Sehr geehrter Fragesteller,
es ist grundsätzlich so: eine Kann-Vorschrift ist eine Ermessensregelung, wobei das Ermessen letztendlich durch die Behörde, also durch ein Organ der Exekutive, ausgeübt wird. Der Bürger hat keinen direkten Anspruch auf die Rechtsfolge, sondern ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde. Die Gewaltenteilung ist in Art. 20 GG
umschrieben. Es ist der Gesetzgebung nicht verwehrt, Aufgaben auf die Behörde abzuwälzen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 darf ein Hilfebedürftiger nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist. Dieser Leistungsanspruch muss zudem so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (vgl BVerfG, 10.11.1998, 2 BvL 42/93
, BVerfGE 99, 246
<261>).
Nach dieser Entscheidung können sowohl die Exekutive als auch die Legislative als Organe des Staates agieren. Dadurch wird das Prinzip der Gewaltenteilung nicht verletzt.
Dem Hilsbedürftigen muss ferner ein subjektives (absolutes) Recht eingeräumt sein. Das ist ein Recht, dessen Erfüllung man auch verlangen kann. Aber auch Ermessensleistungen gem. § 40 Abs. 2 SGB I
stellen Rechtsansprüche auf Leistung dar. Wenn eine Ermessensleistung versagt bleibt, kann eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben werden. Alleine deswegen kann man noch nicht auf die Verfassungswidrigkeit der Vorschirft und Nichtvereinbarkeit mir der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht plädieren.
Allerdings hat nach der besagten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG
als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG
neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG
auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.
Das bedeutet, dass das Grundrecht gem. Art. 1 GG
in Kombination mit der Gewaltenteilung und daraus folgenden Verantwortungsbereichen berücksichtigt werden muss. Dem Gesetzgeber ist gestattet, die Erbringungen von Sozialleistungen zu gestalten. Nach der Entscheidung des BVerfG muss aber das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt sein. Das ist aber dann unmöglich, wenn eine vollständige Leistungssperre verhängt wird. Sie hat nichts mit der Gestalltung der Leistungserbringung zu tun, weil die Folgen der Anspruchssperre vollständig der Hilfsbedürftige zu tragen hat. Die im nächten Satz gesetzten und von Ihnen angesprochen Ermessensvorschrift ist nur die Korrektur des verangegangenen Satzes, bzw. nur die Milderung der Folgen des dadruch gefährdeten Existenzminimums. Danach sei bereits durch eine einfache Erklärung möglich, eine andere Entscheidung der Behörde herbeizuführen. Da aber diese Regelung auch die Möglichkeit miteinschließt, die der Behörde ermöglicht, das Existenzminimum des Einzelnen nicht zu leisten und das Bundesverfassungsgericht solche Regelungen als Gestaltungsspielraum ausdrücklich ausgeschlossen hat, kann ich mich Ihnen nur noch anschließen. Wenn der Gesetzgeber unter neuen gesellschaftlichen Umständen die Sozialleistungen gestaltet, dann hat er Bedürfnisse der Hilfsbedürftigen, die das Existenz ermöglichen, zu beachten. Dem ist aber in dieser Vorschrift nicht Genüge getan.
Man muss auch das Zusammenspiel von Rentenrecht und Einkommenssteuer beachten. In die Rentenkasse wird bis zu 21% des Geesamtbruttoeinkommens des Nichtsebständigen eingezahlt. I die Einkommenssteuerkasse wird auch um 30 % des Bruttoeinkommens eingezahlt. Der Staat hat riesieges Anlagevermögen in diversen Werten. Die Rentenkassen sind auch noch nicht leer, Steuer wird auch ordentlich bezahlt. Es gibt nach meiner Einschätzung auch keinen Grund dermaßen tief in die Existenz der Hilfsbedürftigen einzugreifen. Es wäre besser das Anlagevermögen aufzulösen, als die Schwächtsen zuerst zur Kasse zu bitten.
Ich hoffe, Ihnen einen ersten Einblick in die Rechtslage ermöglicht zu haben.
Vielen Dank
Ist es nun richtig, dass man unabhängig des Versäumnisses des Leistungsbezieher hier eine Muss Vorschrift einfügen muss, damit die Kompensation durch Wegall der Regelleistung nach Urteil des Verfassungsgerichts gewahrt bleibt ?
