordern.
Ich hoffe, Ihre Frage ausreichend beantwortet zu haben. Sollte Sie Rückfragen haben, können Sie gerne die kostenlose Nachfrageoption nutzen.
Über eine Bewertung würde ich mich sehr freuen!
Mit freundlichen Grüßen
Katharina Larverseder, LL.B.
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