Sehr geehrte/r Fragesteller/in,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen wie folgt beantworten:
Zunächst möchte ich voranstellen, dass Forderungen aus Verträgen und Rechnungen i.d.R. der 3jährigen Verjährungsfrist unterliegen (§ 195 BGB
).
Wurden die Forderungen tituliert, unterliegen sie der 30jährigen Verjährungsfrist (§ 197 BGB
).
Sofern ein Schuldtitel "in der Welt" ist und dieser Ihnen nicht (mehr) vorliegt, so muss das Inkasso zur Begründung der behaupteten Forderungen Ihnen zunächst auch erstmal eine Abschrift des Titels zukommen lassen.
Anhand dessen kann dann geprüft werden, ob die Voraussetzungen eines rechtswirksamen Titels und damit die 30jährige Verjährung der Forderung vorliegt.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass Zinsen, welche nicht tituliert sind, ebenfalls der 3jährigen Verjährungsfrist unterliegen, sprich der Gläubiger kann insoweit nur Zinsen der letzten 3 Jahre beanspruchen und nicht wie oftmals gerne "übersehen" der letzten 9 Jahre insgesamt.
Mit Verwirkung ist es leider immer so eine Sache:
Die Verwirkung ergibt sich aus § 242 BGB
und greift ein, wenn die Inanspruchnahme des Schuldners gegen Treu und Glauben verstoßen würde. Sie ist die sog. Halbschwester der Verjährung, aber i.d.R. problematischer als diese, weil sie so schwer berechenbar ist. Eine Verwirkung kann auch innerhalb der Verjährungsfrist ausnahmsweise eintreten.
Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte über einen längeren Zeitraum hinweg untätig geblieben ist und dadurch bei seiner Gegenpartei den Eindruck erweckt hat, sie brauche mit der Geltendmachung des Rechts und der Durchsetzung des Anspruchs nicht mehr zu rechnen, die Gegenseite sich deshalb darauf eingerichtet hat und ihr die verspätete Inanspruchnahme nicht zugemutet werden kann.
Der bloße Zeitablauf reicht niemals aus. Stets müssen darüber hinaus besondere Umstände vorliegen, die die verspätete Inanspruchnahme des Schuldners als gegen Treu und Glauben verstoßend erscheinen lassen. Die Verwirkung setzt also ein Umstandsmoment und ein Zeitmoment voraus (BGH, Urteil v. 14.11.2002, VII ZR 23/02
).
Nach dem BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 – XII ZR 59/12
: verwirkt der Gläubiger einen rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruch nicht allein dadurch, dass er über einen Zeitraum von 13 Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternimmt.
Vielmehr müssen besondere Umstände (Umstandsmoment) hinzukommen, nachdem der Schuldner damit rechnen kann nicht mehr Inanspruchgenommen zu werden. Wie eingangs erwähnt, reicht der bloße Zeitablauf nicht aus, insbesondere nicht wenn bereits ein Titulierung stattgefunden hat.
Fazit:
Sofern sie nicht genau wissen, ob ein gerichtlicher Titel vorliegt, sollten Sie die Forderung mit der Einrede der Verjährung schriftlich zurückweisen und vorbehaltlich dessen die Vorlage einer Abschrift des behaupteten Titels ausgehändigt verlangen.
Sofern ein Titel ausgehändigt wird, sollte ggf. geprüft werden, ob dieser rechtmäßig ergangen ist, sprich ob dieser auch an Sie ordnungsgemäß (Adresse, zuständiges Gericht) zugestellt wurde, wäre dies nicht der Fall kann auch binnen einer Frist von 10 Tagen nach Kenntniserlangung ein Wiedereinsetzungsantrag auf Zulassung des Rechtsmittels, welches in dem Zeitraum auszuüben ist (Widerspruch/Einspruch) nebst Begründung und Rüge der Zustellungsmängel , geboten erscheinen.
Darüber hinaus können Sie den Einwand der Verwirkung erheben, wenngleich dieser nicht unmittelbar erfolgsversprechend ist.
Ungeachtet dessen, sollten Sie jedoch die Forderung prüfen, sprich schauen, ob verjährte Zinsen mit enthalten sind, oder neben der Inkassovergütung auch Rechtsanwaltskosten in der Forderung versteckt sind. Jedenfalls sollten Sie auf eine dezidierte Forderungsaufstellung bestehen.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Sascha Lembcke
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Rechtsanwalt Sascha Lembcke
Herr Lembcke, ich danke sehr für die Information, Ihre Antwort hat mir sehr geholfen.
Ich habe noch eine Nachfrage betreffend der schriftlichen Zurückweisung der Forderung, da ich mich so wenig mit diesem Thema auskenne und die Situation doch recht nervenaufreibend ist.
Bis zum 26.08. wurde mir ja Zeit gegeben, mich bei dem Inkasso zu melden. Ich möchte Ihrem Rat folgen und eine Abschrift des Titels sowie Kostenaufstellung verlangen.
Ich wollte nur sicher gehen, ob das Inkasso nicht zwischenzeitlich eine Zwangsvollstreckung gegen mich beginnen kann, oder ich sonstigen Ärger bekomme, wenn ich mich nicht bis zum 26.8. bereit erkläre zu zahlen, und stattdessen auf dem Schriftwege zunächst die Zahlung verweigere, bis ich eine Abschrift des Titels und eine Kostenaufstellung habe?
Vielen Dank für Ihre tolle Hilfe.
I.d.R. wird eine Vollstreckung nicht drohen. Dies ist eher selten und kommt auf das Inkasso an.
Insoweit sollten Sie die Forderung zurückweisen und die Abschrift fordern.
Schriftlich nur deshalb da ich regelmäßig von telefonischen Rücksprachen mit dem Inkasso abrate.
MfG
RA Sascha Lembcke