Meine Frage war weiterhin, ob sie den genauenWortlaut der Reform kennen und ob diese Regelung der Lebensmittelgutscheine in Par 31 Abs. 3 SGB II weiterhin entweder verfassungswidrig oder sogar garnicht mehr enthalten sein wird ?
Vielen Dank für die Nachfrage!
Das Bundsverfassungsgericht hat ausgesprochen, dass der STAAT, also nicht etwa die Legislative, dem Einzelnen ein subjektives Rechts einräumen muss. Also dem Staat, der sich aus 3 unabhängigen Gewalten zusammensetzt, ist nicht verwehrt, die Verantwortung hinsichtlich des einzelnen Hilfebedürftigten auf die Exekutive bzw. auf die Behörde zu übertragen. Diese Verantwortungsübertragung geschieht durch Einräumung des Ermessens, also durch Einfügen einer Kann-Vorschrift in das Gesetz. Insoweit ist keine Verfassungswidrigkeit zu erkennen. Diese ist aber dann zu bejahren, wenn der Behörde das Recht eingeräumt wird, durch eine Kann-Vorschrift vollständig die Leistung zu sperren. Das ist hier der Fall, wobei die Korrektur der vollständigen Sperre in den nachfolgenden Sätzen zustandekommt. Mit anderen Worten: die Behörde kann die Leistung bis zu einem gewissen Grad sperren oder ausschließen. In diesem speziellen Fall ist der Exekutive zu Unrecht, die Möglichkeit eingeräumt, durch eine Kann-Vorschrift die Leistungen vollständig zu sperren. Also problematisch ist nur, dass sie Vorschrift auch eine vollständige Sperre ermöglicht. Insoweit wurde ich meinen, dass die Kann-Vorschrift nicht ausgeschlossen ist, sondern, dass sie in der Form ausgeschlossen ist.
Um dies besser zu verstehen, ist das Zusammenspiel des Steuerrechts und Sozialrecht zu beachten. Das Steuerrecht regelt die Einnnahmen des Staates, während das Sozialrecht in einem erheblichen Teil die Ausgaben regelt, Sie bilden sozusagen ein Spiegelbild zueinander. Bezüglich des Höhe des Steuersatzes hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es dem Staat überlassen ist, die Höhe des Steuersatzes zu bestimmen. Der Steuerpflichtige darf aber nicht durch die Steuerschuld erdrosselt werden. Im Sozialrecht hat das Bundesverfassungsgericht eben entschieden, dass das Existenzminimum gewährt werden muss. Dem Gesetzgeber wurde auch ein Gestaltungsspielraum eingeräumt. Auch die Entscheidungen des Bundsverfassungsgerichts spiegeln die Verhältnisse wieder.
Meine Frage war weiterhin, ob sie den genauen Wortlaut der Reform kennen und ob diese Regelung der Lebensmittelgutscheine in Par 31 Abs. 3 SGB II weiterhin entweder verfassungswidrig oder sogar garnicht mehr enthalten sein wird ?
Die Lebemsmittelgutscheine wurde erstmals im Gesetztesentwurf der Grünen BT-Drs. 15/1516, S. 61
erwähnt. Sie stellen geldwerte Sachleistugen dar. DAs ist legitim. Sie verstoßen auch nicht gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Solche Leistungen der Bundesagentur für Arbeit ermöglichen gerade das Existenzminimum. In der Literatur wird die Frage der VErfassungsmäßigkeit der Vorschrift nicht diskutiert. Vielmehr wird mit § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II
argumentiert, wonach das Existenzminimum gewährt werden muss (Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 31 SGB II
Rn. 48). Die Bundesagentur geht in ihren Hinweisen( 31.19) davon aus, dass durch die angemessenen Leistungen der Anteil für Ernährung und Gesundheitpflege sichergestellt werden muss (Spellbring, Kommentar zum SGB II, aaO). Es ist auch damit zu rechnen, dass die Regelung erhalten bleibt.
Diese Beratung dient einer ersten Orientierung in der Rechtslage und kann eine persönliche anwaltliche Beratung nicht ersetzen.
Mir freundlichen Grüßen