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Abstandsflächen bei Stützmauer in BW

| 21. Februar 2023 22:25 |
Preis: 40,00 € |

Baurecht, Architektenrecht


Beantwortet von

Guten Tag,

derzeit plane ich die Erstellung einer Stützmauer um einen Höhenunterschied zwischen meinem Grundstück und dem Grundstück meines Nachbars zu befestigen. Die Grenze zu meinem Nachbar hat eine Länge von etwas mehr als 40 Meter und die geplante Stützmauer hätte am höchsten Punkt eine Höhe von einem Meter.

Als erstes habe ich dazu das Nachbarrecht in Baden-Württemberg studiert. Die maßgeblichen Paragraphen darin sind §9 - §11. Grenzabstände werden darin nur entlang landwirtschaftlich genutzter Flächen gefordert. Weiterhin wird ein Abstand gefordert, wenn die tote Einfriedung eine Höhe von über 1,5m hat. Beides ist hier nicht der Fall.

Als nächstes habe ich in der LBO von Baden-Württemberg diesbezüglich studiert. Dort sind in §6 die Abstandsflächen in Sonderfällen definiert. Stützmauern fallen dabei unter Satz 1 Nr. 3 der wie folgt lautet:

„Ohne eigene Abstandsflächen sind zulässig: bauliche Anlagen, die keine Gebäude sind, soweit sie nicht höher als 2,5 m sind oder ihre Wandfläche nicht mehr als 25 m² beträgt"

Die Interpretation dieser Aussage fällt mir zugegeben etwas schwer. Auf den ersten Blick würden die meisten das dahingehend interpretieren, dass eine Bauwerk sowohl kleiner als 2,5m sein muss als auch die Wandfläche weniger als 25 m² haben muss. Das käme einer „und" Bedingung gleich (Vergleich Satz 1 Nr. 2). Da es sich hier aber um ein „oder" handelt wäre meine Interpretation die folgende:

- Wenn die Stützmauer höher als 2,5m ist, so muss die Wandfläche weniger als 25m² betragen
- Wenn die Wandfläche mehr als 25m² beträgt, so muss die Stützmauer niedriger als 2m sein.

Daher die Frage meinerseits, ob die obige Interpretation korrekt? Daraus folgend, kann eine Stützmauer mit einer Fläche von mehr als 25 m² ohne Abstandsfläche errichtet werden, sofern diese nicht höher als 1 Meter ist?

Mit freundlichen Grüßen

22. Februar 2023 | 00:46

Antwort

von


(1656)
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Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Die Regelung des § 5 Abs. 9 LBO a.F. findet aber nur Anwendung, wenn beide Maße überschritten sind, m.a.W. braucht eine bauliche Anlage, welche - wie hier - nur eines dieser Maße überschreitet, keine eigene Abstandsfläche einzuhalten (vgl. Urt. v. 18.07.1984 - 3 S 976/84 -, BWVPr. 1984, 257; Urt. v. 08.05.1985 - 3 S 63/85 -, VBlBW 1986, 23; Urt. v. 01.06.1994 - 3 S 2617/92 -, VGHBW-Ls 1994, Beilage 8, B8, juris, Urt. v. 13.03.2008 - 8 S 15/07 -, BauR 2008, 1585).

An dieser Rechtslage hat sich im Übrigen – entgegen der dezidiert geäußerten Rechtsauffassung der Klägerin – durch die seit dem 01.03.2010 geltende abstandsflächenrechtliche Sonderregelung in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO neuer Fassung (im folgenden: LBO) nichts geändert. Vielmehr ist die Werbeanlage auch nach dieser Vorschrift abstandsflächenrechtlich privilegiert. Die Klägerin meint, die Voraussetzungen für eine Zulassung der Werbeanlage ohne eigene Abstandsflächen lägen nicht mehr vor, weil seit der Neufassung der Vorschrift durch Gesetz vom 10.11.2009 „eine Genehmigung nicht mehr in Betracht komme, wenn die Anlage entweder höher als 2,5 m ist oder die Anlage eine größere Wandfläche als 25 qm hat". Damit gibt sie den Wortlaut der Vorschrift sinnverdreht wieder. Denn § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO ist entgegen ihrem Vortrag gerade nicht in der Weise negativ formuliert, dass bauliche Anlagen unzulässig sind, wenn eines der in der Vorschrift genannten Maße überschritten wird, sondern umgekehrt in der Weise positiv, dass bauliche Anlagen (in den Abstandsflächen anderer baulicher Anlagen sowie ohne eigene Abstandsflächen) zulässig sind, soweit eines der in der Vorschrift genannten Maße nicht überschritten wird. Bereits der Gesetzeswortlaut („oder") legt bei dieser Formulierung nahe, dass die Erfüllung schon eines der beiden Maße ausreicht, um die abstandsflächenrechtliche Privilegierung einer baulichen Anlage auszulösen. Umgekehrt bedeutet dies, dass nur die kumulative Überschreitung beider Gebäudemaße zur Unzulässigkeit einer baulichen Anlage i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO führt. So wird die neugefasste Vorschrift auch in der Kommentarliteratur verstanden (Sauter, LBO, 3. Aufl. § 6 Rdnr. 26; Schlotterbeck/Hager/Busch/Gammerl, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 6.Aufl. 2011 § 6 Rdnr. 32).

