Sehr geehrter Ratsuchender,
schönen guten Morgen und vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich anhand des von Ihnen geschilderten Sachverhalts wie folgt beantworten möchte:
Sie sprechen in der Tat einen äußerst interessanten Bereich an, nämlich der Vorauswirkung von Beweisverwertungsverboten.
Die Frage ist hier, ob Tatsachen, welche einem Beweisverwertungsverbot unterliegen dennoch zur Begründung eines Anfangsverdachts herangezogen werden dürfen?
Diese Frage ist bis heute nicht abschließend geklärt.
Während man in den USA aufgrund der Früchte des verbotenen Baumes Doktrin, fruit of the poisonous tree, ja sehr restriktiv ist, wird es hier in Deutschland doch wesentlich differenzierter gesehen.
So soll schon das Beweisverwertungsverbot bzgl. der rechtswidrig erlangen Tatsachen sogar zum Teil nur dann greifen, wenn der Betroffene einer Verwendung der erlangten Beweise widerspricht, sog. Widerspruchslösung, welche von der Rechtsprechung entwickelt wurde.
Voraussetzung einer Vorauswirkung wäre dann also, dass der Beschuldigte, sofern man der Widerspruchslösung folgt, sich erst einmal gegen die Verwendung der erlangten Beweise wendet.
Diese Widerspruchslösung ist meines Erachtens mit unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen jedoch nicht vereinbar. Derjenige Beschuldigte, der nicht rechtsanwaltlich vertreten ist, wird in der Regel zum einen keine Kenntnis davon haben, dass Beweise einem Beweisverwertungsverbot unterliegen könnten, zum anderen wird er noch weniger Kenntnis von seiner Widerspruchsmöglichkeit haben.
In diesen Fällen soll, nach Auffassung der Rechtsprechung, zwar der Richter den Angeschuldigten auf diese Möglichkeit hinweisen.
Dies führt aber zu einer verkehrten „Lastenverteilung" in der Hauptverhandlung, Dornach, Der Strafverteidiger als Mitgarant eines justizförmigen Strafverfahrens, 1994, 190.
Die einem Beweisverwertungsverbot unterliegenden Erkenntnisse müssen daher richtigerweise schon im Rahmen der staatsanwaltlichen Ermittlungen als Beweismittel ausscheiden, Rieß, JR 1979 169.
Der Bundesgerichtshof hingegen hat die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten jedoch weitestgehend abgelehnt und ausgeführt, dass sich aus den erlangten Beweisen, welche einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, durchaus ein Anfangsverdacht ergeben kann.
Diese Auffassung ist aber mit den rechtstaatlichen Grundsätzen bei uns nur schwer zu vereinbaren, insbesondere dann, wenn sich Beweisverwertungsverbote direkt aus der Verfassung ergeben.
Hier soll es dann zu einer Gesamtabwägung kommen, Beulke, ZStW 103, 657.
Diskutiert wird auch, ob man eine Verwendung zulassen kann, wenn man den Beweis auch anderweitig hätte ermitteln können.
Das Groh im Schrifttum möchte jedoch auf die Intensität des Rechtsverstoßes einerseits und der Schwere der aufzuklärenden Tat anderseits abstellen.
Meines Erachtens geht dies aber zu weit. Denn wo ist dann die Grenze und wer soll dies entscheiden? Die Polizei? Die Staatsanwaltschaft?
Man denke an den bekannten Fall Gäfgen. Wo soll man die Grenze ziehen. Darf „nur" mit Gewalt gedroht werden, wenn es um die Verfolgung eines Tötungsdeliktes geht oder darf sogar leichte Gewalt angewendet werden?
Mit unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen dürften diese Überlegungen nur schwer zu vereinbaren sein, denn der Betroffene gilt ja bis zu einer Verurteilung auch als unschuldig.
Kleines Fazit:
Die Rechtsprechung geht in der Regel einen sehr pragmatischen Weg und lässt bei Beweisen welchen einem Beweisverwertungsverbot unterliegen einen Fernwirkung in der Regel zu.
In der Literatur gehen die Meinungen auseinander. Vertreten wird hier vieles.
