Sehr geehrter Ratsuchender,
gerne nehme ich zu Ihrer Anfrage unter Berücksichtigung Ihrer Angaben und Ihres Einsatzes wie folgt Stellung:
Das Strafrecht gehört nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG
zur konkurrierenden Gesetzgebung, das heißt, die Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund. Wo der Bund von diesem Recht Gebrauch macht, können die Länder keine Gesetze mehr erlassen (Art. 72 Abs. 1 GG
). Im Bereich der Sicherungsverwahrung hat der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht (vgl. §§ 66 ff. StGB
).
Ein Gesetz, das die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Regelungen der Sicherungsverwahrung ändern soll, wäre ein sog. Einspruchsgesetz, d. h. es kann auch ohne die Zustimmung des Bundesrates zustande kommen. Der Bundesrat kann gegen ein solches Gesetz nur einen aufschiebenden Einspruch einlegen, der aber vom Bundestag überstimmt werden kann. Das Verfahren ist in Art. 77 GG
geregelt.
Einspruchsgesetze sind die Regel. Das Grundgesetz regelt abschließend, welche Gesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen (Zustimmungsgesetz). Für den Bereich der Sicherungsverwahrung gibt es eine solche Bestimmung nicht; daher wäre eine Neuregelung durch Einspruchsgesetz möglich.
Die Regelungen zur Sicherungsverwahrung gehören zum Strafrecht, auch wenn die Sicherungsverwahrung natürlich Präventivfunktion hat. Der Begriff des „Strafrechts" in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG
ist verfassungsgeschichtlich geprägt. Darunter ist die „Regelung aller, auch nachträglicher, repressiver oder präventiver staatlicher Reaktionen auf Straftaten gehört, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen" (BVerfG NJW 2004, 750
, 751) zu verstehen. Damit gehört auch die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung zum „Strafrecht" im verfassungsrechtlichen Sinn.
Ich hoffe, Ihnen hiermit einen ersten Überblick über die Rechtslage verschafft zu haben, und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Felix M. Safadi
Rechtsanwalt
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Allgemeine Hinweise:
Bitte erlauben Sie mir noch den obligatorischen Hinweis, dass es sich bei dieser Antwort lediglich um eine erste rechtliche Einschätzung des allein auf Ihren Angaben basierenden Sachverhalts handelt. Diese kann eine umfassende Begutachtung nicht ersetzen. Durch Hinzufügen oder Weglassen weiterer Angaben kann die rechtliche Beurteilung völlig anders ausfallen.
Sie schreiben das der Bundestag Einspruchsgesetze überstimmen kann, hat sich durch die neuen Mehrheiten nun was verändert ?
Im
Bundesrat gibt es eine 2/3 Mehrheit muss auch im Bundestag nun eine höhere Mehrheit zustandekommen ?
Weiterhin schreiben sie
"Einspruchsgesetze sind die Regel. Das Grundgesetz regelt abschließend, welche Gesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen (Zustimmungsgesetz). Für den Bereich der Sicherungsverwahrung gibt es eine solche Bestimmung nicht; daher wäre eine Neuregelung durch Einspruchsgesetz möglich. "
Was meinen sie mit Neuregelung, wer regelt oder kann hier was neu regeln ?
Zudem betrifft doch die Sicherungsverwahrung die Länder, die höhere Kosten tragen müssen auch ist ja das strafvollzugsrecht Ländersache, dass Verfassungsgericht sagte mal, dass selbst wenn nur Teile eines Gesetzes die Länder betreffen, müssen diese Gesetze im Bundesrat zugestimmt werden, damit es zustandekommt.
Zu guter letzt sagte das Bundesverfassungsgericht jetzt das die SV keine Strafe ist und zur Besserung und Sicherung etc. dienen soll, sie ist also doch kein Strafrecht mehr oder ?
Sehr geehrter Ratsuchender,
vielen Dank für die Nachfrage. Gerne nehme ich dazu wie folgt Stellung:
1.
„Sie schreiben das der Bundestag Einspruchsgesetze überstimmen kann, hat sich durch die neuen Mehrheiten nun was verändert ? Im Bundesrat gibt es eine 2/3 Mehrheit muss auch im Bundestag nun eine höhere Mehrheit zustandekommen ?"
Das genaue Prozedere (Anrufung Vermittlungsausschuss, Einspruch des BR, Zurückweisung des Einspruchs durch den BT) ist in Art. 77 GG
geregelt. Eine Antwort auf die Fragestellung findet sich in Absatz 4:
„(4) Wird der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrates beschlossen, so kann er durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen werden. Hat der Bundesrat den Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln seiner Stimmen beschlossen, so bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages."
Das bedeutet: Wenn der Einspruch mit der Mehrheit von 2/3 der Stimmen des BR beschlossen wird, kann er vom BT ebenfalls mit 2/3 der Stimmen der anwesenden Abgeordneten zurückgewiesen werden. Diese Stimmen müssen aber auch der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl entsprechen (sog. Kanzlermehrheit). Da an diese Mehrheit zwei Voraussetzungen geknüpft sind, spricht man auch von einer „doppelt-qualifizierten" Mehrheit.
2.
„Was meinen sie mit Neuregelung, wer regelt oder kann hier was neu regeln ?
Zudem betrifft doch die Sicherungsverwahrung die Länder, die höhere Kosten tragen müssen auch ist ja das strafvollzugsrecht Ländersache, dass Verfassungsgericht sagte mal, dass selbst wenn nur Teile eines Gesetzes die Länder betreffen, müssen diese Gesetze im Bundesrat zugestimmt werden, damit es zustandekommt."
Damit ist die vom BVerfG geforderte Neuregelung der derzeit verfassungswidrigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung gemeint. Der Strafvollzug ist davon nicht betroffen. Letzterer fällt, wie Sie zutreffend geschrieben haben, in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder. Die Sicherungsverwahrung gehört aber nicht dazu. Die Sicherungsverwahrung ist auch nicht mit Eingriffen in die Landesverwaltung verbunden, da die Länder diese Regelungen des Bundes als eigene Angelegenheit ausführen (vgl. Art. 84 GG
). Die Verwaltungskompetenz der Länder bleibt also unangetastet; daher keine Zustimmungsbedürftigkeit.
3.
„Zu guter letzt sagte das Bundesverfassungsgericht jetzt das die SV keine Strafe ist und zur Besserung und Sicherung etc. dienen soll, sie ist also doch kein Strafrecht mehr oder ?"
Das war auch schon vorher klar. Die Sicherungsverwahrung dient der Gefahrenabwehr (präventiv) und hat keine Straffunktion (nicht repressiv), da haben Sie natürlich Recht. Das ändert aber nichts daran, dass die Sicherungsverwahrung an eine bereits begangene Straftat anknüpft, bei der der Täter bewiesen hat, dass von ihm auch eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht und er auch aus Gründen der Gefahrprävention weggesperrt werden soll. Die Sicherungsverwahrung gehört nach der Rechtsprechung des BVerfG daher auch zum Strafrecht (Fundstelle oben), da gibt es nichts dran zu rütteln.
Ich hoffe, Ihre Nachfrage damit zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben, und wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Mit freundlichen Grüßen
RA Safadi
Das kann immer passieren, wenn der BR den Einspruch mit Zwei-Drittel-Mehrheit seiner Stimmen beschließen sollte. Bekommt die Bundesregierung dann nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden MdBs zustande, müsste sie sich auf die Länder zubewegen und eine Kompromisslösung in den Bundestag einbringen.