Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Frage 1:
("Bedeutet das nun das das BVerfG so ein Prozess der sich darauf stutzt gewissermaßen auch noch Abschluss ablehnen kann oder akzeptiert es hier die Möglichkeit der Widerspruchslösung die durch den bgh 1992 festgelegt wurde ?")
Das BVerfG hat ausweislich seiner Beschlüsse vom 07.12.2011 - 2 BvR 2500/09
, 2 BvR 1857/10
keine Bedenken gegen die Widerspruchslösung des BGH:
"1a. Ob rechtswidrig erhobene oder erlangte Informationen in einem Strafverfahren verwertet werden können, bemisst sich am Recht auf ein faires Verfahren (zu diesem Recht vgl etwa BVerfG, 15.01.2009, 2 BvR 2044/07
, BVerfGE 122, 248
<271>). Denn die Frage eines Verwertungsverbotes kann sich auch in Bezug auf Informationen stellen, deren Gewinnung oder Verwertung nicht oder nicht allein das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten berühren. (Rn.115)
1b. Von Verfassungs wegen ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn der Rechtsverstoß dazu führt, dass der Angeklagte Gang und Ergebnis des Verfahrens nicht mehr hinreichen beeinflussen kann, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. (Rn.117)
1c. Die Abwägungslösung des BGH (vgl etwa BGH, 11.11.1998, 3 StR 181/98
, BGHSt 44, 243
<248 f>) und die Kriterien, die der BGH in deren Rahmen bei der Prüfung eines Verwertungsverbotes heranzieht, entsprechen den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergeben. Auch begegnet es keinen Bedenken, dass der BGH ein Verwertungsverbot hinsichtlich rechtswidrig erlangter Informationen von einem Widerspruch in der Hauptverhandlung abhängig macht. (Rn.123)".
(BVerfG, Beschluss vom 07. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09
, 2 BvR 1857/10
–, BVerfGE 130, 1
-51, juris)
Frage 2:
("Wäre es daher möglich ein solches Verfahren auch bei fehlenden Widerspruch wegen des fehlenden Anfangsverdachtes aufgrund der Beweisverbote beim BVerfG anzufechten und so ein Urteil auflösen zu lassen ?")
Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09. November 2010 – 2 BvR 2101/09
–, juris). Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09. November 2010 – 2 BvR 2101/09
–, juris). Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl. BVerfGE 34, 238
<245 f.>; 80, 367
<374 f.>; 109, 279
<320>). Ob ein Sachverhalt zum unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung oder zu jenem Bereich des privaten Lebens, der unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offen steht, zuzuordnen ist, lässt sich nicht abstrakt beschreiben, sondern kann befriedigend nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falls beantwortet werden.
Insoweit ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Rechtslage im Einzelnen nachzuprüfen. Die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts ist Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen, soweit bei der zu treffenden Entscheidung nicht Willkür vorliegt oder spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, möglicherweise fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten liegen oder die einfachrechtliche Beurteilung darf unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar sein
(BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09. November 2010 – 2 BvR 2101/09
–, juris).
Zusammenfassend lässt sich ausführen, dass es nach Auffassung des BVerfG in erster Linie Sache der Fachgerichte ist zu beurteilen, ob sich der Anfangsverdacht auf ein Beweisverwertungsverbot stützt. Das BVerfG überprüft die Entscheidung der Fachgerichte nur darauf, ob sie gerade auf einer Nichtbeachtung von Grundrechten beruht oder unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar, also willkürlich, ist. "Einfache" Rechtsfehler, die keinen Bezug zun Grundrechtsverletzungen haben oder auch nur strittige Gesetzesauslegungen hinsichtlich der Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt oder verletzt wurde, prüft das BVerfG demnach nicht nach.
Frage 3:
("Bedeutet das also, daas bei Dingen die den Kernbereich betreffen, kein Widerspruch erforderlich ist und der fehlende später bei einer Revision nicht zum Verhängnis wird ?")
Der BGH nimmt zu dieser Frage in seinem Beschluss vom 07.03.2006 - 1 StR 316/05
folgendermaßen Stellung:
"10
Gelangt der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung (vgl. BVerfGE 109, 279
; Senat NJW 2005, 3295
) berührt ist und deshalb ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, so sieht er von der Aufnahme des Beweises ab. Wollen die Verfahrensbeteiligten - weil sie anderer Ansicht sind - gleichwohl den Beweis erheben lassen, so müssen sie einen hierauf gerichteten Antrag stellen. Auch über ein derartiges Verwertungsverbot kann der Angeklagte disponieren, soweit allein seine eigene Sphäre tangiert ist (vgl. Senat NJW 2005, 3295
, 3298).
11
Hat der Tatrichter im Übrigen Bedenken gegen die Verwertbarkeit, kann er darauf verzichten, dieses Beweismittel zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen. Es ist ihm, auch wenn er aus Rechtsgründen dazu nicht verpflichtet ist, nicht verwehrt, die Verfahrensbeteiligten entsprechend zu unterrichten. Wollen die Verfahrensbeteiligten gleichwohl das Beweismittel in die Hauptverhandlung einführen, so müssen sie dies beantragen.
12
Ordnet der Vorsitzende die Aufnahme des Beweises an, so müssen die Verfahrensbeteiligten, wenn sie ein Verwertungsverbot geltend machen wollen, der Anordnung widersprechen und gegebenenfalls einen Gerichtsbeschluss nach § 238 Abs. 2 StPO
herbeiführen."
