Sehr geehrte Fragestellerin,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen wie folgt beantworten:
1) Ihre Verunsicherung bezüglich der Notwendigkeit, ein Betreuungsgericht bei Therapieentscheidungen, die Leben und Tod betreffen, einzuschalten, ist verständlich. Der § 1358 BGB, der das Ehegattennotvertretungsrecht regelt, sieht tatsächlich vor, dass bei schwerwiegenden medizinischen Entscheidungen, insbesondere wenn es um Leben und Tod geht, das Betreuungsgericht eingeschaltet werden muss. Dies dient dazu, sicherzustellen, dass die Entscheidung im besten Interesse des Patienten getroffen wird und alle rechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Es ist möglich, dass die Klinik und Ihr Rechtsanwalt die Einschaltung des Betreuungsgerichts als nicht zwingend ansehen, wenn bereits eine klare Patientenverfügung vorliegt, die den Willen Ihres Mannes eindeutig dokumentiert. In solchen Fällen könnte die Patientenverfügung als ausreichend angesehen werden, um die Entscheidung zu treffen, ohne das Gericht einzuschalten.
2) Da Sie eine Patientenverfügung und eine Betreuungsverfügung im Original sowie die Registerauszüge der Vorsorgevollmacht haben, könnte es sein, dass die Unterschrift gemäß § 1358 BGB nicht erforderlich ist, um die Palliativentscheidung zu treffen. Die Patientenverfügung sollte den Willen Ihres Mannes in Bezug auf lebensverlängernde Maßnahmen klar darlegen. Wenn die Patientenverfügung eindeutig ist und die Vorsorgevollmacht gültig ist, könnten diese Dokumente ausreichen, um die Entscheidung zu treffen, ohne dass Sie die Ehegattennotvertretung unterschreiben müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Milad Ahmadi
Rechtsanwalt
Antwort
vonRechtsanwalt Dr. Milad Ahmadi
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E-Mail:
Mein Mann hat 5,5 Jahre trotz wiederholter Klinkeinweisungen und Beratungen in Kenntnis der Sterbrisikos die Bachaorten-OP verweigert. In der Notsituation erlaubte er nicht, dass ich einen Notarzt rief (darüber habe ich mich weggestzt), in der Rettungssituation rief er immer wieder, ert wolle nicht ins Krankenhaus, im Krankenhaus verweigerte er die Not-OP (diie Klinik rief mich an, dass ich kommen soll). Jetzt behauptet eine Ärzten, sie hätte ihm direkt vor Beginn der OP sagte: "Herr XXX, Sie sterben in 2 Minuten oder Sie stimmen jetzt der OP zu!". Mein Mann hatte in der Zwischenzeit mehrer Dosen Morphin bekommen, stand unter Vollschock, hatte hohen Blutverlust und war immer wieder kurz bewusstlos. Soweit, so unstrittig. Nun aber sagt die Klinik mit der am Schluss gegebenen OP-Zusage, wäre das rechtsverbindlich und seine Patientenverfügung sei nun wertlos. Das mit der PV ist komplex; ich will auf den ersten Punkt hinaus: kann mein Mann in diesem Zustand eine rechtsverbindliche Zusage treffen, obwohl er vorher so konsistent das Gegenteil gelebt hat?
Was Sie beschreiben, ist eine sehr schwierige und belastende Situation – sowohl medizinisch als auch rechtlich. Ich versuche, es für Sie einzuordnen:
Kurz gesagt:
Ob die OP-Zustimmung Ihres Mannes rechtsverbindlich war, hängt davon ab, ob er in diesem Moment *einwilligungsfähig war.* Das ist nicht automatisch gegeben, nur weil er "Ja" gesagt hat – gerade unter Schock, Morphin, Blutverlust und wechselnder Bewusstlosigkeit ist diese Fähigkeit sehr zweifelhaft.
Wichtige Punkte dazu:
1. Einwilligungsfähigkeit (§ 630d BGB) bedeutet:
Der Patient muss den Wesenskern der Behandlung, ihre Tragweite, Risiken und Alternativen verstehen und abwägen können.
2. Medikamente, Schock, Schmerzen oder Bewusstlosigkeit können die Einwilligungsfähigkeit aufheben oder massiv beeinträchtigen.
3. Wenn jemand nicht einwilligungsfähig ist, gilt die Patientenverfügung – sofern sie konkret auf die Situation passt (§ 1901a BGB). Dann entscheidet nicht mehr der Patient selbst, sondern der gesetzliche Vertreter (ggf. Sie als Bevollmächtigte) oder das Gericht – nicht das Krankenhaus allein.
4. Eine bloße Aussage wie "Ja, machen Sie" in einem dramatischen Zustand reicht nicht automatisch als belastbare Zustimmung, wenn Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit bestehen.
5. Gerichte erkennen regelmäßig an, dass Menschen in akuten Schocksituationen nicht mehr in der Lage sind, fundierte Entscheidungen zu treffen – vor allem, wenn sie zuvor über Jahre hinweg eine gegenteilige Haltung klar und mehrfach bekräftigt haben (wie bei Ihrem Mann).
Was Sie tun können:
- Fordern Sie die vollständige Patientenakte an, inklusive OP-Bericht, Notizen zur Aufklärung und ggf. eine Einschätzung zur Einwilligungsfähigkeit im Moment der OP.
- Fragen Sie konkret nach, wer dokumentiert hat, dass Ihr Mann in diesem Moment einwilligungsfähig war – schriftlich, nicht nur mündlich.
- Wenn es um rechtliche oder haftungsrechtliche Fragen geht (z. B. im Zusammenhang mit der Missachtung der PV), ziehen Sie unbedingt einen Fachanwalt für Medizinrecht hinzu.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Milad Ahmadi
Rechtsanwalt