Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
I. Einordnung des Sachverhalts
Sie waren am 19.07.2024 von einem Flugausfall betroffen, der auf die globale IT-Störung durch Crowdstrike zurückzuführen ist. Weder wurde Ihnen ein Ersatzflug angeboten, noch erfolgte eine Kontaktaufnahme durch Turkish Airlines. Sie haben eigenständig Ersatztransporte und Hotelübernachtungen organisiert und möchten die entstandenen Kosten als Schadensersatz geltend machen.
II. Ausgleichszahlung nach der FluggastrechteVO
1. Grundsatz
Nach Art. 5, 7 FluggastrechteVO steht Fluggästen bei Annullierung oder großer Verspätung grundsätzlich eine pauschale Ausgleichszahlung zu, es sei denn, die Fluggesellschaft kann sich auf einen Ausschlussgrund berufen.
2. Ausschlussgrund: "Außergewöhnliche Umstände" (Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO)
Die Airline ist von der Ausgleichszahlung befreit, wenn sie nachweist, dass die Annullierung/Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
a) Definition und Beispiele
Als außergewöhnliche Umstände gelten insbesondere Ereignisse, die außerhalb der normalen betrieblichen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens liegen und von diesem nicht beherrschbar sind (z.B. Naturkatastrophen, Terror, Streik Dritter, Vogelschlag, Systemausfälle durch Dritte).
Vgl. AG Köln, Urteil vom 17.03.2016, Az. 140 C 243/15: „Der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO ist eng auszulegen."
b) IT-Ausfälle als außergewöhnlicher Umstand
Der BGH hat entschieden, dass ein mehrstündiger Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern eines Flughafenterminals, der auf einen externen Dienstleister zurückgeht, einen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann (BGH, Urteil vom 21.11.2019 – X ZR 101/18, veröffentlicht in: juris, NJW 2020, 607; vgl. auch AG Düsseldorf, Urteil vom 25.06.2014, Az. 39 C 12184/13).
Im Fall eines Systemausfalls, der nicht im Einflussbereich der Airline liegt, ist die Airline von der Ausgleichszahlung befreit, sofern sie alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensvermeidung ergriffen hat.
Leitsatz BGH, Urteil vom 21.11.2019 – X ZR 101/18:
„Ein mehrstündiger Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern eines Flughafenterminals, der einen erhöhten Aufwand bei der Abfertigung der Fluggäste zur Folge hat und damit den planmäßigen Start eines Flugs verhindert, kann außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO begründen."
c) Übertragbarkeit auf die Crowdstrike-Panne
Die weltweite IT-Panne durch Crowdstrike ist ein externer, globaler Vorfall, der sämtliche Airlines und Flughäfen betroffen hat und außerhalb des Einflussbereichs der einzelnen Fluggesellschaften lag.
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass Gerichte dies als außergewöhnlichen Umstand werten werden, der die Airline von der Ausgleichszahlung nach der FluggastrechteVO befreit.
d) Beweislast
Die Airline trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und dafür, dass alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden (vgl. AG Köln, Urteil vom 17.03.2016, Az. 140 C 243/15).
III. Ersatz sonstiger Schäden (z.B. Ersatzflug, Hotel)
1. Haftungsausschluss bei außergewöhnlichen Umständen
Nach Art. 19 MÜ haftet das Luftfahrtunternehmen für Schäden durch Verspätung, es sei denn, es hat alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensvermeidung getroffen oder solche Maßnahmen waren unmöglich.
Auch hier wird die Airline sich auf den globalen IT-Ausfall als haftungsausschließenden Umstand berufen können.
2. Erstattung von Ersatzbeförderung und Hotelkosten
Die Erstattung von Ersatzbeförderung und Hotelkosten ist grundsätzlich möglich, wenn die Airline ihren Verpflichtungen zur Betreuung und Information nicht nachgekommen ist (Art. 8, 9 FluggastrechteVO).
Allerdings entfällt auch dieser Anspruch, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen und die Airline nachweisen kann, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat.
IV. Urteile speziell zur Crowdstrike-Panne
Bislang (Stand: 22.07.2024) sind keine veröffentlichten Urteile zu der konkreten Crowdstrike-Panne vom 19.07.2024 bekannt.
Die Übertragbarkeit der bisherigen Rechtsprechung zu IT-Ausfällen auf diesen Fall ist jedoch naheliegend.
Sollten neue Urteile speziell zur Crowdstrike-Panne veröffentlicht werden, ist eine erneute Prüfung angezeigt. Bis dahin ist die Rechtslage nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu beurteilen.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Daniel Hesterberg
Marktstraße 17/19
70372 Stuttgart
Tel: 0711-7223-6737
Web: https://www.hsv-rechtsanwaelte.de
E-Mail:
Rechtsanwalt Daniel Hesterberg