Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Fragen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung über eine umfangreiche Sanierungsmaßnahme in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) beantworte ich wie folgt:
1. Widerspricht ein Durchführungsbeschluss für eine solche Baumaßnahme den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung kein von der Baubehörde genehmigter Bauplan und folglich auch keine darauf basierenden, belastbaren Kostenangebote vorliegen?
Ja, ein solcher Beschluss kann gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung verstoßen. Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur ist es erforderlich, dass die Eigentümer vor einer Beschlussfassung über eine derart weitreichende und kostenintensive Maßnahme über alle wesentlichen Entscheidungsgrundlagen verfügen. Dazu gehören insbesondere ein genehmigter Bauplan (sofern eine Genehmigung erforderlich ist) und belastbare, vergleichbare Kostenangebote.
Die Einholung von Vergleichs- und Konkurrenzangeboten ist grundsätzlich erforderlich, um eine ordnungsgemäße Verwaltung zu gewährleisten (vgl. BGH, Urteil v. 25.09.2015 – V ZR 244/14; LG Itzehoe, Urt. v. 5.1.2018 – 11 S 1/17; LG Hamburg v. 12.11.2014 – 318 S 74/14). Die Eigentümer müssen in die Lage versetzt werden, die Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme zu beurteilen. Fehlen diese Grundlagen, ist die Entscheidungsfindung nicht sachgerecht und der Beschluss entspricht nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung.
2. Ist ein solcher Beschluss mangels ausreichender Entscheidungsgrundlage für die Eigentümer erfolgreich anfechtbar?
Ja, ein solcher Beschluss ist grundsätzlich anfechtbar. Die Anfechtung kann darauf gestützt werden, dass die Eigentümer nicht über die notwendigen Informationen verfügten, um eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Im Kontext wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Beschluss ggf. zu unbestimmt und damit keine Anspruchsgrundlage zur Zahlung gegeben ist, wenn nur ein ungefähres Kostenvolumen vorliegt. Auch wird betont, dass die Einholung von Vergleichsangeboten zur ordnungsgemäßen Verwaltung gehört.
Ein Beschluss, der auf einer unzureichenden Informationsbasis gefasst wurde, ist nach § 23 Abs. 4 WEG anfechtbar. Die Anfechtung muss innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung beim zuständigen Amtsgericht eingereicht werden, §§ 44, 45 WEG.
3. Können sich die Verwaltung oder Beiratsmitglieder, die einem solchen "Blindflug"-Beschluss zustimmen, gegenüber der Gemeinschaft haftbar machen, wenn das Projekt später teurer wird oder scheitert?
Eine Haftung der Verwaltung kommt in Betracht, wenn diese ihre Pflichten verletzt, insbesondere wenn sie es unterlässt, die Eigentümer ordnungsgemäß zu informieren oder erforderliche Vergleichsangebote einzuholen. Der Verwalter ist nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG verpflichtet, die Eigentümergemeinschaft sachgerecht zu beraten und für ordnungsgemäße Vorbereitung der Beschlüsse zu sorgen.
Er haftet, wenn er:
eine Beschlussvorlage ohne ausreichende Unterlagen vorbereitet, oder
den Eigentümern falsche oder unvollständige Informationen gibt,
und dadurch der Gemeinschaft ein finanzieller Schaden entsteht (z. B. durch Kostenexplosion oder unnötige Arbeiten).
Haftungsgrundlage: § 27 Abs. 1, Abs. 2 WEG i. V. m. §§ 280, 823 BGB.
Daraus folgt, dass der Verwalter bei unwirtschaftlichen Maßnahmen oder bei der Vergabe überteuerter Aufträge den Eigentümern die entstandenen Mehrkosten ersetzen muss (vgl. Kammergericht Berlin, Az.: 12 U 3/03).
Der Verwaltungsbeirat (§ 29 WEG) hat eine Kontroll- und Unterstützungsfunktion. Er ist kein Organ, das Entscheidungen trifft, kann aber haften, wenn er offensichtlich fehlerhafte oder unzulängliche Vorlagen ungeprüft empfiehlt, obwohl er das hätte erkennen können.
Auch hier kommt also eine Haftung wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht in Betracht, aber nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz (nicht bei bloßer Fehleinschätzung), siehe § 29 Abs. 3 WEG. Stimmen Beiratsmitglieder einem Beschluss zu, ohne dass eine ausreichende Entscheidungsgrundlage vorliegt, und hätten sie dies bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können, kann eine Haftung in Betracht kommen, insbesondere wenn der Gemeinschaft dadurch ein Schaden entsteht.
Fazit:
Ein Durchführungsbeschluss ohne genehmigten Bauplan und belastbare Kostenangebote widerspricht in der Regel ordnungsgemäßer Verwaltung und ist anfechtbar. Die Verwaltung kann bei Pflichtverletzungen haftbar gemacht werden, Beiratsmitglieder bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Die Eigentümer sollten daher auf eine vollständige und transparente Entscheidungsgrundlage bestehen, bevor sie weitreichende Beschlüsse fassen.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Jan Wilking
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Rechtsanwalt Jan Wilking
Sehr geehrter Herr Wilking,
vielen Dank für Ihre äußerst klare und hilfreiche Antwort.
