Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Der Insolvenzverwalter handelt in Ihrem Fall wohl nicht ganz korrekt. Die Sachlage ist jedoch kompliziert, da das deutsche Insolvenzrecht dem Insolvenzverwalter diesbezüglich umfangreiche Rechte einräumt. Meine Einschätzung erfolgt auf Grundlage Ihrer Schilderungen.
Sie möchten das Guthaben aus dem Zeitraum bis zum 9.7.2018 mit der Nachforderung aus dem Zeitraum 10.7.2018-31.10.2018 verrechnen.
Eigentlich müsste der Verwalter zwei Abrechnungen erstellen. Eine Abrechnung für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (1.10.2018) und eine Abrechnung für den Zeitraum zwischen 10.7.2018 und 30.9.2018, nämlich vor der Eröffnung.
Gegen Forderungen aus der Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können Sie nicht mit Forderungen aus der Zeit vor der Eröffnung aufrechnen, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
. Für den Zeitraum ab 1.10.2018 müssen Sie daher auf jeden Fall an den Insolvenzverwalter zahlen.
Für den Zeitraum vor der Eröffnung gilt etwas anderes. Grundsätzlich ist eine Aufrechnung möglich.
Dies gilt jedoch nicht, wenn die Aufrechnungslage durch eine sog. "anfechtbare Rechtshandlung" entstanden ist, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
.
Als Anfechtungsgrund käme vorliegend insbesondere § 310 Abs. 1 InsO
in Frage. Danach ist die Herstellung einer Aufrechnungslage anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger (also Sie) zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte, oder wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
Kurz gesagt: Gegen Forderungen aus dem Zeitraum von 3 Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens können Sie mit einem Guthaben aus Zeiträumen davor nur aufrechnen, wenn Sie weder von der Zahlungsunfähigkeit des insolventen Unternehmens wussten, noch von dem Eröffnungsantrag.
Die Frage ist also, ab welchen Zeitpunkt sie von der Zahlungsunfähigkeit wussten, zB durch eine Information des Unternehmens selbst o.ä. Ab diesem Zeitpunkt ist die Aufrechnung nicht mehr möglich. Insolvenzverwalter informieren deshalb meist sehr frühzeitig potentielle Gläubiger.
Wenn Ihnen eine solche Infomation vorliegt und der Insolvenzverwalter dies nachweisen kann, ist die Aufrechnung nicht mehr möglich.
Nach Ihren Angaben sind Ihnen die Zählerstände zum Stichtag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.10.2018 bekannt. Sie könnten also überschlagen, welcher Betrag für den Zeitraum danach angefallen ist. Diesen müssen sie auf jeden Fall zahlen.
Für die Zeit davor kommt es, wie gesagt, auf Ihre Kenntnis an. Wenn Ihnen ein Informationsschreiben o.ä. vorliegt, in dem die Zahlungsunfähigkeit mitgeteilt wird, ist ab Zugang die Aufrechnung nicht mehr möglich.
Nur für den Zeitraum davor könnten Sie mit dem Guthaben aufrechnen, wenn nicht weitere Anfechtungsmöglichkeiten in Frage kommen, die ich aufgrund Ihrer bisherigen Sachverhaltsschilderungen bislang nicht erkennen kann.
Sie könnten also den Lastschrifteinzug widerrufen und auf korrekte Abrechnung bestehen. Zumindest für die Zeit nach der Eröffnung müssen sie aber auf jeden Fall zahlen. GGf. sollten Sie eine entsprechende Teilzahlung leisten.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr RA Scheide,
vielen Dank zunächst für die ausführliche Beantwortung.
Es ergibt sich für mich noch eine Rückfrage , da der Insolvenzverwalter argumentiert, dass eine Aufrechnung für den Zeitraum vor der Insolvenzantragstellung unzulässig gemäß § 96 InsO
(aufgrund der Anordnung einer starken vorläufigen Verwaltung). sein soll.
Sie hatten geschrieben, dass eine Aufrechnung nicht möglich ist, wenn zum Beispiel §96 Abs1 Nr. 3 InsO
zutrifft.
Fällt das Aufrechnungsverbot bei Anordnung einer starken vorläufigen Verwaltung des Insolvenzverwalters auch darunter?
„Gern. § 94 greift das Aufrechnungsverbot gern. § 96 Abs.1 Nr. 1 lnsO ein, wenn die Gegenforderung eine Insolvenzforderung ist, der Hauptanspruch der Masse jedoch von einem vorläufigen "starken" Insolvenzverwalter begründet worden ist. Hier führt die insolvenzrechtliche Gleichstellung der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit der Zeit nach Eröffnung des Verfahrens dazu, dass die Forderungen der Masse als nach Eröffnung des Verfahrens begründet eingeordnet werden muss und daher durch § 96 Abs.1 Nr. 1 lnsO gegen eine Aufrechnung geschützt ist.
Von einer starken oder schwachen Verwaltung wurde mir im Schreiben des Insolvenzverwalters vom 5.10.2018, also nach der Insolvenzantragstellung am 01.10.2018 nichts mitgeteilt.
Vielen Dank im voraus
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Fragesteller,
auch das Vorliegen einer vorläufigen "starken" Insovenzverwaltung hat kein Aufrechnungsverbot gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
zur Folge. Es bleibt bei meinen vorstehenden Ausführungen.
Sieh hierzu: BGH, Urteil vom 15.3.2012 - IX ZR 249/09
Zitat:
24 a) Der Senat hat bereits entschieden, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
auf eine im Eröffnungsverfahren begründete Aufrechnungslage auch dann keine Anwendung findet, wenn das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzver-walter bestimmt und Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO
getroffen hat (BGH, Urteil vom 29. Juni 2004 - IX ZR 195/03
, BGHZ 159, 388
, 390 ff; vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Juni 1998 - IX ZR 165/97
, ZIP 1998, 1319
zu § 55 Nr. 1 KO).
Mit freundlichen Grüßen,
RA Ingo Scheide