Widerruf Einzelveranlagung Ehegatte, rückwirkende Zusammenveranlagung 2015-2018
10. November 2022 12:31
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70,00 € |
Beantwortet von
Fragestellung:
Lassen sich im unten geschilderten Fall die bereits erfolgten Einzelveranlagungen des Ehegatten der Steuerjahre 2015 -2018 ganz oder teilweise widerrufen sodass rückwirkend als Ehepaar zusammenveranlagt werden kann!? Wenn ja, wie ist der Ablauf bzw. welche Anträge sind zu stellen bzw. auf was muss ich achten wenn ich einen Steuerberater mandatiere!
Zur Sache:
Meine Frau und ich sind seit 28.5.2016 verheiratet, wir befanden uns bis zu unserer Heirat seit 2008 ununterbrochen in einer (nicht eingetragenen) Lebenspartnerschaft und wohnen auch seitdem zusammen. Am 24.10.2017 wurde unsere Tochter geboren.
Ich bin seit Anfang 2011 selbständig und habe stets und unsinnigerweise bis einschließlich zum Jahr 2018 die Einzelveranlagung gewählt, für 2019 wurde nun erstmalig die Zusammenveranlagung durchgeführt, der Bescheid liegt uns vor, alles passt wie eingereicht, wir haben eine Steuererstattung erhalten!
Meine Frau wurde nun von der Finanzverwaltung mit Schreiben vom 20.10.2022 wie im Folgenden zitiert zur Abgabe der Steuererklärungen aufgefordert:
"Ihr Ehemann hat für die Veranlagungszeiträume 2016 -2018 die Einzelveranlagung zur Einkommensteuer beantragt, in Folge sind Sie ebenfalls verpflichtet, die entsprechenden Einkommensteuererklärungen (Einzelveranlagungen) zu übermitteln. Ich stelle Ihnen anheim, sich hierfür eines steuerlichen Beraters zu bedienen.
Als Termin habe ich mir den 18.11.2022 vermerkt."
Wir haben vor 2 Tagen diesbezüglich Fristverlängerung bis 19.12.2022 beantragt, mit der Hoffnung dass dem so entsprochen wird!
Ich würde nun gerne meine Einzelveranlagung für die Jahre 2015 -2018 widerrufen um dann mit meiner Frau zusammenveranlagen, da dies die gesamte Steuerlast deutlich mindern würde!
Besonderheit: Datenpanne bei der Finanzverwaltung
Im Rahmen einer telefonischen Anfrage bei der Finanzverwaltung am 8.8.22 bzgl. der Zusammenveranlagung 2019 ist allen Beteiligten die folgende Datenpanne aufgefallen, nämlich dass meine Frau seit einschl. dem Veranlagungszeitraum 2015 keine Ek.-Steuererklärung mehr abgegeben hat. Es wurde festgestellt, dass sie auch nicht von Seiten der Finanzverwaltung zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert wurde (... was sie, das wissen wir nun, nicht von der Verpflichtung zur Abgabe entbindet!). Der freundliche Mitarbeiter hat kommuniziert, dass hier wohl Informationen verloren gegangen sind weil ein Häkchen bzgl. einer „Kennziffer" nicht richtig gesetzt wurde und die Gleichschaltung unserer beider Steuerakten als Eheleute NICHT gegeben war. Auch war wohl die Namensänderung? bzw. Heirat nicht bekannt!?
Im November 2016 haben wir aufgrund der Heirat am 28.5.2016 die Aufteilung der Steuerklassen III-Ehefrau und V-Ehemann beantragt. In diesen Steuerklassen werden wir seit einschl. DEZ 2016 geführt.
