Sehr geehrter Ratssuchender,
gerne beantworte ich Ihre Frage aufgrund Ihrer Sachverhaltsschilderung wie folgt:
Nach Ihrer Schilderung machen Sie Ausgleichsansprüche nach Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Art. 7 VO EG 261/2004 gegen die Fluggesellschaft wegen Nichtbeförderung geltend. Eine Nichtbeförderung des Fluggastes liegt dann vor, wenn die Beförderung verweigert wird, obwohl sich der Fluggast ordnungsgemäß mindestens 45 Minuten vor Abflug am Flugsteig mit einem bestätigten Ticket eingefunden hat und keine Gründe in der Person des Fluggastes liegen.
Nach Ihrer Schilderung sind Sie pünktlich am Check-In eingetroffen, die Mitnahme wurde Ihnen jedoch verweigert, da der Flug umgebucht wurde.
Soweit das Gericht nun von Ihnen verlangt, einen Beweis dahingehend zu führen, dass die Airline die Umbuchungen vorgenommen hat und nicht der Veranstalter, dürften Sie diesen Beweis durch die schriftliche Aussage des Veranstalters führen können, da nicht dieser – soweit ich Sie richtig verstanden habe – Beklagter ist, sondern vielmehr nur die Fluggesellschaft. Auch könnten Sie zusätzlich einen Mitarbeiter des Reiseveranstalters als Zeugen benennen, der bekunden kann, dass die Umbuchung gerade nicht durch den Reiseveranstalter vorgenommen wurde.
Eine vorherige Stellungnahme kann das Gericht nicht einholen, da es andernfalls die Beweislastregeln umgehen würde.
Da Sie richtigerweise mitteilten, den Beweis, wer die Umbuchung letztlich vorgenommen hat, nur schwer führen zu können, da Sie keine Einsicht in die internen Buchungsvorgänge der Fluggesellschaft haben, könnte vorliegend eine zu Ihren Gunsten eintretende Beweiserleichterung in Form der sog. „sekundären Beweislast" in Betracht kommen.
Danach darf sich der Gegner der (primär) darlegungspflichtigen Partei (also Ihnen) nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (vgl. u. a. BGHZ 86, 23
; BGHZ 100, 190
; BGHZ 163, 209
). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsachen unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (so BGH NJW 2008, 982
).
In diesem Fall dürfte ein einfaches Bestreiten durch die Fluggesellschaft nicht ausreichend sein.
Soweit Sie weiter schildern, das Gericht sei der Auffassung bei einer durch den Veranstalter erfolgten Umbuchung würde dieser Fall von der Richtlinie EG 261/2004 nicht erfasst sein, so dürfte diese Auffassung des Gerichts bedenklich sein.
Grund einer Nichtbeförderung i. S. v. Art. 4 VO EG 261/2004 ist u. a. die Verlegung des Fluggastes auf einen anderen Flug. Dies ergibt sich insoweit aus Art. 3 Abs. 2 b) VO EG 261/2004.
Dort heißt es, die Verordnung gilt „unter der Bedingung, dass die Fluggäste von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür".
Auf die Ursache der Verlegung des Fluges durch das Luftfahrtunternehmen ODER Reiseunternehmen kommt es nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 b) VO EG 261/2004 nicht an, so dass auch eine Umbuchung durch einen Reiseveranstalter ausreicht (so Führich, Reiserecht, 2. Aufl. 2011 Rn 266).
Nach Ihrer Sachverhaltsschilderung dürfte dies doch gerade der Fall sein, da Sie auf einen anderen Flug umgebucht wurden, wobei es nach Art. 3 Abs. 2 b) VO EG 261/2004 nicht darauf ankommen dürfte, ob die Umbuchung letztlich durch die Fluggesellschaft oder den Reiseveranstalter vorgenommen worden ist.
Ich würde Ihnen empfehlen, das Gericht unter Berufung auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 b) VO EG 261/2004 darauf hinzuweisen, dass es letztlich keinen Unterschied machen dürfte, wer die Umbuchung vorgenommen hat. Vorsichtshalber sollten Sie dennoch die beiden Ihnen vorliegenden schriftlichen Aussagen des Reiseveranstalters als Beweis für die Tatsache, dass die Umbuchung nicht durch den Veranstalter vorgenommen wurde, vorlegen und ggfls. noch einen Zeugen benennen.
Ihr Rechtsstreit dürfte auch berufungsfähig sein. Aufgrund des eingeklagten Betrages von insgesamt 800,00 € liegt der Streitwert über der Streitwertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
(600,00 €). Dem steht auch nicht entgegen, dass Sie 2 x 400,00 € eingeklagt haben, da mehrere in einer Klage geltend gemachten Ansprüche nach § 5 ZPO
zusammengerechnet werden.
