Sehr geehrte Fragenstellerin,
1) der § 101 Strafvollzugsgesetz Bund / § 78 Strafvollzugsgesetz NRW sieht "nur bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen" zwangsweise Eingriffe vor. D. h. : solange sich die Person nicht in Lebensgefahr oder einer vergleich schweren Erkrankungslage befindet ist der Wille des Gefangenen zu respektieren nicht behandelt zu werden.
In letzter Konsequenz ist dieser "natürliche Wille" im Grundsatz stets zu respektieren, da es sich bei Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen schnell um eine gefährliche Körperverletzung handeln kann.
Die Formulierung "nicht verpflichtet" zielt m. E. nur darauf ab per Gesetz die Garantenhaftung wegen Körperverletzung / Totschlag durch Unterlassen auszuschließen.
Zumal laut Bundes- und Landesgesetz Zwangsmaßnahmen nur bei unmittelbarer Lebensgefahr ohne Arzt durchgeführt werden dürfen. Beide Gesetzgeber sprechen von dem "natürlichen Willen". Dieser ist nicht mit einer Rechtsgeschäftsfähigkeit gleich zu setzen. Nur bei erkennbaren schwerwiegenden akuten, krankheitsbedingten Störungen wie Intoxikation durch Drogen, ohnmachtsnahe Zustände etc. ist kein natürlicher Wille mehr erkennbar.
Die nähere Konkretisierung des § 78 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz NRW mit Nr. 1 - 5 ist eher als "Checkliste" für den Alltag zu verstehen, weniger als andere Gestaltung im Vergleich zum Bundesrecht.
2) Zur Krebsvorsorge: § 45 Medizinische Leistungen, Kostenbeteiligung StVollzG NRW:
"(1) Gefangene haben Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit. Der Anspruch umfasst auch Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Vorsorgeleistungen, ferner die Versorgung mit Hilfsmitteln und prothetische Leistungen, sofern diese mit Rücksicht auf die Dauer des Freiheitsentzuges gerechtfertigt und soweit Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Für Art und Umfang der Versorgung gelten die für gesetzlich Versicherte maßgeblichen Vorschriften des Sozialgesetzbuches und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen entsprechend, soweit Besonderheiten des Vollzuges nicht entgegenstehen."
Der § 57 StVollZG Bund ist da schon wesentlich konkreter. Die Differenzierung zwischen Mann und Frau ( 20 Jahre / 45 Jahre ) stellt m. E. kein Verstoß gegen Art. 3 GG
dar, weil Frauen Gebärmutterhalskrebs etc. bekommen können und bei Männern Darm- / Prostatakrebs eher in höherem Lebensalter auftritt. Sicherlich viel eher kann man eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 GG
zu Personen außerhalb des Vollzuges bejahen, denen nach § 25 SGB V
viel weitreichendere Untersuchungen zustehen. Allerdings könnte auch das BVerfG zu einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung wegen der "Besonderheiten des Strafvollzuges" gelangen.
M. E. denkt der Landesgesetzgeber nicht daran, die Bundesvorgaben umzusetzen. Zum einen lässt er schon die Beispielsfälle mit konkreten Zeitabschnitten vollkommen weg. Zum anderen will er die Leistungen nur unter Beachtung der "Besonderheiten des Strafvollzuges" gewähren.
3) Das Grundgesetz und nachrangig die Landesverfassung ist bei der Auslegung eines jeden einfachen Landesgesetzes zu beachten. Sie wirken also direkt. Von einer mittelbaren Wirkung oder Drittwirkung der Grundrechte spricht man nur gegenüber Privaten, die in Einzelfällen zur Beachtung des Grundrechtekatalogs verpflichtet werden. Prominentes Beispiel ist sicher das AGG.
Ich denke, dass eine Verfassungsbeschwerde mit der Hilfe qualifizierter Staatsrechtslehrer, Rechtsanwälte durchaus gewisse Erfolgsaussichten haben könnte. Denn eine Resozialisierung ohne entsprechende Gesundheitsvorsorge ist eine Seifenblase, gerade in einer alternden Gesellschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Saeger
- Rechtsanwalt -
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Vielen Dank
Wäre eine nicbt Hilfe nicbt sogar unterlassene Hilfeleistung?
Thema Vorsorge :
Mal abgesehen davon, dass es nicht nur zwei Krebsformen gibt und man heute weiß, dass Männer insgesamt häufiger Krebs bekommen als Frauen ( aufgrund der männlichen Hormone etc ) glaube ich schon , dass es gegen Art 3 sein kann, dies ist jedoch nur meine Laienmeinung und ist hier wohl sowieso nicht maßgebend
Die Frage war aber nun, ob es die Trennung ( 45 und 20 Jahre ) in dem neuen Landesgesetz nicbt mehr gibt, sprich zB ein 30 jährigem Mann in NRW JVA einen Anspruch auf Krebsvorsorge haben kann ?
