Sehr geehrter Ratsuchender,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Zunächst möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dieses Forum eine ausführliche und persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen kann, sondern vor allem dafür gedacht ist, eine erste rechtliche Einschätzung zu ermöglichen. Durch Hinzufügen oder Weglassen relevanter Informationen könnte die rechtliche Beurteilung Ihres Anliegens anders ausfallen.
Nun aber zu Ihren Fragen, welche ich auf Grundlage der von Ihnen gemachten Angaben und unter Berücksichtigung Ihres Einsatzes wie folgt beantworte:
1.) Was bezweckt der Versicherer mit der Forderung der Einkommensteuerbescheide der letzten 2 Jahren VOR Berufsunfähigkeit?
Aus Ihrem Vertrag ergeben sich Auskunfts- und Mitwirkungspflichten sowohl im Anspruchsfall (d.h. bei Eintreten der Berufsunfähigkeit) als auch bei der Nachprüfung, ob weiterhin BU besteht.
Eine Vorlage von Einkommensnachweisen VOR der Berufsunfähigkeit kann verlangt werden, um Ihre weitere Berufsunfähigkeit überprüfen zu können.
Haben Sie nämlich beispielsweise eine BU-Versicherung ohne sog. "Verzicht auf abstrakte Verweisbarkeit" abgeschlossen, sind Sie nur dann berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen, wenn Sie sowohl Ihren zuletzt ausgeübten Beruf, als auch eine andere, vergleichbare Tätigkeit, die Ihren Erfahrungen und Ihrer Lebensstellung enspricht, nicht mehr ausüben können.
Bei Verträgen mit Verzicht auf abstrakte Verweisbarkeit sind Sie dann berufsunfähig, wenn Sie eine gleichwertige Tätigkeit TATSÄCHLICH ausüben.
Da Ihre Versicherung zur Überprüfung der Vergleichbarkeit auf Ihr Einkommen vor der Berufsunfähigkeit abstellen muss, verlangt Sie daher die entsprechenden Einkommensnachweise.
Eine andere Möglichkeit für das Interesse der Versicherung an den Nachweisen ist die Überprüfung der richtigen Angabe Ihrer Antragsfragen.
2.) Darf er diese fordern, obwohl der sowohl bei Vertragsabschluss vor 5 Jahren als auch nach Leistungsbezug vor 3 Jahren die Gelegenheit hatte diese zu fordern bzw. einzusehen?
Ja, da die Nachprüfung Ihren aktuellen Gesundheitszustand überprüfen soll und daher unabhängig von den bisherigen Auskünften ist. Wenn die Versicherung bislang von dem ihr zustehenden Recht keinen Gebrauch gemacht hat, kann sie dennoch jetzt Mitwirkung verlangen.
3.) Darf er diese anfordern, obwohl im Vertrag steht, dass erst ab einer Rente von 18.000 Euro p. a. diese vorgelegt werden müssen?
Ich gehe davon aus, dass sich diese Klausel auf Ihre Nachweisobliegenheit vor VERTRAGSSCHLUSS bezieht, so dass die jetzige Mitwirkungspflicht im Leistungsfall bzw. Nachprüfungsverfahren nichts damit zu tun hat.
Für genauere Auskunft müsste die erwähnte Klausel im Zusammenhang geprüft werden. Sollten sich tatsächlich widersprüchliche Klauseln in Ihrem Vertrag befinden, gilt das für Sie Günstigere.
4.) Kann er die jetzige Rente kürzen, wenn auf den Einkommensteuerbescheiden vor Berufsunfähigkeit geringere Einnahmen vorhanden sind als die Höhe der jetzigen Rente? Wenn ja, warum hat er nicht einfach bei Vertragsabschluss vor 5 Jahren oder vor Leistungsbewilligung vor 3 Jahren diese nicht einsehen wollen?
Wenn Sie im Antrag Fragen zum Einkommen falsch beantwortet haben, kann dies zu Leistungseinschränkungen bis hin zur Anfechtung führen.
Sofern solche Fragen überhaupt nicht gestellt wurden oder sich Ihr Einkommen nach Vertragsschluss verringert hat, sind hier keine Kürzungen zu erwarten, da die BU-Versicherung eine sogenannte Summenversicherung ist und damit die Rentenleistung nicht in Abhängigkeit zu Ihrem ehemaligen Einkommen steht.
