Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen wie folgt beantworten:
1.
Zunächst einmal möchte Ihnen die allgemeinen Rechtsgrundsätze aufzeigen, die gelten, wenn ein Bauträger den vereinbarten Fertigstellungstermin nicht einhält:
Ist im Bauträgervertrag gem. § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein nach dem Kalender bestimmter Fertigstellungstermin vereinbart (wie bei Ihnen), gerät der Bauträger mit Ablauf dieser Frist gem. § 286 Abs. 1 BGB in Verzug.
Während für die Fertigstellung der gesamten Bauleistung aus dem Bauträgervertrag, die Herstellung der Bezugsfertigkeit und/oder die Übergabe, also Besitzverschaffung, häufig feste Termine vereinbart sind, fehlt es hieran idR soweit es um die Verschaffung des Eigentums bzw. Erbbaurechts am Bauträgerobjekt geht. Insoweit tritt dann Verzug erst mit Fälligkeit und Mahnung ein.
Zu beachten ist aber folgendes: Kommt es zu Verzögerungen ohne Verschulden des Bauträgers, steht dies dem Verzugseintritt gem. § 286 Abs. 4 BGB entgegen. Der Bauträger hat bei der Bauzeitplanung jedoch angemessene Fristen für die Planung, Genehmigung und Ausführung des Bauvorhabens vorzusehen und dabei auch in üblichem und angemessenem Maße Puffer für Verzögerungen, Schwierigkeiten und unvorhergesehene Ereignisse zu berücksichtigen, mit denen bei der Durchführung von Bauvorhaben stets gerechnet werden muss.
Ob vor diesem Hintergrund in Ihrer Fallkonstellation von einem fehlenden Verschulden des Bauträgers ausgegangen werden kann, erscheint fraglich, kann aber diesseits nicht rechtsverbindlich beantwortet werden, weil dazu sämtliche Umstände des Einzelfalls zu prüfen wären. Dies obliegt einer gerichtlichen Beurteilung, die diesseits nicht sicher eingeschätzt werden kann. Der Verweis des Bauträgers auf Corona dürfte – bei einem Vertragsschluss über ein Jahr nach Beginn der Pandemie – wohl nicht den Verschuldensvorwurf entkräften. Der Bauträger hat den Vertrag „innerhalb" einer Pandemie abgeschlossen und muss dies bei der Einplanung des oben erwähnten Puffers auch berücksichtigen. Inwieweit der Krieg sich auf den Bauablauf ausgewirkt hat, kann nicht beurteilt werden. Fest steht jedoch, dass der Bauträger sein fehlendes Verschulden in einem gerichtlichen Verfahren darlegen und beweisen müsste.
Wenn der Bauträger mit der Erfüllung der ihm obliegenden Leistungen in Verzug kommt, kann der Erwerber die Rechte und Ansprüche aus dem allgemeinen Schuldrecht geltend machen, also
• gem. § 323 BGB vom Bauträgervertrag zurücktreten; der Bauträgervertrag ist dann als Ganzes rückabzuwickeln; das Recht des Erwerbers zur Geltendmachung von Schadensersatz bleibt gem. § 325 unberührt;
• gem. §§ 280 Abs. 3, 281 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen oder
• gem. § 280 BGB Ersatz des Verzögerungsschadens verlangen.
2.
Sofern der Bauträger angibt, dass solange Sie nicht von Ihrem Schadensersatzanspruch Abstand nehmen, kein Weiterbau erfolgt, ist zunächst einmal anzumerken, dass er damit unter Umständen sogar die Grenze der Strafbarkeit überschreitet (insbes. Nötigung, § 240 StGB).
Diese „Drohung" ist keine zulässige Verhaltensweise und dürfte auch eine Pflichtverletzung des Bauträgervertrags darstellen.
Das Problem, das sich hier stellt ist jedoch, wie Sie am besten mit dieser „verzwickten" Situation umgehen. Nach Ihrer Schilderung des Verhaltens des Bauträgers empfehle ich Ihnen zunächst keine weiteren Eskalationsstufen zu überschreiten, wenn Sie daran interessiert sind, dass der Bauträgervertrag erfüllt wird. Denn, wenn der Bauträger endgültig nicht mehr weiterbaut, bleibt Ihnen praktisch nur noch die Möglichkeit des Rücktritts. Dies kann zu erheblichen Problemen führen (s. hier: https://community.beck.de/2021/01/01/bautraegervertrag-und-schutzlosigkeit-des-erwerbers-was-der-gesetzgeber-schnellstens-aendern-sollte-oder-ein).
3.
Ihre Frage, ob die Möglichkeit besteht, dass Sie "offiziell darauf verzichten, den Bauvertrag zu einem späteren Zeitpunkt rück abzuwickeln, so dass der Weiterbau ganz normal erfolgen kann", möchte ich wie folgt beantworten:
Zitat:Im Schuldrecht kann auf Einreden und Gestaltungsrechte einseitig verzichtet werden, wie sich für die Einrede des Bürgen aus § 768 Abs. 2 entnehmen lässt […]. Dies gilt [auch für] das Recht zum Rücktritt.
MüKoBGB/Schlüter, 9. Aufl. 2022, BGB § 397 Rn. 19
Ich kann Ihnen davon aber nur dringend abraten. Sie können sich – bei Verzicht auf das Rücktrittsrecht – unter Umständen von dem Vertrag nicht mehr lösen. Bei Bauträgerverträgen gibt es (siehe dazu auch den oben verlinkten Artikel) keine Kündigungsmöglichkeiten.
4.
Ihre Situation ist wirklich ausgesprochen ungünstig für Sie. Ich kann Ihnen daher nur empfehlen, auf eine einvernehmliche Lösung mit dem Bauträger hinzuwirken. Ggf. kann eine finanzielle Lösung gefunden werden, die den Bauträger zum Weiterbau bringt (z.B. Summe X zusätzlich, wenn Fertigstellung zum [Datum] erfolgt). Ich kann verstehen, dass diese Lösung für Sie nicht attraktiv erscheint. Allerdings dürften aktuell wirtschaftliche Gründe bedeutsamer sein als „Recht zu haben", da Sie für den Fall, dass der Bauträger endgültig nicht mehr weiterbaut, praktisch nur noch die Rücktrittsmöglichkeit mit den im verlinkten Artikel beschriebenen Gefahren bleibt.
Sie sollten aber auf keinen Fall auf etwaige Ansprüche verzichten. Sollten Sie dies tun, können Sie diese – auch nach Fertigstellung – nicht mehr geltend machen. Machen Sie daher dem Bauträger – stets – deutlich, dass Sie sich die Geltendmachung Ihrer Ansprüche vorbehalten. Sollten Sie dem Bauträger gegenüber den Anschein erwecken, dass Sie auf die Geltendmachung verzichten (z.B. im Fall der von mir vorgeschlagenen außergerichtlichen Einigung), kann sich dieser in einem gerichtlichen Verfahren auf ein widersprüchliches Verhalten Ihrerseits berufen (Venire contra factum proprium (lat. für „Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten", vereinfacht: widersprüchliches Verhalten, Selbstwiderspruch)), was dazu führen kann, dass die Geltendmachung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen kann und Sie die Ansprüche somit nicht geltend machen können.
Ihre Schadensersatzansprüche würde ich dann nach Fertigstellung (gerichtlich) geltend machen. Behalten Sie jedoch die Verjährungsfristen im Auge.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Beckmann