Ich hoffe, Ihnen insoweit einen ersten Überblick verschafft zu haben.
Ich weise abschließend darauf hin, dass es durch Hinzufügen und Weglassen wesentlicher Umstände im Sachverhalt durchaus zu einer komplett anderen rechtlichen Bewertung kommen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Neubauer
Rechtsanwalt
Zunächst vielen Dank für die schnelle und ausführliche Beantwortung meiner Fragen.
Lediglich in einem Teil Ihrer Ausführungen bin ich mir umschlüssig und etwas verunsichert. Sie schreiben:
>> Auf die Ursache der Verlegung des Fluges durch das Luftfahrtunternehmen ODER Reiseunternehmen kommt es nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 b) VO EG 261/2004 nicht an, so dass auch eine Umbuchung durch einen Reiseveranstalter ausreicht (so Führich, Reiserecht, 2. Aufl. 2011 Rn 266). Nach Ihrer Sachverhaltsschilderung dürfte dies doch gerade der Fall sein, da Sie auf einen anderen Flug umgebucht wurden, wobei es nach Art. 3 Abs. 2 b) VO EG 261/2004 nicht darauf ankommen dürfte, ob die Umbuchung letztlich durch die Fluggesellschaft oder den Reiseveranstalter vorgenommen worden ist. <<
Genau dieser Punkt, ob es eine Rolle spielt, dass die Umbuchung letztlich durch die Fluggesellschaft oder den Reiseveranstalter vorgenommen worden ist, hatte der BGH dem EuGH vorgelegt (Az.: X ZR 96/06
).
Nachzulesen ist dies unter anderem hier:
http://lexetius.com/2008,2995
oder
http://beck-aktuell.beck.de/news/bgh-legt-eugh-frage-vor-ob-umbuchung-durch-reiseveranstalter-erstattungspflichtige-befoerderung
Ob sich der EuGH zu dieser Frage bereits geäussert hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Da dieser Sachverhalt für den vorliegenden Fall u.U. von grosser Bedeutung sein könnte, möchte ich Sie hierzu nochmals um eine Stellungnahme bitten.
Herzlichen Dank
P.S. Eigentlich hatte ich Sie gestern noch fragen wollen, ob es nicht unverhältnismässig ist, dass ein Gericht bei dem genannten Streitwert ein persönliches Erscheinen beider Kläger (oder eines Vertreters) anordnet, wenn diese über mehrere Hundert Kilometer zum Gerichtsort anreisen müssen.
Das hatte ich leider vergessen, und mir ist klar, dass es sich an dieser Stelle eigentlich um eine neue Frage handelt, die den Rahmen der obigen Nachfrage sprengt und für die ein neuer Einsatz geboten werden muss. Dazu bin ich auch gerne bereit - nur wie erreiche ich Sie dann direkt?
Viele Grüsse
Sehr geehrter Fragesteller,
gerne beantworte ich Ihre Nachfrage wie folgt:
Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass der EuGH die ihm vorgelegte Angelegenheit ohne Entscheidung gestrichen hat (Rechtssache C-525/08
), wobei das Verfahren durch den BGH daraufhin ohne Entscheidung erledigt wurde.
Der BGH war insoweit jedoch folgender Auffassung (vgl. BGH NJW 2009, 285
):
"Andererseits wird der Pauschalfluggast bei einer Verlegung (Umbuchung) vielfach nicht überprüfen können, wer die Änderung tatsächlich veranlasst hat, zumal wenn ihm dies nicht offengelegt wird, sondern er nur die Mitteilung erhält, dass eine Verlegung stattfinden soll. Dies könnte dafür sprechen, Verlegungen durch Dritte wie das Reiseunternehmen nicht anders zu behandeln als Verlegungen durch das Luftfahrtunternehmen. Zudem könnte die Beschränkung der Haftung auf Handlungen des Luftfahrtunternehmens dazu führen, dass die Verantwortung gegenüber dem Fluggast dem nicht haftenden Partner zugeschoben wird. Es erscheint daher denkbar, dass die Verordnung den Reisenden vor solchen Unsicherheiten bewahren und auch für diese Fälle einen einfachen Zugriff auf das Lufttransportunternehmen ermöglichen soll, mit dem der Reisende anlässlich seiner Beförderung ohnehin Kontakt aufnehmen muss. Ein solches Ergebnis entspräche auch einer in der deutschen reiserechtlichen Literatur vertretenen Meinung, nach der es Sinn und Zweck der Verordnung gebieten, die Verlegung (Umbuchung) als Nichtbeförderung anzusehen, da sonst das Luftfahrtunternehmen oder der Reiseveranstalter die Rechtsfolgen der Verordnung durch Verlegung auf spätere oder fremde Flugkapazitäten umgehen könnte (Führich, ReiseR, 5. Aufl. [2005], Rdnr. 1019; Lienhard, GPR 2004, 258 [261f.])".