5.) Kann der Versicherer bei Vertragsabschluss mit der Angabe "Einkommensnachweise erst ab 18.000 Euro p. a." diese durch eine Klausel der Mitwirkungspflichten bei den AGB´s wieder ausschließen? Wenn ja, wäre das nicht Betrug, wenn im Vertrag auf der ersten Seite der obige Vermerk eingetragen ist, aber dieser wieder in den AGB´s ausgeschlossen wird?
Siehe Frage 3.)
Betrug liegt hier nicht vor, vielmehr gilt bei sich widersprechenden Klauseln die für Sie Günstigere.
6.) Sollte der Versicherer die Leistungen einstellen, stehe ich ohne Einnahmen da. Mit einem Nebenjob, welches ich zur Zeit habe, kann ich meinen Lebensunterhalt nicht bestreiten. Kann ich Schadenersatzanforderungen stellen für die Zeit der Leistungseinstellung wenn ich später vor Gericht Recht bekomme? Wenn ja, bis zu welcher Höhe?
Für einen Schadensersatzanspruch bedarf es einer schuldhaften Pflichtverletzung der Gegenseite. Sollte also pflichtwidrig - und nicht etwa aus Gründen, die rechtlich umstritten und vom Einzelfall abhängig sind - eine Leistungsverweigerung erfolgen, kann theoretisch der kausal hieraus entstandene Schaden ersetzt verlangt werden. Eine Begrenzung ist hierbei grundsätzlich nicht gegeben. Allerdings müsste Ihrerseits konkret nachgewiesen werden, welche Schäden entstanden sind.
Wenn die Leistungseinstellung jedoch deshalb erfolgt, weil Sie Ihren vertraglich vereinbarten Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachkommen, ist kein Schadensersatzanspruch gegeben.
7.) Haben Sie Urteile von Gerichten für diesen speziellen Fall der Nachforderung der Einkommensnachweise? Dafür wäre ich sehr dankbar.
Die Mitwirkungspflichten ergeben sich aus Ihrem Vertrag. Als aktuelles Urteil zu einer Verweisbarkeit unter anderem in Bezug auf die Höhe des Einkommens vgl. BGH, 21.04.2010 - IV ZR 8/08
. Ein konkret auf Ihren Fall passendes Urteil kann ich Ihnen leider nicht nennen.
8.) Wie schätzen Sie prozentual meine Chancen vor Gericht bei den obigen Angaben ein?
Ohne genaue Überprüfung der von Ihnen genannten Klausel der Vorlagepflicht kann eine Angabe der Chancen nicht erfolgen. Sollte es sich hierbei - wie ich denke - um eine Vorschrift für die Vorlage VOR Vertragsschluss handeln, sind Ihre Chancen schlecht, wenn Sie die gewünschten Unterlagen nicht vorlegen.
Wenn Sie Ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen, ist das Ergebnis eine gutachterliche Frage und kann somit auch nicht vorhergesehen werden.
Sollte die Versicherung trotz Mitwirkung Ihrerseits willkürlich kürzen/einstellen, sind die Chancen natürlich gut.
Ich hoffe, ich konnte eine hilfreiche Einschätzung geben und wünsche Ihnen in dieser Sache viel Erfolg. Sollten Sie auch weiterhin meine Hilfe benötigen, stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Schorn
Rechtsanwältin
Sehr geehrte Frau Schorn,
zunächst bedanke ich mich für die schnelle Beantwortung meiner Frage. Weitere Informationen siehe unten:
(Die Nummern unten beziehen sich auf die Nummern der Anfrage)
1.) Auf die Verweisungsklausel wurde bei dem Vertragsabschluss verzichtet. D. h. der Versicherer kann mich nach der Berufsunfähigkeit nicht auf einen anderen Beruf verweisen bzw. mich nicht auf die Ausübung eines anderen Berufes drängen. Im Vertrag wird nicht nach der Höhe des Einkommens gefragt, sondern lediglich welche monatliche Rente gewünscht ist und diese liegt unter 18.000 Euro jährlich. Wozu benötigt also der Versicherer noch meine alten Einnahmen VOR der Berufsunfähigkeit und was will er damit überprüfen?
