Sehr geehrter Fragesteller,
auf der Grundlage des von Ihnen geschilderten Sachverhalts beantworte ich Ihre Fragen gerne wie folgt:
1.
Bei dem Urteil, von dem Sie gehört haben, handelt es sich um Das Urteil des EuGH v. 17. Mai 2023 (Az. C 97/22, abgedruckt in NJW 2023, 2171). Dem Urteil lag zugrunde, dass ein Hauseigentümer (Verbraucher) mit einem Elektroinstallateur (Unternehmer) mündlich einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation seines Hauses abgeschlossen hatte. Dabei hatte der Unternehmer den Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht unterrichtet. Der EuGH hat entschieden, dass der Verbraucher zum Widerruf des Vertrages berechtigt ist, obgleich der Elektroinstallateur seine Leistung erbracht hatte.
1.1
Diese Entscheidung kommt Ihnen unter der Voraussetzung zugute, dass es sich bei dem von Ihnen abgeschlossenen Vertrag um einen Verbrauchervertrag im Sinn von § 312 Abs. 1 BGB handelt.
Sofern Sie den Vertrag mit dem Fensterbauer (Unternehmer i.S.v. § 14 BGB) zu überwiegend privaten Zwecken abgeschlossen haben, handelt es sich um einen Verbrauchervertrag. Für einen solchen Vertrag besteht bei Vorliegen weitere Voraussetzungen ein Widerrufsrecht, wenn sich der Verbraucher - wie es bei Ihnen der Fall ist - zur Zahlung eines Preises verpflichtet hat (§ 312 Abs. 1 BGB).
Ein Widerrufsrecht bestünde im Grundsatz dann, wenn es sich bei dem Vertrag mit dem Fensterbauer um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinn von § 312b BGB oder um einen Fernabsatzvertrag im Sinn von § 312c BGB handelt.
Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind gemäß § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB Verträge,
• die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist,
• für die der Verbraucher unter den in Nummer 1 genannten Umständen ein Angebot abgegeben hat,
• die in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen werden, bei denen der Verbraucher jedoch unmittelbar zuvor außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers persönlich und individuell angesprochen wurde, oder
• die auf einem Ausflug geschlossen werden, der von dem Unternehmer oder mit seiner Hilfe organisiert wurde, um beim Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu werben und mit ihm entsprechende Verträge abzuschließen.
Geschäftsräume sind dabei unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt (§ 312b Abs. 2 Satz 1 BGB). Räumen des Unternehmers gleich.
Ein Fernabsatzvertrag setzt nach § 312c BGB voraus, dass
• der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt (§ 312c Abs. 1), wobei
• Fernkommunikationsmittel alle Kommunikationsmittel sind, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und digitale Dienste nach § 1 Absatz 4 Nummer 1 des Digitale-Dienste-Gesetzes (§ 312c Abs. 2 BGB)
Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann mangels näherer Sachverhaltskenntnis nicht beurteilt werden.
1.2
Selbst wenn ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag oder ein Fernabsatzvertrag vorläge, bestünde ein Widerrufsrecht allerdings dann nicht, wenn Waren geliefert werden sollen, die nach Verbraucherspezifikation angefertigt werden oder auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind (§ 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB). Allerdings greift diese Ausnahme in aller Regel nicht bei Werkverträgen (vgl. Koch in Erman, BGB, 17. Auflage 2023, § 312g Rn. 7).
2.
Selbst wenn Ihnen kein Widerrufsrecht zustünde, wäre daran zu denken, dass Ihnen aufgrund der umfangreichen Werkmängel ein Rücktrittsrecht vom Vertrag und zudem Ersatz der Ihnen durch die mangelhafte Werkleistung entstanden Schäden zustehen könnte.
In Ihrem Fall ist nach dem geschilderten Sachverhalt davon auszugehen, dass das Werk erhebliche Sachmängel im Sinn von § 633 Abs. 2 BGB aufweist.
Sie können gemäß § 635 Abs. 1 BGB Nacherfüllung verlangen, wobei der Unternehmer die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen zu tragen hat. Verweigert der Unternehmer die Nacherfüllung oder ist diese unzumutbar, können Sie gemäß § 637 Abs. 1 BGB den Mangel selbst beseitigen (lassen) und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen.
Darüber hinaus kann gemäß § 634 Nr. 4 BGB Schadensersatz verlangt werden, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung verweigert, diese fehlgeschlagen oder wenn sie Ihnen unzumutbar ist (§ 636 BGB).
Der Schadensersatzanspruch umfasst die Kosten, die dem Besteller durch die mangelhafte Leistung entstanden sind, und er ist so zu stellen, als ob der Unternehmer ein mangelfreies Werk hergestellt hätte.
Neben einer Sicherung der Beweise möglichst durch einen Sachverständigen ist Ihnen dringend zu raten, einen Rechtsanwalt mit der Prüfung und Durchsetzung Ihrer Ansprüche zu beauftragen.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass diese Plattform eine ausführliche und persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen kann, sondern ausschließlich dazu dient, eine erste überschlägige Einschätzung Ihres Rechtsproblems auf Grundlage der von Ihnen übermittelten Informationen von einem Rechtsanwalt zu erhalten.