Demnach beurteilt der Vorsitzende also nach seinem Ermessen, ob ein Beweisverwertungsverbot wegen Eingriffs in den grundrechtkich geschützten Kernbereich der Persönlichkeitssphäre vorliegt. Bejaht er dies, so unterlässt er eine Beweisaufnahme, wobei es ihm freigestellt ist, die verfahrensbeteiligung über seine Beweggründe zu unterrichten.
Kommt er zu einer gegenteiligen Auffassung, erhebt er Beweis. Dann ist es Aufgabe der Verfahrensbeteiligten, gegen die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung Widerspruch zu erheben, wenn sie keine revisionsrechtlichen Nachteile erleiden wollen.
Es ist daher dringend davor abzuraten, im Falle einer Beweiserhebung von einem Widerspruch abzusehen, in der Erwartung, die für unzulässig gehaltene Beweiserhebung werde in der Revisionsinstanz schon zu einer Aufhebung des Urteils führen.
Es kann, davon abgesehen, auch passieren, dass die Revisionsinstanz im Einzelfall das Vorliegen eines Kernbestandes bzw. eines Eingriffs in denselben verneint und hier zu einer abweichenden Bewertung als der Revisionsführer gelangt.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Vielen Dank,der Fokus liegt also tatsächlich bei den Instanzen, dass heißt wohl bis zum BGH als Revisionsinstanz.
Sie schreiben " ..Demnach beurteilt der Vorsitzende also nach seinem Ermessen, ob ein Beweisverwertungsverbot wegen Eingriffs in den grundrechtkich geschützten Kernbereich der Persönlichkeitssphäre vorliegt. Bejaht er dies, so unterlässt er eine Beweisaufnahme, wobei es ihm freigestellt ist, die verfahrensbeteiligung über seine Beweggründe zu unterrichten. .."
Das BVerfG hat also den Kernbereich ausgeformt und die Gerichte füllen das sozusagen mit Leben.
Die "nackte Existenz" des Grundrechtes hat indes das BVerfG "erfunden" aus der Verfassung.
So wie ich sie nun verstehe beruht die Entscheidung des BGH von Ferner genau auf das obige zitierte von ihnen, dass ein Richter im Falle des Kernbereichs ausnahmsweise von Amtswegen gewissermaßen den Beweis " unter den Tisch fallen lässt" und hierbei wäre die Widerspruchslösung nicht in jedem Fall nötig, obwohl sie besser wäre.
Sehe ich das richtig, gibt es hier die Anweisung an die Richter das sie auf diesen unmittelbaren Kernbereich achten müssen und hier keine Lastenumkehr und Widerspruch noötig ist ? (Dornach, Der Strafverteidiger als Mitgarant eines justizförmigen Strafverfahrens, 1994, 190. )
In einem späteren Revisionsverfahren hätte man dann also ein Grund zur Revision wenn ein Richter trotzdem beweise zulasst, die dem Kernbereich unterliegen, obwohl im Vorfeld nicht widersprochen wurde.
Bzgl ihrer Angaben zum Anfsngsverdacht hätte ich gerne gewusst, wenn sich das nur auf Beweise stützt die aus dem Kernbrreich kommen, wäre dann also aufgrund § 170 StPO
hier hätte garnicht erst ermittelt werden dürfen ? Stichwort: Fernwirkung bei Beweiswn aus dem Kernbereich die das BVerfG auch aus dem großen Lauschangriff-Urteil, ablehnte.
Kurzum, wäre ein ergangenes Urteil was ursprünglich ohne Anfangsverdacht zustandekam, hier eine grobe verfassungsrechtliche Verletzung, also wäre es möglich ein solches Urteil wegen Verletzung des § 170 StPO
bzw schon bei einfachen Verdacht, anzufechten ?
Sehr geehrter Fragesteller,
das BVerfG weist den Instanzgerichten die Aufgabe zu, selbst zu beurteilen, ob eine Beweiserhebung unzulässig oder unverwertbar ist, weil sie wegen Eingriffs in den grundrechtlich geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts gegen ein Erhebungs- oder Verwertungsverbot verstößt.
Nimmt das Gericht - aus der Sicht der Verteidigung bzw. des Angeklagten - rechtsfehlerhaft eine Beweiserhebung oder -verwertung vor, weil es keine Kernbereichsverletzung sieht, so ist der Verteidiger gleichwohl gehalten, Widerspruch zu erheben.
Wenn das Gericht keinen Anfangsverdacht sieht, weil es Beweise für nicht verwertbar hält, darf es das Hauptverfahren erst gar nicht eröffnen. Eröffnet das Gericht das Hauptverfahren, sieht es eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit und hält die von der Staatsanwaltschaft mit der Anklageschrift vorgelegten bzw. angebotenen Beweismittel für ausreichend, um den Tatnachweis zu führen. Dann geht das Gericht nicht davon aus, dass einer Verurteilung ein Beweisverbot entgegensteht.
Der Beschluss, durch den das Gericht das Hauptverfahren eröffnet, ist für den Angeklagten nicht anfechtbar, § 210 Abs. 3 StPO
.
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren nicht einzustellen und Klage zu erheben (§ 170 Abs. 1 StPO
), ist ebenfalls nicht anfechtbar. Tritt durch Erhebung der öffentlichen Klage nach Einlegung einer Beschwerde ein Zuständigkeitswechsel vom Ermittlungs- zum Strafrichter ein, ist die Beschwerde gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters gegenstandslos und prozessual überholt (LG Darmstadt, Beschluss vom 31.01.2011 - 3 Qs 66/11
, 3 Qs 66/11
- 1100 Js 95011/10
).
Lediglich vor Erhebung der Klage kann gegen einztelne Ermittlungsmaßnahmen - z.B. Durchsuchungsbeschlüsse - Beschwerde eingelegt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Neumann
Carsten Neumann
Rechtsanwalt