2.) +3.) Das der Gesundheitszustand regelmäßig überprüft werden muss, ist selbstverständlich. Dafür bekommt der Versicherer auch regelmäßig die ärztlichen Berichte über den Fortbestand der Berufsunfähigkeit. Doch mit den Einkommensteuerbescheiden der letzten Jahre SEIT Berufsunfähigkeit kann der Versicherer genau erkennen, dass wirklich sehr geringe Nebeneinnahmen vorliegen. Und da er erst ab einer Rente von 18.000 Euro jährlich Einkommensnachweise haben wollte laut Vertrag, ist unverständlich warum er VOR der Berufsunfähigkeit keine Einnahmen (vertraglich vereinbart) haben will, aber 3 Jahre später nach Berufsunfähigkeit doch sein Recht auf die Einsicht dieser Einnahmen geltend macht? Wenn er doch das Recht später hat, Unterlagen zu verlangen, die er zuerst nicht haben wollte, wird da der Kunde nicht mit dem Vertrag irre geführt? (Wie oben schon erwähnt wird bis zu einer Rente von 18.000 Euro nur die Wunschrente abgefragt und erst AB 18.000 Euro muss man die Unterlagen laut Vertrag vorlegen. Also kann der Kunde nicht mehr auf das Vertrauen was im Vertrag steht?)
4.) Kann man die Aussage der Summenversicherung auf alle Berufsunfähigkeitsversicherungen in Deutschland beziehen? Demnach kann unter meinen Vertragsbedingungen der Versicherer die Rente auch nicht kürzen, wenn die Einnahmen vor der Berufsunfähigkeit unter der jetzt bestehenden Rente liegen?
5.) Die AGB´s und die Vertragsinformationen widersprechen sich meiner Meinung schon, wenn im Vertrag auf der ersten Seite steht, dass ERST ab 18.000 Euro p.a. Einnahmen nachgewiesen werden müssen und laut den AGB´s der Versicherer doch die Einnahmen später wünschen kann. Wie sehen Sie das oder die deutschen Oberlandesgerichte?
6.) Um meinen Lebensunterhalt bestreiten können, müsste ich ein Darlehen mit Zinsen aufnehmen. Sollte ich also Recht bekommen vor Gericht, muss mir die Versicherung diesen Schaden ersetzen?
Sind die Chancen auch trotz Punkt 5, siehe oben, schlecht?
Ich bedanke mich vorab für Ihre Antwort und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Fragesteller
Sehr geehrter Ratsuchender,
gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Bei Verzicht auf abstrakte Verweisbarkeit kann die Versicherung dann die Leistung einstellen, wenn Sie eine Tätigkeit ausüben, die Ihrer Lebensstellung entspricht.
Da Sie eingangs einen Nebenjob erwähnten, sehe ich daher nach wie vor das Recht des Versicherers, Ihr Einkommen vor der BU erfragen zu dürfen, um die Gleichwertigkeit der jetzt ausgeübten Tätigkeit mit der damaligen in Bezug auf Einkommen überprüfen zu können.
Leider kann ich ohne Durchsicht des Vertrages keine Stellung dazu nehmen, ob sich die Klauseln widersprechen oder nicht. Sollte dies der Fall sein, gilt wie gesagt das für Sie Günstigere.
Meines Wissens sind alle BU-Versicherungen als Summenversicherung ausgestaltet. Für eine Sicherheit müssten allerdings Ihre konkreten Bedingungen überprüft werden, da ich nicht vorhersehen kann, ob Ihre Versicherung hier eventuell Sonderbedingungen verwendet hat.
Da Sie keine falschen Angaben gemacht haben, dürfte sich daher bei Vorlage der Einkommensnachweise keine Leistungskürzung ergeben, sofern der "Nebenjob" nicht Ihrer Lebensstellung entspricht. Bitte beachten Sie hierbei, dass die deutschen Gerichte bis zu 20% Einkommenseinbußen noch als gleichwertig betrachten.
Wie ich bereits ausführte, hängt ein Schadensersatzanspruch an einer verschuldeten Pflichtverletzung. Sollte also die Versicherung beispielsweise willkürlich kürzen, ist ein Anspruch gegeben. Die von Ihnen angesprochenen Darlehenszinsen wären hierbei kausaler Schaden. Die Darlehenssumme selbst nicht, jedoch würden Sie ja zusätzlich zum Schaden rückständige Rentenzahlung einklagen können.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich ohne konrkete Vertragsprüfung keine genauere Chanceneinschätzung als bereits erteilt geben kann.
Mit freundlichen Grüßen
Schorn
Rechtsanwältin