Sollte etwas unklar oder offengeblieben sein, können Sie gerne die (kostenlose) Nachfragefunktion nutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Wünschmann
(Rechtsanwalt)
Antwort
vonRechtsanwalt Jürgen Wünschmann
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Vielen Dank für die Antwort,
Wir hatten zwar ein Beratungsgespräch nach dem wir vom Fensterbauer per Email ein Angebot angefordert und erhalten haben, jedoch wurde hier kein Vertrag geschlossen.
Änderungen im Angebot wurde nur per Mail kommuniziert und die Freigabe auch nur per Mail erteilt. Es gab hierzu keine unterschriebene Auftragserteilung.
Verstehe ich Sie richtig, dass das Beratungsgespräch eventuell den Fernabsatzvertrag ausschließen kann und da beide nicht körperlich anwesend sind bei der Mail-Freigabe, dass hier die Verträge außerhalb der Geschäftsräume auch nicht zum Tragen kommen kann?
Sehr geehrter Fragesteller,
gerne beantworte ich Ihre Nachfrage wie folgt:
Nach § 312c Abs. 1 BGB sind Fernabsatzverträge dadurch gekennzeichnet, dass für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel (z.B. Briefe, Telefonanrufe, E-Mails) verwendet werden. Ein persönlicher Kontakt vor Vertragsschluss schließt also nach dem Wortlaut des Gesetzes das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages aus. Im Hinblick auf einen möglichst weitgehenden Schutz für den Verbraucher wird es in der Literatur aber für erforderlich gehalten, gewisse Mindestanforderungen an die Qualität des persönlichen Kontakts zwischen Verbraucher und Unternehmer zu stellen. Äußerst problematisch ist es jedoch, dabei eine mit hinreichender Rechtssicherheit zu beurteilende Grenze zu benennen, deren Überschreitung dazu führt, dass der Verbraucher nicht in gleichem Maße schutzbedürftig ist, wie es die Regelungen des Fernabsatzes vorsehen (Vgl. Thüsing in Staudinger, BGB, Neuauflage 2024, § 312c Rn. 35).
Diese Abgrenzungsschwierigkeit wird auch durch folgende Feststellungen des Bundesgerichtshofs nicht wirklich beseitigt: "An einem Vertragsschluss ´unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln` fehlt es, wenn der Verbraucher während der Vertragsanbahnung persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter des Unternehmers oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter hat. ... Nur in Fällen, in denen der Verbraucher keine Möglichkeit hat, vor Vertragsschluss mit dem Unternehmer oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter Fragen zu stellen und Unklarheiten auszuräumen, besteht ein Bedürfnis für ein zweiwöchiges Widerrufsrecht" (vgl. BGH, Urteil v. 27.2.2018 - XI ZR 160/17 - NJW 2018, 1387 Rn. 20). Allerdings kann der Entscheidung wohl entnommen werden, dass der persönliche Kontakt, der einen Fernabsatzvertrag ausschließt, geeignet sein muss, Fragen zu stellen und Unklarheiten auszuräumen.
Wie Sie aus Vorstehendem ersehen können, bedarf es einer Würdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles, die dann aber immer noch mit Unsicherheiten behaftet ist.
Sollte in Ihrem Fall wegen eines auch persönlichen Geschäftskontakts ein Fernabsatzvertrag zu verneinen sein, könnte dennoch ein Widerrufsrecht bestehen. Zu prüfen wäre insoweit, ob ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrage im Sinn des § 312b BGB vorliegt und ein Widerruf insbesondere nicht nach § 312g Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist.
Ich hoffe, dass Ihnen das für die erste Einschätzung weiterhilft.
Ich wünsche Ihnen noch einen erholsamen Sonntag!
Mit freundlichen Grüßen
Wünschmann
(Rechtsanwalt)
Sehr geehrter Fragesteller,
ergänzend und präzisierend zu einem ggf. außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbrauchervertrag. Ein solcher Vertrag liegt auch dann vor, wenn er durch Fernkommunikationsmittel (hier z.B. E-Mail) geschlossen wird, bei denen der Verbraucher jedoch unmittelbar zuvor außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers persönlich und individuell angesprochen wurde (§ 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB). Dem Unternehmer stehen dabei Personen gleich, die in seinem Namen oder Auftrag handeln (§ 312b Abs. 1 Satz 2 BGB).
In Ihren Fall spricht einiges dafür, dass das für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge typische Druck- und Überraschungsmoment fehlt (vgl. Koch in Ermann, BGB, 17. Aufl. 2023, § 312b Rn. 21) und damit ein solcher zum Widerruf berechtigender Vertrag nicht vorliegt. Das folgt daraus, dass ein Beratungsgespräch stattgefunden hat, was nahelegt, dass der Vertragsschluss auf der Grundlage einer gewissen Abwägung und Überlegung erfolgte.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Wünschmann
(Rechtsanwalt)