Sehr geehrte Ratsuchende,
1.
Wegen der gegenseitigen Erbeinsetzung im gemeinschaftlichen Testament ist davon auszugehen, dass es sich insoweit um wechselbezügliche Verfügungen im Sinne des § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2270.html" target="_blank">2270</a> Abs. 1, Abs. 2 <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/index.html" target="_blank">BGB</a> handelt.
Mit dem Tod seiner zweiten Ehefrau war Ihr Vater daher endgültig an seine wechselbezügliche Verfügung gebunden und konnte diese weder
widerrufen (§ <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2271.html" target="_blank">2271</a> Abs. 2 Satz 1 BGB) noch durch eine abweichende letztwillige Verfügung außer Kraft setzen (§ 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB
).
Nicht wechselbezüglich ist im Zweifel jedoch die Einsetzung der Schlusserben, so dass Ihr Vater insofern nicht gehindert war, sein Vermögen z.B. an die neue Lebensgefährtin zu vererben.
2.
Die Verfügung über den Nachlass kann innerhalb der Erbengemeinschaft nur gemeinschaftlich erfolgen, siehe § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2040.html" target="_blank">2040</a> Abs. 1 BGB, und auch die Verwaltung des Nachlasses wird gemäß § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2038.html" target="_blank">2038</a> BGB gemeinschaftlich ausgeübt.
Allerdings ist es im Rahmen der Notgeschäftsführung nach § 2038 Abs. 1 Satz 2
HS. 2 BGB durchaus auch den einzelnen Miterben ohne Mitwirkung der anderen erlaubt, solche Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um ein dem Nachlass gehörendes Recht zu erhalten. Die Anfechtung der Schenkung würde im Erfolgsfall den Wert des Nachlasses erhöhen, so dass eine solche Notgeschäftsführung durchaus zu bejahen sein kann, wenn gewisse Erfolgsaussichten bestehen.
Im Übrigen besteht aber auch die Möglichkeit eines Mehrheitsbeschlusses nach §§ 745
, 2038 Abs. 2 BGB
. Eine Anfechtung ist daher auch gegen Ihren Willen durchsetzbar, da auch die überstimmte Minderheit mitwirkungspflichtig ist. Erweist sich die beschlossene Maßnahme als ungeeignet, können Sie aber unter Umständen Aufwendungsersatz verlangen. Auf der anderen Seite können Sie sich schadensersatzpflichtig machen, wenn Sie die Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren verweigern und dadurch Nachteile entstehen.
Unbenommen bleibt jedoch Ihr Recht, jederzeit die Aufhebung der Erbengemeinschaft im Wege der Auseinandersetzung zu verlangen und sich auf diese Weise zur Wehr setzen, siehe § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2042.html" target="_blank">2042</a> BGB.
3.
Gegen die anderen Miterben können Sie wegen der Kürzung Ihres gesetzlichen Erbteils grundsätzlich Pflichtteilsansprüche geltend machen, hier in Form eines Zusatzpflichtteils gemäß § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2305.html" target="_blank">2305</a> BGB, wenn der Wert des Hinterlassenen geringer ist als die Hälfte Ihres gesetzlichen Erbteils (was dem gesetzlichen Pflichtteil entspricht). Die Differenz ist auszugleichen.
Nach Ihrem Beispiel (€ 30.000 Barvermögen) hätten Sie als einzige gesetzliche Erbin einen Anspruch in Höhe von je € 2.500, denn Sie erhalten nur € 10.000 aufgrund des Testaments, hätten aber einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von € 15.000
4.
Wegen der Schenkung steht Ihnen gegen die anderen (nicht pflichtteilsberechtigten) Miterben daneben ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2325.html" target="_blank">2325</a> Abs. 1 BGB zu, aber nur soweit der vorhandene Nachlass ausreicht.
Darüber hinaus haben Sie gegenüber der Lebensgefährtin des Erblassers einen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__2329.html" target="_blank">2329</a> Abs. 1 Satz 1 BGB.
Dieser Anspruch besteht nur dann, wenn eine wirksame Schenkung vorliegt.
Zu beachten ist ferner, dass der Anspruch begrenzt auf das bei der Beschenkten noch vorhandene Vermögen ist, diese kann also die Einrede der Entreicherung nach § <a class="textlink" rel="nofollow" href="http://bundesrecht.juris.de/bgb/__818.html" target="_blank">818</a> Abs. 3 erheben. So gesehen hätten Sie bei einer wirksamen Anfechtung das sicherere Recht, da der Wert der Eigentumswohnung dann von vornherein in den Nachlass fiele; Ihnen stünde dann nach Ihrem Beispiel ein Gegenwert von € 40.000 unmittelbar im Rahmen der Auseinandersetzung zu.
Andererseits fällt Ihr Anspruch höher aus, wenn keine Anfechtung erfolgt und Sie Ihre Forderung gegenüber der Lebensgefährtin durchsetzen können:
Denn die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs besteht in dem Betrag, um den sich Ihr (rechnerischer) Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Nach Ihrem Beispiel (€ 30.000 Nachlass, € 90.000 Schenkung) haben Sie also einen Anspruch in Höhe von € 45.000:
€ 120.000 fiktiver Nachlass, somit fiktiver Pflichtteil € 60.000, Differenz zum Pflichtteil (€ 15.000) = € 45.000.
Hinzu kommt der reguläre Erbteil sowie der Zusatzpflichtteil, insgesamt stünden Ihnen dann € 60.000 zu, also ein Betrag in Höhe des vollen Pflichtteils.
5.
Nach dem Niederstwertprinzip des § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB
wird die Immobilie mit dem Verkehrswert zu dem Zeitpunkt (Erbfall oder Schenkungsvollzug) angesetzt, zu dem sie den niedrigeren Wert hatte.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit der Beantwortung Ihrer Rechtsfragen weiterhelfen. Falls noch Unklarheiten bestehen, können Sie gerne von der Rückfragemöglichkeit Gebrauch machen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfram Geyer
Rechtsanwalt
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