Sehr geehrte(r) Fragesteller(in),
ich bedanke mich herzlich für Ihre immobilien- bzw. grundstücksrechtlichen Anfrage, welche mir vor wenigen Minuten zugewiesen wurde. Diese möchte ich nun sehr gerne anhand der von Ihnen gemachten Sachverhaltsangaben beantworten.
Die Frage, wie hoch der Streitwert einer rechtlichen Angelegenheit ist, erfordert stets eine komplexe und von verschiedenen Faktoren abhängige Betrachtung. Hierbei möchte ich Ihnen mit meinen nachfolgenden Ausführungen behilflich sein.
Sie geben an, dass ein Nachbar Ihre Teilfläche "ohne Vertrag" - also ohne Mietvertrag oder sonstige Vereinbarung - nutzt. In einem solchen Fall gestaltet sich die Bewertung des Streitwerts wie folgt:
Wird - zum Beispiel im Rahmen einer Räumungsklage - die Räumung eines Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteils verlangt und wird dieser Anspruch nicht auf die Beendigung eines Miet-, Pacht- oder ähnlichen Nutzungsverhältnisses, sondern auf eine andere Anspruchsgrundlage gestützt (hier in Ihrem Fall: Anspruch aus Eigentum gemäß § 985 BGB), so ist für den Streitwert stets das für die Dauer eines Jahres (hypothetisch) zu zahlende Entgelt maßgebend. Dies gilt auch dann, falls Ihr Nachbar im weiteren Verlauf behaupten sollte, dass ein Nutzungsverhältnis bestehe.
Dies geht aus verschiedenen Gerichtsurteilen/Beschlüssen hervor. Damit Sie sich auf solche jederzeit berufen können, möchte ich Ihnen diese ebenfalls sehr gerne mitteilen. Die Rechtsprechung hierzu lautet wie folgt: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.9.2010 – 24 W 68/10, JurBüro 2011, 199 = ZMR 2011, 805 = Info M 2011, 39 = AG kompakt 2011, 41 = MietRB 2011, 177; OLG Celle, Beschl. v. 12.10.2012 – 2 W 269/12, GE 2013, 546 = Mietrecht kompakt 2012, 199 = Info M 2012, 447 = RVGprof. 2013, 3 = RVGreport 2013, 117; KG, Beschl. v. 13.10.2010 – 12 W 28/10, AGS 2011, 90 = MDR 2011, 287 = GuT 2011, 541 = NJW-Spezial 2010, 765 = MietRB 2011, 15 = ZfIR 2011, 37; OLG Koblenz, Beschl. v. 1.7.2013 – 3 W 316/13, AGS 2013, 413 = MDR 2013, 1069 = NJW-RR 2014, 197 = NZM 2014, 256 = ZfIR 2013, 608 = NJW-Spezial 2013, 604 = MietRB 2013, 326 = Info M 2013, 458).
Der Streitwert ist in Ihrem Fall also derjenige Jahresbetrag, den Sie von dem Nachbarn hätten verlangen können, wenn zwischen Ihnen z.B. ein Miet- oder sonstiger Nutzungsvertrag bestanden hätte. Die Höhe dieses Betrages wird vom Gericht in Anwendung des § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) geschätzt. Um eine Orientierung zu erhalten, können Sie grundsätzlich den Quadratmeterpreis mit der Anzahl der unberechtigt genutzten Fläche multiplizieren.
Folgende, rein hypothetische, Beispielrechnung zur Veranschaulichung: Wenn der Quadratmeterpreis 10,00 € beträgt und der Nachbar 50 Quadratmeter unberechtigt nutzt, dann haben Sie gegen den Nachbarn pro Monat einen Nutzungsentschädigungsanspruch in Höhe von 500,00 €. Hieraus folgt, dass der Streitwert 6.000,00 € (= 500,00 € x 12 Monate, da Jahresbetrag für Streitwert maßgeblich) beträgt.
Ich hoffe, dass ich Ihre Anfrage nachvollziehbar beantworten konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Cedric Hohnstock
Rechtsanwalt
Antwort
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Hallo,
erst mal vielen Dank für die sehr gute und verständliche Antwort. Bei einem Punkt möchte ich noch sichergehen:
Bei der rein hypothetisch Beispielrechnung haben Sie den Quadratmeterpreis auf 10 € festgesetzt. Ist das der zu verlangende Pacht-/Mietpreis? Wie komme ich auf den Pacht-/Mietpreis in einer Großstadt, kann ich den vom Grundstückspreis ableiten?
Vielen Dank!
Sehr geehrte(r) Fragesteller(in),
herzlichen Dank für Ihre Rückfrage. Auch diese möchte ich Ihnen sehr gerne beantworten.
Ja genau, Ihre Annahme ist richtig: In meiner Beispielrechnung ist der Quadratmeterpreis so gesehen der "Wert", den Sie bei der Berechnung des Pacht-/Mietpreises (in Ihrem Fall: der Berechnung der Nutzungsentschädigung) heranziehen würden. Wenn Sie also eine Fläche von 50 Quadratmetern vermieten/verpachten wollen würden und ein Quadratmeter 10 € kostet, könnten Sie als monatliche Miete/Pacht (in Ihrem Fall: als monatliche Nutzungsentschädigung) einen Betrag in Höhe von 500,00 € verlangen.
Wie ich in meiner Ausgangsantwort schon dargestellt habe, wird das Gericht am Ende den tatsächlichen "Wert" (also die Miete/Pacht bzw. Nutzungsentschädigung) jedoch gemäß § 287 ZPO schätzen. Und "schätzen" meint im wahrsten Sinne eine reine Schätzung durch das Gericht. Das Gericht wird sich bei der Schätzung an die örtlichen Grundstückspreise orientieren und öffentlich zugängliche Quellen nutzen. Ein Gutachten oder ähnliches holt das Gericht in der Regel nicht ein.
Deshalb ist es in Ihrer Situation sehr vertretbar, wenn Sie sich ebenfalls an Ihrem eigenen Grundstückspreis orientieren. Falls Ihnen keine aktuellen Informationen über Ihren Grundstückspreis vorliegen, können Sie diesen - genauso wie das Gericht es am Ende tun wird - schlichtweg schätzen. Wie hoch Ihr Grundstückspreis tatsächlich ist, könnte nämlich nur ein sog. Verkehrswertermittlungsgutachten klären, welches jedoch teuer ist.
Vorsorglich möchte ich Sie jedoch absichern: Sollte das Gericht einen zu hohen Wert schätzen, können Sie gemäß § 68 GKG eine Beschwerde gegen die gerichtliche Festsetzung des Streitwerts erheben. Sie sind also nicht "hilflos", falls das Gericht mit seiner Schätzung daneben liegt.
Mit freundlichen Grüßen
Cedric Hohnstock
Rechtsanwalt