Eine Meinung möchte eine Gesamtwürdigung vornehmen, eine andere Stellt auf die Intensität des Rechtsverstoßes im Vergleich zur Schwere der verfolgten Tat ab. Eine Dritte Meinung will darauf abstellen, ob die Beweise auch mit sonstigen Maßnahmen hätten ermittelt werden können, sog. hypothetischer rechtmäßiger Ersatzeingriff.
Eine vierte Meinung, der ich mich anschließe, lehnt eine Verwendung ab, da so der Zweck des Beweisverwertungsverbotes unterlaufen werden würde.
Dies ist auch richtig, da eine Grenzziehung letztlich nicht möglich und mit unseren rechtstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren ist.
Ich hoffe, meine Antwort hat Ihnen weitergeholfen und einen ersten Überblick verschafft.
Mit freundlichen Grüßen aus Achim,
Moritz Kerkmann
Rechtsanwalt
Vielen Dank
Offenbar sieht das BVerfG im sog. Tonband Urteil ein Beweisverbot.
Gilt dies auch im Hinblick auf die Stützung auf Beweisverbote für die Begründung eines Anfsngsverdachts ?
Sie schreiben ferner von der Widerspruchslösung, gilt diese rückwirkend oder wird dies bereits im abschließenden Verhör nach § 163a StPO
vom Beschuldigten gefragt?
Sie schreiben weiter "Der Bundesgerichtshof hingegen hat die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten jedoch weitestgehend abgelehnt und ausgeführt, dass sich aus den erlangten Beweisen, welche einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, durchaus ein Anfangsverdacht ergeben kann. .."
Wären sie so nett mir das Urteil zu nennen ?
Was heißt denn "weitestgehend "hat hier der BGH auch Ausnahmen zugelassen?
Hat der BGH also die Theorie anhand des BVerfG nicht ganz verworfen ?
Kennen sie evtl weitere Urteile wo ein Anfangsverdacht auf " faule " Beweise abgelehnt wurde ?
Schönen guten Abend und vielen Dank für Ihre Nachfrage.
Nicht nur in der Entscheidung des BVerfG 34, 328 ( Tonband ) sieht dieses ein Beweisverwertungsverbot, sondern auch in der Entscheidung zum großen Lauschangriff, BVerfG, Urteil vom 03.03.2204, Az. 1 BvR 2378/98
. Das Bundesverfassungsgericht führt hier deutlich aus: „Jede Verwertung solcher Informationen ist ausgeschlossen".
Damit ist also auch eine Fernwirkung ausgeschlossen.
Der BGH dagegen handhabt dies, wie schon ausgeführt, viel pragmatischer, so BGH St 27, 355 = JR 1979, 163 oder auch BGH NJW 1984, 2772
, wonach ein Beweisverwertungsverbot nicht ohne weiteres zu einer Lähmung des Strafverfahrens führen dürfe.
Mir ist nur eine einzige Entscheidung bekannt, im dem der BGH von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht hat, nämlich in BGH St, 29, 244, 247. Dort ging es um einen Verstoß gegen das Gesetz zur Beschränkung des Brief-Post und Fernmeldegeheimnisses, § 6 II 3 i. V. m. § 7 VI G10.
Ansonsten hält der BGH an seiner Richtlinie fest.
Die von mir genannte Widerspruchslösung sieht vor, dass der Betroffene der Verwendung unrechtmäßig erlangter Beweise zunächst widersprechen muss.
Im Extremfall kann dies auch erst im Rahmen einer Gerichtsverhandlung erfolgen, so dass sich dann eine Verwertung der unrechtmäßig erlangten Beweise verbieten würde.
Dies führt zu dem absurden Ergebnis das die Staatsanwaltschaft quasi orakelmäßig voraussehen muss, ob der Betroffene der Verwertung unzulässig erlangter Beweise widersprechen wird, weswegen ich von dieser „Lösung" wenig halte.
Ich hoffe auch Ihre Nachfrage beantwortet zu haben.
Schönen Abend und schönes Restwochenende noch.
Beste Grüße,
Moritz Kerkmann
Rechtsanwalt