Ich als Ehemann habe in meinen EkSt.-Erklärungen (Einzelveranlagung) der Jahre 2015-2018 keine Angaben zum Beziehungsstatus gemacht. Leider wissen wir nicht mehr in welcher Form wir die Änderung der Steuerklassen Ende 2016 beantragt haben, telefonisch oder per Formular bzw. über den Arbeitgeber meiner Frau!? Wie auch immer, der Finanzverwaltung war wohl bis zum oben genannten Telefonat die Tatsache der Eheschließung im Mai 2016 nicht bekannt. --> Wäre somit unsere Eheschließung in 2016 aus Sicht der Finanzverwaltung eine "NEUE TATSACHE"!?
Würde die Eheschließung in 2016 die "Besondere Veranlagung" meiner Frau im gleichen Steuerjahr ermöglichen?
Tabelle unserer Einkommens- und Steuerdaten 2015 -2018:
--------------Veranlagung--------EkSt.-Bescheid--------Steuerklasse--------Bruttolohn-----Zu versteuerndes
Ehefrau-------------------------------ergangen------------lt. LSt.-Besch.----------- Jahr--------------Einkommen
2018_________offen_______________NEIN_________________III_____________+17.775 €
2017_________offen_______________NEIN_________________III_____________+38.931 €
2016_________offen_______________NEIN________________I/III*___________+50.359 €
2015_________offen_______________NEIN__________________I_____________+50.323 €
--------------Veranlagung--------EkSt.-Bescheid--------Steuerklasse--------Bruttolohn-----Zu versteuerndes
Ehemann------------------------------ergangen-----------lt. LSt.-Besch.--------Gew./Verl.----------Einkommen
2018________Einzelv._____________03.08.20_______________V_______________-2.533 €__________-2.533 €
2017________Einzelv._____________17.05.19_______________V_______________-1.793 €__________-3.032 €
2016________Einzelv._____________02.05.18______________I/V*____________+16.695 €_________+5.702 €
2015________Einzelv._____________30.05.17_______________I________________-5.231 €__________-8.301 €
* Der Wechsel der Steuerklassen erfolgte erstmalig für Dez. 2016!
In den Steuerjahren 2018 - 2019 gab es Progressionseinkünfte in Form von Elterngeld:
Jahr----------Ehemann-------------Ehefrau
2019_______+3.844€___________+1.519€
2018_______+4.485€__________+12.926€
Bei meinen Recherchen zu dem Thema bin ich auf folgende Fachtexte bei den entsprechenden Quellen gestoßen:
https://brodbeck-dd.de/wahl-der-veranlagungsart/
Zitat Abs. 2: ... Die Wahl der Zusammenveranlagung muss gemeinsam erfolgen. Sollte einer der beiden Ehegatten die Einzelveranlagung wählen, so ist auch der andere zur Einzelveranlagung verpflichtet. Dieser Antrag auf Einzelveranlagung ist rechtsunwirksam, wenn der beantragende Ehegatte keine eigenen positiven oder negativen Einkünfte hat oder diese so gering sind, dass sie weder dem Steuerabzug unterlegen haben noch zu einer Veranlagung führen können.
https://www.rechtslupe.de/steuerrecht/einkommensteuer/zusammenveranlagung-nach-bestandskraeftiger-einzelveranlagung-3134466
Zitat Abs. 1 ff: Eine Zusammenveranlagung setzt in einem solchen Fall voraus, dass der Bescheid des anderen Ehegatten geändert werden kann. Falls dieser bestandskräftig ist, kommt als Rechtsgrundlage § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch dann in Betracht, wenn der andere Ehegatte besonders veranlagt wurde.
Erfüllen Ehegatten die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung -gültige Ehe, unbeschränkte Steuerpflicht, kein dauerndes Getrenntleben (§ 26 Abs. 1 EStG)-, können sie für das Streitjahr zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG a.F.) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen. Im Jahr der Eheschließung können sie auch die besondere Veranlagung nach § 26c EStG a.F. wählen und die einmal getroffene Wahl bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides -vorbehaltlich rechtsmissbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens- frei widerrufen1. Dieses Wahlrecht kann bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden und wird daher durch einen Berichtigungs- oder Änderungsbescheid bis zu dessen Unanfechtbarkeit neu eröffnet². Die sich aus § 26 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 -StVereinfG 2011- vom 01.11.2011³ ergebenden Einschränkungen gelten erstmals für den Veranlagungszeitraum 2013 und sind daher im Streitfall nicht anwendbar (§ 52 Abs. 68 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011).