Die Auffassung ist in der Rechtsprechung wohl nach wie vor umstritten. So war das LG Darmstadt in seinem Urteil vom 12.07.2006 der Auffassung, "ein Teilnehmer einer Flugpauschalreise habe keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen wegen Nichtbeförderung, wenn nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen sondern der Reiseveranstalter den Reisenden gegen seinen Willen auf einen anderen Flug umgebucht, und der Reisende diesen nicht wahrgenommen hat. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 sieht nicht vor, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen für Umbuchungen des Reiseveranstalters, auf die es selbst keinen Einfluss hat, haftet" (RRa 2006, 228
).
Dagegen vertrat das AG Düsseldorf in erster und das LG Düsseldorf in zweiter Instanz die Auffassung, "die Verordnung sei gemäß Art. 3 anwendbar, weil das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist und der Kläger und seine Frau einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mietgliedstaates durchführen wollten (Art. 3 Abs. 1). Die Beklagte ist gemäß Art. 2 lit. b) ausführendes Luftfahrtunternehmen, weil sie den Flug für den Reiseveranstalter des Klägers durchführen sollte. Die in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung alternativ normierten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Verordnung sind ebenfalls erfüllt, weil der Kläger und seine Frau von ihrem Reiseveranstalter als "Reiseunternehmen" im Sinne von Art. 2 lit. d) von dem Flug der Beklagten mit der Flugnummer X auf einen anderen Flug verlegt wurden (Art. 3 Abs. s lit. b)). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Anwendbarkeit der Verordnung auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 3 ausgeschlossen. Auch der von einem Pauschalreisenden mittelbar gezahlte Flugpreis ist für die Öffentlichkeit jedenfalls mittelbar durch Buchung einer entsprechenden Pauschalreise verfügbar. Im Übrigen soll sich der Schutz der Verordnung nach Erwägungsgrund Nr. 5 ausdrücklich auch auf Flüge im Rahmen von Pauschalreisen erstrecken. Ein Ausschluss nach Art. 3 Abs. 3 würde aber jeden in einer Pauschalreise enthaltenen Flug erfassen (RRa 2007, 38
; RRa 2008, 45
). Auch das AG Rüsselsheim ging in seinem Urteil vom 07.11.2006 davon aus, dass ein Luftfahrtunternehmen sich mit einem solchen Hinweis nicht von der Haftung befreien kann (RRa 2007, 47
).
Unabhängig von dieser Problematik sollte Ihnen gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass ein Pauschalfluggast letztlich nicht überprüfen kann, wer die Änderungen vorgenommen hat, zumindest eine Beweiserleichterung zukommen. Wie dies letztlich das für Sie zuständige Amtsgericht sieht, kann ich natürlich von hieraus nicht beurteilen. Sie sollten aber in jedem Fall die schriftlichen Aussagen des Veranstalters als Beweis vorlegen. Auch sollten Sie versuchen, unter Hinweis auf die oben genannten - für Sie positiven - Urteile, das Gericht von dieser Rechtsauffassung zu überzeugen, wobei ich natürlich nicht beurteilen kann, wie sich das Gericht in Ihrem Fall letztlich entscheiden wird.
Hinsichtlich des persönlichen Erscheinens weise ich darauf hin, dass dies nicht streitwertabhängig ist, sondern nach § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO
angeordnet werden soll, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Dies dürfte in Ihrem Fall nicht unwahrscheinlich sein, so dass es wohl sinnvoll wäre, den Termin persönlich wahrzunehmen.
Nach § 141 Abs. 1 S. 2 ZPO
kann das Gericht unter anderem wegen Unzumutbarkeit bei großer Entfernung von der Anordnung absehen. Sie könnten versuchen, einen Antrag auf Entbindung des persönlichen Erscheinens stellen, dies würde sich meines Erachtens jedoch nur dann anbieten, falls Sie anwaltlich vertreten sind, da Sie anderenfalls auf die Verhandlung keinen Einfluss nehmen könnten.
Sollten Sie in dieser Sache weitere Hilfe benötigen, können Sie mich gerne per eMail oder Telefon kontaktieren.
Mit freundlichen Grüßen
Neubauer
Rechtsanwalt