Dieses schon nach dem Wortlaut naheliegende Verständnis der Vorschrift wird durch einen Blick auf die im Gesetzgebungsverfahren eindeutig zum Ausdruck gekommene Regelungsabsicht des Gesetzgebers bestätigt.

Mit § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO wurden die bis zum 28.02.2010 geltenden Vorschriften des § 5 Abs. 9 LBO a.F. und des § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO a.F. in einer Regelung zusammengefasst (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO im Gesetzentwurf der Landesregierung vom 19.08.2009, LT-Drs. 14/5013, S. 39). § 5 Abs. 9 LBO a.F. bestimmte, dass die - für Gebäude geltenden - Abstandsflächenvorschriften des § 5 Abs. 1 bis 8 LBO a.F. entsprechend für bauliche Anlagen gelten, die keine Gebäude sind, wenn die baulichen Anlagen höher als 2,5 m sind und ihre Wandfläche mehr als 25 qm beträgt. Nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO a.F. waren „in den Abstandsflächen bauliche Anlagen zulässig, die keine Gebäude sind, wenn sie in den Abstandsflächen nicht höher als 2,5 m sind und ihre Wandfläche nicht mehr als 25 qm beträgt. Hinsichtlich beider Vorgängervorschriften - bzw. deren Vorgängervorschriften in noch früheren Fassungen der Landesbauordnung - war in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aber anerkannt, dass bereits die Erfüllung eines der beiden genannten Maße die abstandsflächenrechtliche Privilegierung auslöst, m.a.W. erst deren kumulative Überschreitung zu einer Unzulässigkeit der betreffenden baulichen Anlage führt (zu § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO a.F. Beschl. v. 21.06.1993 - 5 S 874/93 -, BRS 55 Nr. 162, juris; Urt. v. 14.08.1997 - 5 S 1252/96 -, BauR 1998, 517; Urt. v. 13.03.2008 - 8 S 15/07 -, BauR 2008, 1585, ebenso zu § 5 Abs. 9 LBO a.F. Urt. v. 18.07.1984 - BWVPr. 1984, 257; Urt. v. 08.05.1985 - 3 S 63/85 - , VBlBW 1986, 23; Urt. v. 01.06.1994 - 3 S 2617/92 -, VGHBW-Ls 1994, Beilage 8, B8, juris). Diese Interpretation war mit dem Wortlaut der Vorgängervorschriften nicht auf den ersten Blick in Einklang zu bringen, denn die „und"-Verknüpfung konnte auch dahin verstanden werden, dass erst eine kumulative Einhaltung beider Maße die abstandsflächenrechtliche Privilegierung auslöst, m.a.W zur Zulässigkeit der betreffenden baulichen Anlage führt. Der Verwaltungsgerichtshof hatte in seinem Urteil vom 13.03.2008 - 8 S 15/07 - aber herausgestellt, dass es sich bei dem Bindewort „und" um eine relativ schwache und sprachlich mehrdeutige konjunktive Verbindung handele. Der Wortlaut lasse die vom Gesetzgeber intendierte und von der Rechtsprechung vorgenommene Auslegung - Zulässigkeit des Vorhabens bereits bei Einhaltung eines der genannten Maße, umgekehrt gesprochen: Unzulässigkeit des Vorhabens erst bei kumulativer Überschreitung beider Maße - daher durchaus zu.

Dem Landesgesetzgeber waren die aufgezeigten Verständnis- und Auslegungsschwierigkeiten bei der Neuformulierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO bekannt. Ausweislich der Gesetzesbegründung der Landesregierung zu dieser Vorschrift (LT-Drs. 14/5013, S. 39) soll sich an dem von der Rechtsprechung konkretisierten Verständnis der Vorgängervorschriften durch die Neufassung nichts ändern. Vielmehr wollte der Gesetzgeber die von ihm als „unklar" bezeichnete bisherige Regelung deutlicher fassen. Zur Auslegung der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO genannten Voraussetzungen und zur Regelungsabsicht heißt es in der Gesetzesbegründung unzweideutig:

„Zukünftig gilt hier, dass alle sonstigen baulichen Anlagen dann eigene Abstandsvorschriften besitzen und in Abstandsflächen anderer baulicher Anlagen unzulässig sind, wenn sie beide in Nummer 3 aufgeführten Grenzwerte überschreiten".

Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Gesetzgeber die Umformulierungen im Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO („soweit" anstatt bisher „wenn", „oder" anstatt bisher „und") bewusst gewählt hat, um das in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs schon bisher entwickelte Verständnis der Vorgängervorschriften im Wortlaut des neugefassten § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO klar zu verankern. Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist dies auch gelungen.


(Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2012 – 5 S 2233/11 –, Rn. 29 - 35, juris)

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben, und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen


Rechtsanwalt Gero Geißlreiter
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Bewertung des Fragestellers 22. Februar 2023 | 20:57

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