Sehr geehrter Fragesteller,
um es vorweg zu nehmen- an Ihrem Prozess läuft gemäß Ihrer Schilderung nichts ungewöhnlich.
Ein gerichtliches Sachverständigengutachten wird eingeholt, weil Tatsachenvortrag streitig ist und über die schon vorhandenen Gutachten nicht bewiesen werden kann. Mutmaßlich hat die beklagte Versicherung Angriffe gegen die bisherigen gutachterlichen Feststellungen vorgetragen. Das reicht schon.
Entscheidend für den Prozessausgang ist das gerichtliche Sachverständigengutachten. Bei dem von Ihnen beschriebenen Szenario wird also der Befund des jetzt zu erstellenden Gutachtens die Weichen für Ihren Erfolg im Rechtsstreit stellen. Was "passiert", hängt von den gestellten Anträgen ab.
Wenn die Versicherung vorbehaltlos auf ein Gutachten gezahlt hat, müssen Sie grundsätzlich keine Leistungen zurück zahlen. Auf Basis Ihrer Sachverhaltsangaben ist hier jedoch keine abschließende Einschätzung möglich. Fragen Sie Ihren Anwalt, der den Sach- und Streitstand kennt (Widerklage angekündigt z.B.?); solche Sorgen müssen Sie nicht mit sich herum tragen!
Mal angenommen, das Gutachten geht zu Ihren Ungunsten aus. Dafür gibt es zunächst noch keinen Anhaltspunkt! Klagende und beklagte Partei erhalten es zur Kenntnisnahme und haben Gelegenheit, innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist, die unbedingt einzuhalten ist, Einwände gegen das Gutachten vorzubringen oder Ergänzungsfragen zu stellen (dazu legt dann der Sachverständige ein sog. Ergänzungsgutachten vor). Auch kann in diesem Rahmen verlangt werden, dass der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert. Das ist das erste, was man gegen das Gutachten tun kann und prozessrechtlich auch muss. Dieses Recht steht wie gesagt auch der Gegenseite zu. Wenn der gerichtliche Sachverständige auf Antrag zur Verhandlung geladen wurde, können dann auch Sie vor der Richterin Fragen an den Gutachter richten.
Es ist der absolute Regelfall, dass der gerichtliche Sachverständige Sie körperlich untersucht, um sich selbst ein Bild zu machen. Gehen Sie davon aus, dass das passiert. Er würdigt aber auch Vorgutachten und Krankenunterlagen bzw. Behandlungsunterlagen. Was für Sie günstig ist und noch nicht Prozessstoff ist, muss in den Rechtsstreit eingeführt werden.
Welcher Zeitraum dem gerichtlichen Sachverständigengutachten zu Grunde gelegt wird, hängt davon ab, was Sie einklagen bzw. was streitig ist und wie der Beweisbeschluss des Gerichts lautet. Der gibt im Prinzip das Prüfprogramm vor.
Wenn das gerichtliche Sachverständigengutachten falsch ist, erfordert das einen hohen Begründungsaufwand. Bei nicht erklärlichen Abweichungen zu den beiden vorliegenden Gutachten kann noch in der Instanz ein sog. "Obergutachten" eingeholt werden.
Wenn das alles beachtet wurde und trotzdem ein aus Ihrer Sicht falsches Gutachten der richterlichen Entscheidung zu Grunde liegt, kann das erst in der Berufungsinstanz korrigiert werden.
Noch zwei Empfehlungen: Lassen Sie die Chance nicht ungenutzt, über Ihren Anwalt auf die Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen Einfluss zu nehmen. Falls das Gericht einen Sachverständigen vorschlägt, achten Sie darauf, ob er Spezialist für Ihr Problem ist und machen Sie ggf. einen anderen Vorschlag. Und- äußern Sie Ihre Vermutungen über die Absichten des Gesetzgebers nicht bei der Begutachtung. Man staunt manchmal, welche Äußerungen sich so alles in den Gutachten wiederfinden und wie sie vom Gutachter ausgelegt werden.
