Sehr geehrter Ratsuchender,
gerne beantworte ich Ihre Anfrage unter Berücksichtigung Ihrer Sachverhaltsschilderung und Ihres Einsatzes wie folgt:
Enthält der Vertrag keine spezielle Regelung für den Fall eines Umzuges, muss hier das Merkmal „wichtiger Grund" entsprechend ausgelegt werden. Hierbei kann man sich an dem gesetzlich eingeräumten Kündigungsrecht für diese Fälle orientieren, § 314 BGB
bzw. § 626 BGB. Dort wird dem Verbraucher ein Rücktrittsrecht eingeräumt, wenn ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Das Rücktrittsrecht muss innerhalb angemessener Frist nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erfolgen.
Ob ein Umzug einen solchen wichtigen Grund darstellt, ist leider nicht eindeutig zu beantworten:
Für eine Kündigung aus wichtigem Grund können verschiedene Argumente sprechen.
Ein Argument ist die lange Vertragslaufzeit der Unternehmen. Viele Unternehmen bieten nur Verträge mit einer langen Laufzeit von beispielsweise 24 Monaten an und legen diese einseitig in ihren AGB fest. Hiervon profitieren die Unternehmen, so dass es im Einzelfall auch tragbar erscheint, eine Kündigung wegen eines Umzugs zuzulassen und die Zahlung der Grundgebühr für die Restlaufzeit zu erlassen.
Anderenfalls stellt es eine einseitige Belastung des Verbrauchers dar, wenn der Telefonanschluss an dem neuen Wohnort nicht zur Verfügung gestellt werden kann, z.B. aus technischen Gründen oder weil bereits ein Anschluss an dem neuen Wohnort existiert und er dennoch an den Vertrag gebunden ist. Dies wäre eine unangemessene Benachteilung.
Ein weiteres Argument ist die Tatsache, dass die Notwendigkeit des Umzugs aus persönlichen oder beruflichen Gründen bei Abschluss des Vertrages oftmals nicht absehbar ist und es auch nicht zumutbar ist, eine Planung über 2 Jahre im voraus abzuverlangen.
Dagegen könnte Folgendes sprechen:
Bietet ein Unternehmen Verträge mit einer kurzen oder ohne eine Vertragslaufzeit an, kann sich der Verbraucher kaum darauf berufen, dass er aufgrund der langen Laufzeit einseitig belastet wird. Immerhin hätte er sich in diesem Fall auch für einen anderen Anschluss entscheiden können.
Auch eine kurze Restlaufzeit kann gegen eine Kündigung aus wichtigem Grund sprechen, da die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses und die Zahlung der Gebühren für die Restlaufzeit in der Regel nicht unzumutbar ist.
Kann der Anbieter die Leistung zumindest teilweise an dem neuen Wohnort erbringen und ist eine Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse möglich und für beide Seiten zumutbar, dürfte ein Sonderkündigungsrecht ebenfalls ausgeschlossen sein.
Auch der Erhalt von subventionierter Hardware kann gegen ein Sonderkündigungsrecht sprechen.
Ob ein Umzug einen wichtigen Grund darstellt, ist dementsprechend in der Rechtsprechung umstritten.
Ein Teil der Gerichte stellt darauf ab, dass ein Umzug keinen wichtigen Grund darstellt.
Das Amtsgericht Frankfurt /Main (Urteil vom 12.12.2007, AZ.: 387 C 1085/07) lehnt eine Kündigung aus wichtigem Grund zum Beispiel mit dem Argument ab, dass die Erbringung der Leistung an dem alten Wohnort möglich ist und es somit im Risikobereich des Kunden liegt, wenn dieser umzieht und seinen Anschluss nicht mehr nutzen kann. Bei einem Festnetzanschluss verpflichte sich der Anbieter nur, die Dienstleistung an dem vertraglich festgelegten Wohnort vorzunehmen. Der Vertrag sei also standortgebunden und müsse selbst dann weiter erfüllt werden, wenn der Verbraucher keine Leistung erhalte.