Nach den alten Bundesvorschriften ist das ja erst ab 45 Jahren möglich
Das ist deshalb wichtig, weil zB bei der Vorsorge man dem Arzt keinen Grund zum einschreiten vorweisen muss, ein Arzt müsste, wenn er selbst nicht überzeugt ist, dass eine Erkrankung vorliegen kann, nicbt untersuchen, wohingegen ja bei der Vorsorge ein Recbt auf umfassende Untersuchung und Erforschungen einer Krankheit besteht
Daher nochmal die Frage, ob es die Höhe Hürde von 45 Jahren nun neuerdings nicbt mehr gibt, man also nach dem neuen § 43 einen Anspruch Rechtsanspruch auf Vorsorge hat
Sie schreiben nun was von "Wirtschaftlichkeit "
Es gibt zB im Bereich vom Hautkrebs große Fortschritte zB Immuntherapien, die auch nachgewiesen helfen aber eben auch teurer sind.
Hat ein Gefangener Anspruch auf solche neue Therapien oder würde man ihn lieber sterben lassen, weil das ggfs dem deutschen Staat zu viel kostet ?
Art 2 GG
(Recht auf Leben) und das Selbstbestimmungsrecht dürften da was anderes vorschreiben oder ? Falls der Staat nicht die teuren Medikamente zählt, wäre es zumindest möglich, wenn ein Gefangener dies in einem Krankenhaus selbst zahlst oder stehen dem wieder Sicherheitsbedenken bei der Verlegung entgehen ?
Es gibt dazu ein Urteil des BVerfG 1 BvR 347/98
sowie eine Fortentwicklung aus dem Jahr 2007.
Daher die Frsge: hsben Gefangene das Recht auf Behandlung, einer neuen Medikamenten, wenn diese nachweisbar ein Leben eher retten können, als ältere aber billigere Behandlungen ?
Was sagt dazu das Gesetz ?
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2005/12/rs20051206_1bvr034798.html
Sehr geehrte Fragenstellerin,
eine unterlassene Hilfeleistung oder Körperverletzung durch Unterlassen liegt nur vor, wenn die Behandlung gegen den mutmaßlichen Willen eines z. B. gerade bewusstlosen unterlassen wird. Ist die Person dagegen fähig einen "natürlichen Willen" gegen die Behandlung zu äußern, handelt es sich um eine Straftat, wenn die Behandlung dennoch durchgeführt wird. Der freie Wille des Patienten ist wie auch in Freiheit im Grundsatz das höchste Gut, nicht die Gesundheit.
Grds. kann ein Mann ab 30 Jahren diesen Anspruch haben, da auf das SGB V verwiesen wird. Wie gesagt stellt dies der NRW Gesetzgeber in § 48 aber unter den Vorbehalt "soweit Besonderheiten des Vollzuges nicht entgegenstehen". Zudem wird im Gegensatz zum Bundesrecht kein detailliertes Alter- / Zeitprogramm für die Checks genannte. Realistisch betrachtet will man also wie immer am Vollzug / den Insassen sparen.
Sicherlich kann man auch vertreten, dass die Differenzierung im Bundesrecht zwischen Mann und Frau nach Altersstufen gegen Art. 3 GG
verstößt. Nur solange es im Gesetz so steht, wird es in der Regel auch weiterhin so gehandhabt werden.
Grds. ist gerade im Bereich der Vorsorge keine große Aktivität der Anstalten zu erwarten. Zum einen kostet es Geld. Zum anderen stört es den doch recht festgefahrenen Tagesablauf der JVA / ihrer Anstaltsärzte. Ferner ist eine akute Erkrankung - scheinbar - noch weit entfernt.
Mit rechtlichem Beistand sehe ich für Häftlinge im Einzelfall sehr gute Chancen die Vorsorgemaßnahmen durchzusetzen. Dies würde ich vor allem bei Langzeithaftstrafen über 5 Jahren bzw. älteren Gefangenen bejahen. Weniger bei kurzfristig inhaftierten unter 30.
Der Beschluss des BVerfG gilt auch für Gefangene, wobei man sagen muss, dass derartige Erkrankungen, die nur durch neue Medikamente geheilt werden können, schon außerhalb des Strafvollzuges relativ selten auftreten. Und auch dort müssen die freien Menschen regelmäßig gegen die Krankenkasse auf Leistung klagen. Oft werden Leistungen entgegen der öffentlichen Rezeption von den GKV aber auch freiwillig erbracht, wenn es um "Leben und Tod" geht.
Mit OLG Jena, Beschluss vom 29.06.2010 - 1 Ws 100/10
ist davon auszugehen, dass Gefangene ein Anspruch auf Bezahlung eigener Medikamente hat, wenn in dem Beschluss schon eine Pflicht zur Zuzahlung nicht ausgeschlossen ist. Es ist aber überaus fraglich, ob man ohne vorherige ärztliche Diagnose der Anstaltsärzte Verlegungen in andere Krankenhäuser erlangt. M. E. wird man dort auf erhebliche Widerstände stoßen, die Rechtsmittel notwendig machen.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Saeger
- Rechtsanwalt -