Erlauben Sie mir eine kurze, präzisierende Nachfrage, um ein potenzielles Missverständnis in der Praxis auszuschließen. Sie betonen in Ihrer Antwort zu Recht die Notwendigkeit von "belastbaren, vergleichbaren Kostenangeboten", damit die Eigentümer die "Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit" einer Maßnahme beurteilen können.
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Die Verwaltung legt der Eigentümerversammlung zwar drei Angebote vor. Diese Angebote basieren jedoch auf einem Bauplan, der noch nicht von der Baubehörde genehmigt wurde oder von der Behörde bereits als nicht genehmigungsfähig zurückgewiesen wurde (z.B. wegen Mängeln in Brandschutz und Statik).
Hierzu meine Fragen:
1. Können solche Angebote, die auf einer fehlerhaften oder ungeprüften Planung basieren, im juristischen Sinne überhaupt als "belastbare" und "vergleichbare" Entscheidungsgrundlage gelten? Oder sind sie vielmehr für eine sachgerechte kaufmännische Beurteilung im Grunde wertlos, da sich die endgültigen Kosten nach einer (möglicherweise umfangreichen) Umplanung zur Erlangung der Baugenehmigung fundamental ändern können?
2. Erfüllt eine Verwaltung ihre Pflicht zur Einholung von Vergleichsangeboten, wenn sie wissentlich Angebote auf einer derart mangelhaften Grundlage einholt und zur Abstimmung stellt? Oder handelt es sich hierbei um eine pflichtwidrige Schein-Vorbereitung, die eine Haftung nach sich ziehen kann?
Zu Ihren präzisierenden Fragen:
1. Solche Angebote, die auf einer fehlerhaften oder ungeprüften Planung basieren, sind im juristischen Sinne keine belastbaren und vergleichbaren Entscheidungsgrundlagen. Die Vergleichsangebote müssen sich auf eine genehmigungsfähige und fachlich korrekte Planung beziehen, damit die Eigentümer die Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme beurteilen können. Angebote, die auf einem Bauplan basieren, der von der Baubehörde noch nicht genehmigt wurde oder bereits als nicht genehmigungsfähig zurückgewiesen wurde, sind für die sachgerechte kaufmännische Beurteilung wertlos. Die endgültigen Kosten können sich nach einer erforderlichen Umplanung zur Erlangung der Baugenehmigung fundamental ändern, sodass die vorgelegten Angebote keine verlässliche Entscheidungsgrundlage darstellen.
Dies entspricht auch der bereits zitierten Rechtsprechung, wonach die Einholung von Vergleichs- und Konkurrenzangeboten erforderlich ist, um eine ordnungsgemäße Verwaltung zu gewährleisten. Die Angebote müssen dabei auf einer realistischen und genehmigungsfähigen Planung beruhen, andernfalls fehlt es an der erforderlichen Vergleichbarkeit und Belastbarkeit.
2. Erfüllt eine Verwaltung ihre Pflicht zur Einholung von Vergleichsangeboten, wenn sie wissentlich Angebote auf einer derart mangelhaften Grundlage einholt und zur Abstimmung stellt? Oder handelt es sich hierbei um eine pflichtwidrige Schein-Vorbereitung, die eine Haftung nach sich ziehen kann?
Die Verwaltung erfüllt ihre Pflicht zur Einholung von Vergleichsangeboten nicht, wenn sie wissentlich Angebote auf einer mangelhaften, nicht genehmigungsfähigen Grundlage einholt und zur Abstimmung stellt. Dies stellt eine pflichtwidrige Schein-Vorbereitung dar. Die Verwaltung ist verpflichtet, die Eigentümer in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dazu gehört, dass die Angebote auf einer genehmigungsfähigen und fachlich korrekten Planung basieren. Werden Angebote auf einer fehlerhaften oder ungeprüften Planung eingeholt und präsentiert, ist dies nicht ausreichend und kann eine Haftung der Verwaltung nach sich ziehen, wenn der Gemeinschaft dadurch ein Schaden entsteht (z.B. durch Kostensteigerungen nach Umplanung oder gescheiterte Projekte).
Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einholung von Vergleichsangeboten zur ordnungsgemäßen Verwaltung gehört und dass unwirtschaftliche Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung widersprechen. Die Verwaltung muss also sicherstellen, dass die Entscheidungsgrundlagen belastbar und vergleichbar sind. Eine Schein-Vorbereitung mit Angeboten auf nicht genehmigungsfähiger Basis ist pflichtwidrig und kann zu Schadensersatzansprüchen führen.
Zusammenfassend:
Angebote auf fehlerhafter oder ungeprüfter Planung sind keine belastbare Entscheidungsgrundlage. Die Verwaltung handelt pflichtwidrig, wenn sie solche Angebote einholt und zur Abstimmung stellt. Dies kann eine Haftung nach sich ziehen, wenn der Gemeinschaft daraus ein Schaden entsteht.
Ich wünsche Ihnen noch ein angenehmes Wochenende und verbleibe
mit freundlichen Grüßen