Gerne zu Ihrem Fall, der mehrere rechtliche und tatsächliche Fragen aufwirft, die unter Berücksichtigung des (ggf. spez. hessischen) Mietrechts, des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) sowie der allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts zu betrachten sind. In der nachfolgend skizzierten Ausgangslage habe ich die in Ihrem Fall relevanten Eckpunkte fett unterlegt.
I. Ausgangslage
Sie nutzen seit 2014 eine nicht fest verbaute Voliere auf Ihrem Balkon, der wahrscheinlich zum Sondereigentum Ihrer Vermieterin gehört. Die Voliere dient der tiergerechten Haltung Ihrer Papageien und wurde nach Ihrer Darstellung mit mündlicher Zustimmung des damaligen Ansprechpartners (Vater der heutigen Vermieterin) installiert. Nun fordern Hausverwaltung bzw. die Eigentümergemeinschaft über Ihre Vermieterin, dass Sie diese bis zum 30.06.2025 entfernen, mit der Begründung, es handele sich um eine unzulässige (!?) bauliche Veränderung.
II. Bauliche Veränderung oder bloßes Mobiliar?
Ein zentrales Argument ist, ob die Voliere als bauliche Veränderung zu werten ist (§ 22 WEG a.F., § 20 WEG n.F.
Zitat:§ 20 WEG Bauliche Veränderungen
(1) Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden. (gekürzt)
in Verbindung mit §§ 14 ff. WEG). Dies wäre nur der Fall, wenn sie wesentlich in die Bausubstanz eingreift oder das äußere Erscheinungsbild der Wohnanlage nachhaltig verändert.
Argumente gegen die Einstufung als bauliche Veränderung:
Keine feste Verbindung mit dem Gebäude: Die Voliere ist verschraubt, nicht mit dem Gebäude fest verbunden, und in wenigen Minuten rückstandslos abbaubar. Dies spricht gegen eine bauliche Veränderung im juristischen Sinne.
Zubehör und nicht Bestandteil der Mietsache: Ein solches leicht entfernbares Element ist als sog. Scheinbestandteil oder gar nur als Mobiliar zu werten.
Optische Vergleichbarkeit mit anderen Vorrichtungen: Wenn Katzennetze und Plastikplanen – teils deutlich auffälliger – erlaubt sind oder zumindest geduldet werden, erscheint die Einschätzung der Voliere als „optisch störend" willkürlich.
Knackpunkt wäre mithin das Tatbestandsmerkmal "...oder das äußere Erscheinungsbild der Wohnanlage nachhaltig verändert."
Das kann ich - zumindest per Ferndiagnose - zu Ihrem Nachteil NICHT erkennen. Eine abschließende Beurteilung kann jedoch letztlich nur nach Ortsbesichtigung und Sichtung von Fotos erfolgen – ein rein äußerlicher Eindruck reicht für eine rechtssichere Bewertung nicht aus.
III. Genehmigung / Duldung / Verwirkung
Auch wenn man – rein hypothetisch – eine bauliche Veränderung annähme, greifen hier Verjährungs- und Duldungsgesichtspunkte:
Dauerhafte Nutzung seit 2014: Eine Nutzung über mehr als 10 Jahre wurde von niemandem beanstandet. Das spricht für eine konkludente Duldung durch die Eigentümergemeinschaft, i.d.R. vertreten durch die Verwaltung.
Rechtsinstitut der Verwirkung (§ 242 BGB): Wenn ein Recht über Jahre nicht geltend gemacht wird, obwohl der Rechtsinhaber davon weiß oder wissen müsste, kann dessen Durchsetzung später treuwidrig sein. Auch das Nachbarschaftsrecht des Landes Hessen, das auch im WEG Anwendung findet, sieht das nicht anders vor.
Zustimmung durch Vertreterin der Vermieterin: Auch wenn mündlich, liegt eine Form von Zustimmung zur Nutzung vor. Das mindert die Vorwerfbarkeit gegenüber Ihnen als Mieter. Allerdings wäre das im Innenverhältnis vorliegend zwar hilfreich - allerdings im Verhältnis zu der WE-Gemeinschaft leider nur sekundär.
IV. Verhältnismäßigkeit / Gleichbehandlung / Willkür
Ein weiteres starkes Argument ergibt sich aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung:
Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb andere „bauliche" Vorrichtungen – insbesondere mit dem erklärten Zweck der Taubenabwehr – akzeptiert werden, während Ihre Voliere nun beanstandet wird.
Wenn der angebliche Beschluss nicht allen Eigentümern bekannt ist und insbesondere keine ordnungsgemäße Einladung und Abstimmung in einer Eigentümerversammlung erfolgte, wäre der Beschluss nicht wirksam.
V. Handlungsmöglichkeiten für Sie bzw. Ihre Vermieterin
1. Schriftliche Stellungnahme an die Hausverwaltung durch Ihre Vermieterin:
Ihre Vermieterin sollte eine formale Stellungnahme abgeben, in der sie
- Auskunft über die angebliche Beschlusslage verlangt.
- die fehlende oder womöglich formwidrige Einbeziehung als Eigentümerin beanstandet,
- und auf die langjährige Duldung sowie fehlende bauliche Veränderung verweist. Letztlich ist nämlich Ihre Vermieterin aktiv legitimiert, um für Sie tätig zu werden.
2. Verlangen eines Nachweises des Beschlusses:
Fordern Sie über Ihre Vermieterin die Vorlage des vollständigen Protokolls der Eigentümerversammlung, in der der angebliche Beschluss gefasst wurde.
3. Gegendarstellung zur angeblichen Taubenförderung:
Erklären Sie sachlich, dass die Voliere Tauben fernhält und eine Entfernung zur Zunahme des Problems führen würde. Ggf. würde hier ein Sachverständigengutachten zielführend sein.
4. Unterstützung durch Nachbarn/Eigentümer:
Die von Ihnen erwähnte Nachbarin, die keine Kenntnis vom Beschluss hatte, kann als Zeugin auftreten oder Ihre Position durch eigene Stellungnahme stärken.
5. Rechtsberatung erwägen:
Im Falle einer fortgesetzten Forderung durch die Hausverwaltung sollten Sie oder Ihre Vermieterin rechtlichen Beistand (versierter Anwalt m/w. für Mietrecht/WEG-Recht) in Anspruch nehmen.
VI. Fazit
Sie verfügen über mehrere tragfähige Argumente, um die Forderung der Hausverwaltung zurückzuweisen:
Es liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine bauliche Veränderung vor.
Die Voliere ist seit über 10 Jahren geduldet, was eine nachträgliche Untersagung fragwürdig macht.
Der behauptete Beschluss der Eigentümergemeinschaft ist bisher nicht substantiiert nachgewiesen.
Gleichbehandlungsgrundsatz spricht gegen selektives Vorgehen.
Ihre Vermieterin steht Ihnen wohlwollend gegenüber und kann aktiv werden, ohne ihre Eigentümerrechte zu gefährden.
Ihnen gutes Gelingen wünscht,
Ihr
Willy Burgmer
- Rechtsanwalt
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen