Guten Tag,
vielen Dank für Ihre ausführliche Schilderung. Ich werde Ihre Fragen der Reihe nach beantworten und Ihnen einige Tipps für das bevorstehende Gutachten geben.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung den Versicherungsschutz nicht allein deshalb verweigern darf, weil Sie bereits vor Beginn der Ausbildung an Depressionen litten und dennoch die Ausbildung begonnen haben. Entscheidend ist, ob Sie bei Antragstellung der Versicherung alle Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß beantwortet haben. Es kann sehr gut sein, dass - wenn es auch nur den geringsten Zweifel gibt - die Versicherung den gesamten Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechtet. In diesem Fall müsste die Versicherung keine Leistungen erbringen.
Das ärztliche Attest, das Ihnen die Fähigkeit zur Ausbildung bescheinigt, ist hier sicherlich hilfreich. Es ist auf jeden Fall positiv, dem Gutachter zu schildern, dass Sie alles unternommen haben, um die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Dies zeigt Ihre Motivation und Ihren Willen, trotz der Erkrankung arbeitsfähig zu bleiben. Betonen Sie ruhig, welche Anstrengungen Sie diesbezüglich unternommen haben.
Für die Vorbereitung auf das Gutachten empfehle ich Ihnen, eine möglichst genaue Beschreibung Ihrer Tätigkeiten und Anforderungen in der Ausbildung anzufertigen, soweit dies möglich ist. Schildern Sie, welche konkreten Einschränkungen Sie aufgrund Ihrer Erkrankungen bei der Ausübung dieser Tätigkeiten haben. Legen Sie dem Gutachter aussagekräftige Befunde vor, die Ihre Erkrankungen und Beeinträchtigungen belegen. Bleiben Sie in dem Gespräch sachlich und schildern Sie Ihre Beschwerden ohne zu übertreiben.
Die Gewährung einer befristeten Erwerbsminderungsrente, der Grad der Behinderung und die Notwendigkeit einer Betreuung sind starke Indizien für das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit. Legen Sie die entsprechenden Bescheide unbedingt dem Gutachter vor. Auch die Reha-Entlassung als arbeitsunfähig spricht für Sie.
Weisen Sie den Gutachter ruhig darauf hin, dass Ihnen aufgrund Ihrer Erkrankung möglicherweise Fehler bei der Antragstellung unterlaufen sind und Sie Schwierigkeiten hatten, die Unterlagen zu beschaffen. Durch die in den Arztberichten bestätigten Probleme ist dies nachvollziehbar und sollte Ihnen nicht negativ ausgelegt werden. Insgesamt rate ich Ihnen, offen und ehrlich mit dem Gutachter über Ihre gesundheitlichen Probleme zu sprechen. Scheuen Sie sich nicht, auch die Auswirkungen auf Ihr Alltagsleben zu schildern. Je nachvollziehbarer Sie Ihre Situation darstellen können, desto besser kann der Gutachter sich ein Bild machen.
Bitte beachten Sie, dass das Gutachten nicht erst im Zimmer des Gutachters beginnt. Viele Gutachter beobachten bereits, wie die Probanten zu Ihnen gelangen (steigt fit aus dem Auto auf dem Parkplatz hinter der Praxis aus und beginnt dann in der Praxis zu humpeln etc.).
Bitte beachten Sie auch, dass leider sehr viele Streitigkeiten um Berufsunfähigkeitsversicherungen gerichtlich geklärt werden müssen. Eine BU ist eine der teuersten Verschicherungsfälle bei den Individualversicherungen und die Versicherungen versuchen - wo es nur geht - eine Haftung abzulehnen. Ich kann Ihnen daher nur dazu raten, frühzeitig anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (idealerweise bereits bei der Antragstellung, der Drops ist nun aber gelutscht, machen Sie sich daher keine Vorwürfe, dennoch ist es aus meiner Erfahrung wirklich sinnvoll, frühzeitig die Kommunikation in anwaltliche Hände zu geben ("ein Anwalt kostet Geld, kein Anwalt kostet mehr Geld").
Ich wünsche Ihnen für die Begutachtung alles Gute!
Es grüßt Sie freundlich
Jan Gregor Steenberg, LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Antwort
vonRechtsanwalt Jan Gregor Steenberg, LL.M.
Hachelallee 88
75179 Pforzheim
Tel: 07231/1331993-0
Web: https://www.kanzlei-steenberg.de
E-Mail:
Rechtsanwalt Jan Gregor Steenberg, LL.M.
Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Gewerblicher Rechtsschutz, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Danke für die ausführliche Antwort.
Eine Frage hätte ich noch.
Es wurde bei der Frage nach der letzten beruflichen ausgeübten Tätigkeit an gesunden Tagen etwas anderes angegeben als die Ausbildung,, weil ich dachte es ist hier nicht eine Ausbildung gemeint. Ich habe also den letzten Beruf vor der Ausbildung angegeben. Alle weiteren Tätigkeitsbeschreibungen bezogen sich aber auf die Ausbildung.
Wie sehen Sie die Chancen an, dies glaubhaft dem Gutachter/Versicherung darzulegen?
Oder ist dies ein Fehler der nicht mehr korrigierbar ist ?
Teilen Sie dies bitte sowohl dem Gutachter als auch der Versicherung mit und führen Sie aus, dass es sich um ein Missverständnis handelt. Beste Grüße und alles Gute morgen.
Jan Gregor Steenberg