Auch nach Ansicht des Landgerichts München I (Urteil vom 14.02.2008, AZ.: 12 O 19670/07
) und des LG Bochum (Beschluss v. 27.04.2009, Az. I-5 S 2/09) reicht ein Umzug allein nicht aus, um ein Sonderkündigungsrecht zu begründen.
Dagegen stellen das Amtsgericht Ulm (Urteil vom 23.05.2008, AZ.: 2 C 211/08
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=10862 ) und das AG München (Urteil vom 20.03.2007, AZ.: 271 C 32921/06
http://www.lawcommunity.de/volltext/236.html ) darauf ab, dass der Umzug dann ein Sonderkündigungsrecht begründet, wenn die Leistung an dem neuen Wohnort nicht erbracht werden kann, wie dies bei Ihnen der Fall ist
Eine eigenmächtige Zahlungseinstellung sollte aufgrund der unklaren Rechtslage wohl überlegt sein. Ist eine außerordentliche Kündigung nicht möglich, muss auch das monatliche Entgelt bis zum Ende der regulären Vertragslaufzeit gezahlt werden. Verweigert man in diesem Fall die Zahlung, gerät man mit den offenen Forderungen in Zahlungsverzug und muss damit rechnen, dass der Vertragspartner die Forderungen gerichtlich geltend macht und hiermit eventuell auch durchkommt.
Vielmehr sollte hier das Gespräch mit dem Vertragspartner gesucht werden. Denn die Telekom vertritt wohl den Standpunkt, dass bei Umzug kein Sonderkündigungsrecht besteht, berühmt sich aber damit, als kundenfreundliches Unternehmen meist eine Kulanzregelung zu finden, siehe http://www.pcwelt.de/ratgeber/Das-sagt-die-Deutsche-Telekom-Fast-unmoeglich-512926.html
Da auf Ihre Briefe unverständlicherweise nicht reagiert wurde, würde ich Ihnen raten, vor Ort in einen T-Punkt gehen, um die Angelegenheit aufzuklären. Führt dies auch nicht zum Erfolg, müssten Sie eventuell einen Anwalt einschalten, was allerdings angesichts der unklaren Rechtslage nicht zwingend zum Erfolg führen muss. Falls Ihr Nachmieter Interesse an dem Vertrag hat, käme auch eine Abtretung Ihres Vertrages an diesen in Betracht.
Es tut mir leid, Ihnen keine positivere Auskunft geben zu können, hoffe aber, Ihnen einen ersten Überblick verschafft zu haben. Bei Unklarheiten nutzen Sie bitte die Nachfrageoption oder schreiben Sie mir eine Email.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Jan Wilking
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Rechtsanwalt Jan Wilking
Sehr geehrter Herr Wilking,
herzlichen Dank für Ihre sehr schnelle und ausführliche Antwort. Für mich schade ist, dass es keine eindeutigere Antwort ist, aber die Rechtsprechung ist sich offensichtlich auch nicht einig. Eine Verständnisfrage habe ich noch, Sie schreiben am Ende des ersten Absatzes:
"Das Rücktrittsrecht muss innerhalb angemessener Frist nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erfolgen."
Meinen Sie, dass das Rücktrittsrecht "wahrgenommen" werden muss?
Herzlichen Dank!
Vielen Dank für Ihre Nachfrage!
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie der Telekom ja mitgeteilt, dass Sie aufgrund des Umzugs und mangelnder Bereitstellungsmöglichkeit den Vertrag vorzeitig kündigen. Damit haben Sie Ihr Recht bereits wahrgenommen. Problematisch wäre dieser Punkt nur, wenn Sie schon seit längerem von dem Umzug gewußt hätten, aber nicht sofort gekündigt hätten. Da Sie aber von einem überraschenden Umzug sprechen, gehe ich hiervon nicht aus.
Es bleibt also dabei, dass es in Ihrem Fall allein auf die Auslegung des "wichtigen Grundes" ankommen wird, die, wie oben bereits dargelegt, ja leider sehr uneinheitlich ausfällt. Dies wird wohl auch solange so bleiben, bis es eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Thematik gibt.
Mit freundlichen Grüßen