Sehr geehrter Ratsuchender,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich wie folgt beantworte:
In Ihrem Fall liegen die Reparaturkosten (5.000 €) unter dem Wiederbeschaffungswert (6.000 €), aber oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwands (Wiederbeschaffungswert – Restwert = 3.000 €).
In einem solchen Fall ist tatsächlich von der Versicherung bei fiktiver Abrechnung nur der Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 3.000 € - wie geschehen – zu ersetzen, sofern Sie das Fahrzeug nicht mindestens 6 Monate weiternutzen.
Ihre Annahme ist also grds. völlig richtig, wobei es immer wieder darüber zum Streit kommt, ob die volle Summe sofort fällig ist, wenn Sie die Weiternutzung beabsichtigen. Dies ergibt sich z.B. aus der Entscheidung des LG Rottweil vom 07.02.2024, 1 S 46/23 (https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001564940):
Zitat:Ist der Reparaturaufwand höher als der Wiederbeschaffungsaufwand, jedoch niedriger als der Wiederbeschaffungswert, so kann der Geschädigte die Netto-Reparaturkosten ansetzen, wenn er den reparierten Gegenstand mindestens noch sechs Monate weiternutzt und ggf. verkehrssicher (teil-)reparieren lässt (BGH, NJW 2006, 2179; BGH, NJW 2008, 1941).
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Geschädigte aber nicht darauf verwiesen werden, Schadensersatzansprüche erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist geltend zu machen, da es sich bei der Sechs-Monats-Frist weder um eine Fälligkeitsvoraussetzung noch um eine eigene Anspruchsvoraussetzung handelt (LG Köln, Beschluss vom 14.07.2017, Az.: 11 S 444/16, BeckRS 2017, 122898). Sie ist vielmehr Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse und hat damit beweisrechtliche Bedeutung (BGH, NJW 2009, 910). Durch den Ablauf der Sechs-Monats-Frist ist der Beweis geführt, dass das Integritätsinteresse der Klägerin von Anfang an bestand. Die Frist als eigenständige Anspruchsvoraussetzung zu verstehen, verbietet sich schon deshalb, weil nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund eine Erweiterung der sich aus §§ 823 Abs. 1 BGB bzw. 7 Abs. 1 StVG i.V.m. 249 BGB, 271 BGB ergebenden Anspruchsvoraussetzungen durch die Rechtsprechung angezeigt sein könnte. Dies würde auch zu einer für die Mehrzahl der Geschädigten unzumutbaren Regulierungspraxis führen. Diese müssten, obwohl sie ihr Fahrzeug ordnungsgemäß reparieren ließen oder lassen wollen, bis zu sechs Monate auf die Zahlung eines Großteils der ihnen zustehenden Ersatzforderung warten. Insoweit belastet es den Haftpflichtversicherer auch nicht unzumutbar, wenn er bei sofortiger Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs das Solvenzrisiko hinsichtlich eines etwaigen Rückforderungsanspruchs trägt, sofern der Haftpflichtversicherer innerhalb der Sechs-Monats-Frist zahlt (BGH, NJW 2009, 910).
Die Klägerin hat spätestens mit der Klageschrift dargelegt, das Fahrzeug weiter zu nutzen. Die Beklagten stellen in der Berufungsbegründung selbst darauf ab, dass der Zeuge C im Termin vom 21.12.2022 bestätigt hat, dass sich das Fahrzeug weiterhin im Besitz der Klägerin befindet und benutzt wird. Der Klägerin war es daher lediglich bis dahin noch nicht gelungen den ihr obliegenden Beweis eines Weiterbenutzungswillens zu führen (AG Trier, NJW-RR 2008, 185; LG Rottweil, 1 S 58/15 - zitiert nach juris). Eine zeitweise Beweisnot der Klägerin steht der Fälligkeit des einmal begründeten Anspruchs jedoch nicht entgegen. Folglich ist es das Prozessrisiko der Beklagten, dass sie den begründeten und fälligen Anspruch nicht bereits vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist ausgeglichen haben. Vorliegend hätten die Beklagten daher zunächst auf Basis der Netto-Reparaturkosten leisten müssen und hätte sich hinsichtlich des oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwands liegenden Anspruchsteils mit einem Rückforderungsvorbehalt versehen dürfen, was vorliegend jedoch nicht geschehen ist. Wird dann die Sechs-Monats-Frist vom Geschädigten nicht eingehalten und liegt auch kein sonstiger Ausnahmefall vor, besteht später die Möglichkeit eines Regresses des Kfz-Haftpflichtversicherers, der die Reparaturkosten unter Rückforderungsvorbehalt an den Geschädigten gezahlt hat (BGH, NJW 2009, 910). Denn bei Nichteinhaltung der Sechs-Monats-Frist hat der Geschädigte keinen Anspruch auf die Netto-Reparaturkosten, sondern lediglich auf den Wiederbeschaffungsaufwand.
Eine weitere entsprechende Entscheidung aus diesem Jahr ist das Urteil des OLG München v. 11.01.2024 – 24 U 3811/23 e:
Zitat:(4)Vor diesem Hintergrund vertritt – worauf der Kläger in der Berufungsbegründung (Seite 4) hingewiesen hat – auch W., ein früheres Mitglied des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, in einer literarischen Stellungnahme die Auffassung, dass die sechsmonatige Weiternutzung auch in der hiesigen Konstellation keine Fälligkeitsvoraussetzung darstellt (NJW 2012, 7/8). Wie vom Kläger in der Berufungsbegründung (Seite 4) nachgewiesen, wird diese Auffassung auch in der amts- und landgerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertreten (vgl. etwa AG Lübeck vom 13.01.2011 – 22 C 2797/10 – juris Rn. 16; AG Langenfeld vom 14.12.2015 – 34 C 249/15 – juris Rn. 3 f.).
[…]
(6) Der Senat schließt sich der oben zu (4) genannten Auffassung an, weil zum einen die vom Bundesgerichtshof für den Fall einer konkreten Abrechnung gegen die Annahme einer Fälligkeitsvoraussetzung ins Feld geführten Argumente (vgl. oben zu (3)) jedenfalls teilweise auf die hier gegebene Konstellation einer fiktiven Abrechnung übertragbar sind; zum anderen dient die Gleichbehandlung dieser Fallkonstellationen dazu, die Rechtsprechung zum Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall nicht unnötigerweise noch weiter zu verkomplizieren.
Sie haben hier also nicht unerhebliche Rechtsprechung auf Ihrer Seite, was die sofortige Fälligkeit der fehlenden 2.000 € betrifft. Natürlich besteht dann die Möglichkeit der Rückforderung, wenn Sie das Fahrzeug vor Ablauf der 6 Monate veräußern, was Ihnen natürlich bewusst sein muss.
Ich würde empfehlen, der Versicherung mitzuteilen, dass Sie das Fahrzeug mindestens 6 Moante weiternutzen werden und unter Verweise auf die obige Rechtsprechung zur Zahlung der weiteren 2.000 € binnen 14 Tagen aufzufordern.
Bleibt die Versicherung stur, müssen Sie entscheiden, ob Sie es dabei zunächst bewenden lassen und 6 Monate abwarten wollen, um erst dann unter Nachweis der Weiternutzung den Restbetrag einzufordern. Andernfalls würde ich – wie übrigens grds. bei nicht selbst verschuldeten Verkehrsunfällen fast immer – empfehlen, einen Anwalt einzuschalten, um den Anspruch durchzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Arnd-Martin Alpers
Rechtsanwalt