Sehr geehrter Fragesteller,
zu Ihrer Anfrage nehme ich wie folgt Stellung:
I.
Inhalt des Erbvertrages
Der Erbvertrag, wie von Ihnen beschrieben, enthält folgende wesentliche Punkte:
1.
Aufhebung bisheriger Verfügungen von Todes wegen: Die Erschienenen heben alle bisherigen Verfügungen von Todes wegen auf.
2.
Gegenseitige Einsetzung als Alleinerben: Die Vertragspartner setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein.
3.
Vermächtnis bei Wiederheirat: Sollte der Längstlebende wieder heiraten, ist er verpflichtet, den Grundbesitz als Vermächtnis an die gemeinschaftlichen Kinder zu übertragen, wobei ihm ein lebenslänglicher Nießbrauch verbleibt.
4.
Beteiligung der Kinder nach gesetzlicher Erbfolge: Die Kinder sind an diesem Vermächtnis nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge beteiligt.
II.
Analyse der Rechtslage
1.
Vermächtnis und gesetzliche Erbfolge
Vermächtnis: Ein Vermächtnis (§ 1939 BGB) ist eine Zuwendung, die nicht mit der Erbenstellung verbunden ist. Der Vermächtnisnehmer erhält einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben auf Herausgabe des vermachten Gegenstandes.
Gesetzliche Erbfolge: Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn keine anderweitige Verfügung von Todes wegen getroffen wurde. Sie regelt die Verteilung des Nachlasses unter den gesetzlichen Erben (§§ 1924 ff. BGB).
2.
Bezeichnung als "Vermächtnis"
Die Bezeichnung "Vermächtnis" in Ihrem Erbvertrag könnte in der Tat irreführend sein, wenn die Absicht besteht, den Kindern den Grundbesitz im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge zu übertragen.
Ein Vermächtnis ist ein eigenständiges Instrument, das unabhängig von der Erbenstellung besteht. Wenn die Kinder als Erben im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge bedacht werden sollen, wäre eine klare Erbeinsetzung sinnvoller.
3.
Unnötige und verwirrende Festlegung
Die Festlegung, dass die Kinder nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge am Vermächtnis beteiligt sind, könnte unnötig und verwirrend sein, da ein Vermächtnis per Definition nicht im Rahmen der Erbfolge erfolgt. Diese Formulierung könnte missverstanden werden und sollte präzisiert werden, um die tatsächliche Absicht klarzustellen.
4.
Rechtliche Haltbarkeit und Erfolgsaussicht
Ihre Sichtweise, dass die Bezeichnung "Vermächtnis" in diesem Zusammenhang irreführend ist, hat rechtlich durchaus Substanz.
Es wäre ratsam, den Erbvertrag dahingehend zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, um Missverständnisse zu vermeiden und die tatsächlichen Absichten der Vertragspartner klar und eindeutig festzuhalten.
Eine Anpassung könnte die Erfolgsaussichten erhöhen, dass der Erbvertrag im Sinne der Erblasser umgesetzt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Raab
Rechtsanwalt
Antwort
vonRechtsanwalt Gerhard Raab
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Sehr geehrter Rechtsanwalt Raab,
vielen Dank für Ihre umfassende Antwort. Wenn die Bezeichnung „Vermächtnis" in diesem Zusammenhang irreführend ist, hat die Interpretation, dass es sich hier um eine generelle Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder handelt, Aussicht auf rechtlichen Erfolg? Der überlebende Ehegatte (mittlerweile auch verstorben) hat im Testament zwei der drei Kinder enterbt. Können diese, mit Bezug auf den Erbvertrag, das Testament anfechten? Einseitige Änderungen eines Erbvertrages, in diesem Fall durch das Testament, sind doch ggf. nicht möglich? Der Erbvertrag stammt aus dem Jahre 1976 und wurde von einem Notar erstellt und beglaubigt.
Sehr geehrter Fragesteller,
zu Ihrer Nachfrage nehme ich wie folgt Stellung:
I.
Auslegung des Testaments
Die Bezeichnung „Vermächtnis" kann in der Tat irreführend sein, wenn der tatsächliche Wille des Erblassers eine Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder war. Die Auslegung eines Testaments erfolgt nach dem wahren Willen des Erblassers (§ 133 BGB). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere der Wortlaut des Testaments und die äußeren Umstände bei dessen Errichtung.
1.
Wenn die Formulierung „Vermächtnis" im Testament verwendet wurde, aber der Kontext und der Wille des Erblassers auf eine Erbeinsetzung hindeuten, könnte eine Auslegung in diese Richtung rechtlich erfolgreich sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Wille des Erblassers eindeutig in diese Richtung geht.
2.
Anfechtung des Testaments
Die Anfechtung eines Testaments ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich, insbesondere wenn der Erblasser bei der Errichtung des Testaments einem Irrtum unterlag oder ein Pflichtteilsberechtigter übergangen wurde (§ 2078, § 2079 BGB).
In Ihrem Fall könnte die Anfechtung in Betracht kommen, wenn die Enterbung der beiden Kinder nicht dem tatsächlichen Willen des Erblassers entsprach oder diese Kinder pflichtteilsberechtigt sind und übergangen wurden.
3.
Bindungswirkung des Erbvertrags
Ein Erbvertrag, der notariell beurkundet wurde, hat eine starke Bindungswirkung.
Einseitige Änderungen durch ein späteres Testament sind grundsätzlich nicht möglich, wenn der Erbvertrag keine entsprechende Öffnungsklausel enthält.
Gemäß § 2289 BGB sind Verfügungen, die im Erbvertrag getroffen wurden, bindend, und ein späteres Testament kann diese nicht ohne weiteres ändern.
II.
Da der Erbvertrag aus dem Jahr 1976 stammt und notariell beglaubigt wurde, ist davon auszugehen, dass er eine starke Bindungswirkung entfaltet.
Wenn der Erbvertrag die Erbeinsetzung der Kinder vorsieht, könnte eine einseitige Änderung durch das Testament unwirksam sein, sofern keine abweichenden Regelungen im Erbvertrag getroffen wurden.
III.
Fazit
Die Erfolgsaussichten einer Anfechtung des Testaments oder einer Auslegung im Sinne einer Erbeinsetzung der Kinder hängen maßgeblich von den konkreten Formulierungen im Testament und Erbvertrag sowie dem erkennbaren Willen des Erblassers ab. Eine detaillierte Prüfung der Dokumente wäre erforderlich, um eine fundierte rechtliche Einschätzung abzugeben.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Raab
Rechtsanwalt