Ich hoffe, Ihnen eine gute Orientierung gegeben und etwas von Ihren Sorgen genommen zu haben. Viel Erfolg im Prozess!
Freundliche Grüße
Stefan Pleßl, RA
Antwort
vonRechtsanwalt Stefan Pleßl, Dipl.-Jur.
Uetzer Straße 4 a
31234 Edemissen
Tel: 05177-9867225
Web: https://www.frag-einen-anwalt.de/anwalt/Rechtsanwalt-Stefan-Plessl-__l108416.html
E-Mail:
Hallo Herr RA Pleßl,
vielen Dank für die von Ihnen gegebenen Antworten. Dies hat mir schon viel geholfen. Dennoch haben sich durch Ihre Antworten auch Fragen ergeben.
... Wenn die Versicherung vorbehaltlos auf ein Gutachten gezahlt hat, müssen Sie grundsätzlich keine Leistungen zurück zahlen.
Die Versicherung hat wie folgt geantwortet nach dem 2. Gutachten vor Ablauf des 3. Jahres:
*********************************************
Sehr geehrter Herr xxxx,
für Ihren Unfall vom xx.xx.xxxx zahlen wir:
- Invaliditätsleistung
Wie sich die Leistung berechnet finden Sie im Anhang.
Eine Kopie des Gutachtens erhalten Sie anbei.
Wenn sich noch Fragen ergeben : Bitte rufen Sie uns an.
Mit freundlichen Grüßen
*********************************************
Am Anhang war dann eine Berechnung mit bereits gezahlten Leistungen und noch der ausstehenden Restzahlung. Hier wurde vorbehaltslos bezahlt (Also keine Schlagworte wie Vorschuss, oder unter Vorbehalt usw.). Nun meine Frage an Sie. Hier muss dann nichts mehr zurückgezahlt werden. Denn das Wort "Grundsätzlich" würde ich frei mit .... gut das wir darüber Gesprochen haben" übersetzen.
Ansonsten haben Sie mir wirklich meine Sorgen etwas genommen. Mir ging es nach Ihrer Antwort schon um einiges besser. Aber ich denke das man wirklich nicht um eine Anwalt herumkommt, wenn man einen Unfall hat. Mein Ratschlag an alle die dies hier lesen. Nehmt Euch einen Anwalt, sobald Ihr einen Unfall habt. Denn wenn man irgendwelche Fristen versäumt oder dergleichen, dann kann ganz schnell der Versicherungsschutz weg sein.
Nochmals vielen Dank für die kompetente Antwort.
Freundliche Grüße
xxxxxxxx
Sehr geehrter Fragesteller,
Rechtsfragen um die Pflicht zur Rückerstattung privater Unfallversicherungsleistungen sind umstritten. Wie schwer es für die Versicherung ist, Leistungen zurück zu fordern, illustriert die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Urteil vom 01.02.2017, -11 U 95/12
-. Das Urteil finden Sie frei zugänglich im Internet, ansonsten schicke ich Ihnen auch gern einen Link per E-Mail. Auch wenn dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zu Grunde liegt, als in Ihrem Rechtsstreit, sind Sie vielleicht noch etwas beruhigter, zumal Ihre geschilderte Situation nochmal günstiger ist (vgl. die Befunde der beschriebenen zwei vorprozessualen Gutachten).
Ich bitte aber um Verständnis, dass ich Ihnen hier im Rahmen einer Ersteinschätzung ohne jede Unterlageneinsicht nicht versprechen kann, dass unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung vorliegen könnte. Das ist aber nach dem was Sie (auch im Rahmen der Nachfrage) geschildert haben fernliegend.
Danke für das wertschätzende Feedback und nochmal viel Erfolg!
Freundliche Grüße
Stefan Pleßl, RA