Wird ein Steuerpflichtiger, der als Ehegatte nach § 26a EStG a.F. getrennt, nach § 26b EStG zusammen oder nach § 26c EStG a.F. besonders zu veranlagen ist, stattdessen rechtswidrig einzeln veranlagt, so kann er dagegen innerhalb der Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO) Einspruch einlegen. Stattdessen kann er bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung auch die Durchführung eines anderen, wesensverschiedenen Veranlagungsverfahrens beantragen5, also auch die Zusammenveranlagung mit seinem Ehegatten anstelle der erfolgten Einzelveranlagung.
Dies gilt auch, wenn der Steuerpflichtige bereits zuvor rechtswidrig, aber bestandskräftig einzeln veranlagt wurde und sodann -wie hier aufgrund geänderter Beteiligungseinkünfte- ein Änderungsbescheid ergeht, in dem er wiederum einzeln veranlagt wird.
https://www.asscompact.de/nachrichten/steuer-wann-ehepartner-wahl-der-veranlagung-widerrufen-k%C3%B6nnen
Zitat Abs. 2: ... Änderung auch bei bestandskräftiger Einzelveranlagung
Das Wahlrecht bleibt laut dem BFH auch bestehen, wenn einer der Ehegatten zuvor bereits einzeln veranlagt worden ist. Wollen die Ehepartner sich dann doch noch zusammen veranlagen lassen, dann muss vorausgesetzt sein, dass der Bescheid des betreffenden Ehegatten noch geändert werden kann. Ist der Bescheid bestandskräftig, kommt eine Änderung auch dann in Betracht, wenn der andere Ehegatte besonders veranlagt wurde. (tos)
BFH, Urteil vom 14.06.2018, Az.: III R 20/17
https://www.willitzer-baumann-schwed.de/4-fuer-eheleute-immer-auf-das-hochzeitsdatum-achten-dann-klappt-es-auch-mit-der-zusammenveranlagung/
Zitat Absatz 7: ... Konkret urteilten die obersten Richter des Bundesfinanzhofs: Erfüllen die Ehegatten die Voraussetzungen der Ehegatten-Veranlagung, können sie nach der im Jahr 2008 geltenden Rechtslage zwischen getrennter Veranlagung, Zusammenveranlagung sowie der besonderen Veranlagung im Jahr der Eheschließung wählen und die einmal getroffene Wahl bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheids frei widerrufen. Dieses Wahlrecht besteht auch dann, wenn einer der Ehegatten zuvor einzeln veranlagt wurde. Insoweit hat der Bundesfinanzhof in gänzlicher Abkehr der erstinstanzlichen Entscheidung materiell-rechtlich entschieden, dass eine entsprechende Zusammenveranlagung grundsätzlich immer noch möglich ist.
Mit Blick auf die verfahrensrechtliche Seite hat der Bundesfinanzhof ebenso positiv entschieden: Eine Zusammenveranlagung setzt in einem solchen Fall voraus, dass der Bescheid des anderen Ehegatten geändert werden kann. Falls dieser bestandskräftig ist, kommt als Rechtsgrundlage das sogenannte rückwirkende Ereignis aufgrund der Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 AO auch dann in Betracht, wenn der andere Ehegatte besonders veranlagt wurde.
Im Ergebnis haben daher die Kläger den Antrag auf Zusammenveranlagung wirksam gestellt und aufgrund der verfahrensrechtlichen Änderung des rückwirkenden Ereignisses kann die Zusammenveranlagung auch noch durchgeführt werden.