Rückwirkung gem. § 175 AO

Question

Sehr geehrter Berater/in,    zu folgendem Sachverhalt benötigen wir Ihren Rat. 2011 und 2012 wurden in der ESt-Erklärung meiner Frau und mir aussergewöhnliche Belastungen für Krankheitskosten berücksichtigt. Wir hatten damals auch die Krankenkasse auf Kostenersatz verklagt und uns mit ihr erst Anfang 2018 auf eine pauschale Vergleichszahlung geeinigt &lpar;gerichtlicher Vergleich&rpar;. Wir sind gerade dabei unsere ESt-Erklärung für 2018 zu machen und hatten die Vergleichszahlung gedanklich zunächst für 2018 verortet. Die ESt Erklärung ist noch nicht abgegeben, wir können sie also noch ändern. Nun gehen wir nach Recherche nämlich davon aus, dass es sich bei diesen Zahlungen um ein rückwirkendes Ereignis für die Jahre 2011 und 2012 handelt &lpar;vgl. auch beigefügte Auszüge aus Kommentaren&rpar;, so dass die damaligen Steuerbescheide geändert werden müssten. Das hätte auch den Nebeneffekt, dass mit damaligen Fehlern saldiert werden könnte gemäß &#167; 177 AO. Wir hatten nämlich vergessen, Kosten abzusetzen, die wir aber nachweisen und nun nachholen könnten, so dass die Steuerbescheide im Ergebnis ggf gar nicht zu ändern wären.    Unsere Fragen:    Handelt es sich bei der Vergleichszahlung in 2018 für die Jahre 2011 und 2012 um eine rückwirkendes Ereignis nach &#167; 175 AO?    Wenn ja, dann schliessen sich diese Fragen an:    Muss die Vergleichszahlung in der ESt Erklärung für 2018 erklärt werden oder unterbleibt dort der Ansatz und dieser erfolgt für die Jahre 2011 und 2012 stattdessen per separater Mitteilung an das Finanzamt?    Wenn der Ansatz per separater Mitteilung für 2011 und 2012 erfolgen muss, wären wir dann mit diesen Mitteilungen nun verspätet, sprich hätten wir das gleich melden müssen, als die Vergleichszahlung Anfang 2018 unserem Konto gutgeschrieben wurde?    Kann saldiert werden, wenn der Fehler darin liegt, dass man schlicht den Abzug von Ausgaben komplett vergessen hatte &lpar;damals wurden ua zusätzliche Krankheitskosten nicht angesetzt&rpar; und dies also nun im Rahmen des rückwirkenden Ereignisses nachholt/nacherklärt?    Vielen Dank für Ihre Unterstützung.    Freundliche Grüße

Rechtsanwalt Franz Meyer · Accepted Answer

Antwort vom Rechtsanwalt: Sehr geehrter Fragesteller,    Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen und des Einsatzes für eine Ersteinschätzung wie folgt beantworten:    1. Es handelt sich nach herrschender Meinung eindeutig um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des &#167; 175 Absatz 1 Nr. 2 Abgabenordung.  Entgegenstehende Auskünfte - Qualität und Spezialwissen haben ihren Preis - sollte man entsprechend bewerten.     2. Grundsätzlich war  die Steuer für die Jahre 2011 und 2012 unter Berücksichtigung der später erfolgten Zahlungen zu gering festgesetzt. In Höhe der Differenz dieser - geringeren -Steuer und der damals festgesetzten Steuer greift &#167; 177 AO, dessen Voraussetzungen hier erfüllt sind. &#167; 177 AO kann alleine nicht dazu führen, dass der Bescheid zu Ihren Gunsten geändert wird.     3. Für Ihre Bedenken, dass die Angabe der steuermindernden Tatsachen für eine nachträgliche Berücksichtigung zu spät kommt, haben Sie ein gutes Rechtsgefühl. Diese Bedenken betreffen aber rechtlich nicht den &#167; 177 AO, sondern den &#167; 173 AO, wonach ein Bescheid wegen neuer Tatsachen auch zu Gunsten des Bürgers geändert werden kann. Hier geht es aber nicht um eine Änderung eines Bescheides zu Ihren Gunsten. Vielmehr geht es hier darum, wie weit der Bescheid zu Ihren Ungunsten geändert werden kann. &#167; 177 AO  führt lediglich dazu, dass die Bescheide 2011 und 2012 trotz der erhaltenen Zahlungen nicht oder nicht in vollem Umfang zu Ihren Lasten geändert werden, was ohne diese mögliche Saldierung aber in vollem Umfang erfolgen müßte. Entgegen mancher Orts vertretenen Auffassung handelt es sich bei &#167; 177 Abgabenordnung um keine Änderungsvorschrift, sondern setzt eine ansonsten mögliche Änderung voraus.     Ich hoffe, es ist jetzt nicht zu kompliziert geworden.       4. Zu- und Abflußprinzip    Die Vergleichszahlung muss nicht für das Jahr 2018 erklärt werden. Da es sich um ein rückwirkendes Ereignis handelt, ist die Zahlung in den Jahren 2011 und 2012 zu berücksichtigen. Entgegen der ursprünglichen Auffassung von Frau Br. verdrängt &#167; 175 Absatz 1 Nr. 2 AO in seinem Anwendungsbereich das Zu- und Ablussprinzip. Ohne zu tief ausführen zu wollen. Auch der Hinweis auf das Erbschaftssteuerrecht betraf nicht den &#167; 175 AO, sondern den &#167; 173 AO.     Um das Problem des &#167; 175 I Nr. 2 AO zu veranschaulichen folgender Beispielsfall:    Ihnen sind Krankheitskosten in Höhe von 100.000,00 in Rechnung gestellt worden.  Haben Sie die Rechnung Ende Dezember 2018 erhalten und sofort bezahlt, könnten Sie diese 100.000,00 sofort als außergewöhnliche Belastung abzusetzen, wenn es ausschließlich auf das Zu- und Abflußprinzip ankäme. Dieser Ansatz steht aber im Widerspruch zum Wortlaut des &#167; 33 ESTG, wonach eine Belastung, worunter eine endgütlige Belastung zu verstehen ist, vorliegen muss. Eine endgültige Belastung liegt nur  vor, wenn  kein gleichwertiger Erstattungsanspruch besteht. Ob er besteht, kann evtl.- wie hier - erst nach Jahren festgestellt werden. Im Sinne der steuerlichen Gerechtigkeit geht die ganz herrschende Meinung daher von einem rückwirkenden Ereignis aus. Ansonsten bestünde zu dem das Problem, wie die Erstattung steuerlich im Zuflußjahr behandelt werden müsste. Sie unterfällt keiner Einkunftsart und ist daher nicht steuerbar. Es käme daher allenfalls eine Verrechnung mit anderen außergewöhnlichen Belastungen des gleichen Jahres in Betracht, was auch zu dogmatischen Schwierigkeiten führt &lpar;Zweckbindung des Erstattungsanspruchs&rpar;.       Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Für eine 5-Sterne-Bewertung würde ich mich freuen. Bei Unklarheiten, die nicht mehr bestehen dürften, können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen. Sie werden von mir auch eine entsprechende Antwort erhalten.      Mit freundlichen Grüßen    Franz Meyer  Rechtsanwalt  Steuerrecht    Steuerstrafrecht

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