Sehr geehrter Fragesteller,
unter Berücksichtigung Ihres Einsatzes und Ihres geschilderten Sachverhalts möchte ich Ihre Frage wie folgt beantworten:
1. Ist das anfechtungsberechtigte Geschäft konkludent bestätigt worden mit der Aufstellung der Beitragsforderung in Kenntnis der Rechte nach § 19 VVG
, ebenso Frage für den Rücktritt? Ist daher die Anfechtung/der Rücktritt vom 01.08.2011 eine unzulässige Rechtsausübung?
Die Frage ist, ob Kenntnis überhaupt eingetreten ist. Kenntnis bedeutet positives Wissen. Dabei reicht es jedoch nicht aus, wenn einzelne Mitarbeiter, die mit dem Vorgang in Berührung gekommen sind, Kenntnis von den Umständen bekommen haben. Vielmehr kommt es auf die Kenntnis der Abteilung oder desjenigen an, dem die Sach zugeteilt ist und insoweit die Entscheidungen darüber fällt (BGH 123, 224
; 132, 30; OLG Köln, Urteil vom 03.04.2009 - 20 U 168/08
). Ich gehe daher davon aus, dass der E-Mail Verkehr zwischen Ihnen und der UV-Abteilung nicht für eine positive Kenntnis der BU-Abteilung spricht. Daher liegt auch keine unzulässige Rechtsausübung vor.
2.Kann sich die LV Abteilung herausreden indem sie behauptet sie hätte die Nachmeldung von der UV Abteilung nie erhalten und weil die UV dachte ich wolle nur eine Beitragsaufstellung?
Leider aufgrund des oben gesagten, ja. Die Beweislast hinsichtlich der Kenntniserlangung trägt der Anfechtungs-/Rücktrittsgegner, dass heißt Sie.
3.Ist eine Anfechtungserklärung empfangsbedürftig?
Die Anfechtung ist eine formfreie empfangsbedürtige Willenserklärung, dass heißt sie muss vom Erklärenden (die Versicherung) abgegeben und beim Empfänger (Sie) zugegangen sein. Die Beweislast für den Zugang trägt derjenige, der sich darauf beruft.
Ich hoffe Ihnen hiermit Ihre Frage beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Katrin Preusser
Rechtsanwältin
Internet: www.rechtsanwalt-preusser.de
E-Mail: kontakt@rechtsanwalt-preusser.de
Abschließend möchte ich Sie darauf hinweise, dass diese Plattform lediglich zur ersten rechtlichen Orientierung dient und eine ausführliche Rechtsberatung nicht ersetzen kann. Es ist nur eine erste Einschätzung Ihres Rechtsproblems aufgrund Ihrer Angaben zum Sachverhalt möglich. Durch Hinzufügen oder Weglassen von Angaben zum Sachverhalt kann sich eine abweichende rechtliche Bewertung ergeben.
Antwort
vonRechtsanwältin Katrin Preusser
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Danke zunächst für die Antwort:
Nach meiner Recherche Ihrer angegebenen Rechtsquelle BGHZ 123,224
stellt sich mir die Sache jedoch anders dar. Dort heißt es, dass der Versicherer Kenntnis erlangt von einem ihm zugänglichen Datensatz, wenn er Anlass hatte diesen abzurufen. Indem ich die Versicherung deutlich darauf hinwies, dass in der UV Gesundheitsdaten eingereicht sind die in der BU Versicherung nicht erfasst sind, habe ich diese Voraussetzung erfüllt. Folglich dürfte die Versicherung Kenntnis davon erlangt haben. Bitte nochmals Ihre Ansicht dazu. Als Ergänzung dazu vielleicht noch, dass die E-Mail an die zentrale E-Mailadresse der Versicherung ging und nicht explizit an eine spezielle Unfallversicherung.
Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage beantworte ich gerne wie folgt:
Für die Ausübung der Anfechtung kommt es auf die positive Kenntnis vor Vertragsschluss an. Auch in der Entscheidung BGHZ 123, 224
(ich muss mich hier entschuldigen, da ich das Urteil mit Fundstelle BGHZ 134, 343
meinte) ging es um die Kenntniserlangung vor Vertragsschluss aufgrund der bereits vorhandenen Informationen in der Datenbank. Da die Kenntniserlangung in diesem Fall bejaht wurde, lag auch keine arglistige Täuschung vor. In Ihrem Fall geht es jedoch nicht darum, ob Ihr Versicherer positive Kenntnis vor Vertragsschluss Ihrer BU-Versicherung hatte. Daher ist diese Rechtsprechung auf Ihren Fall nicht direkt anzuwenden. Ob die Grundsätze auch anzuwenden sind, wenn eine arglistige Täuschung vor Vertragsschluss angenommen werden kann und es insoweit auf eine nachträgliche Kenntniserlangung hinsichtlich bei Vertragsschluss nicht angegebener Vorerkrankungen ankommt, die nach Vertragsschluss in einer Datenbank vorhanden waren, ist abschließend noch nicht entschieden worden. Eine sichere Beurteilung ist daher nicht möglich.
„Als Ergänzung dazu vielleicht noch, dass die E-Mail an die zentrale E-Mailadresse der Versicherung ging und nicht explizit an eine spezielle Unfallversicherung."
In der Tat kann der Sachverhalt dann anders beurteilt werden. Es fragt sich hier, ob im Rahmen der Wissenszurechnung die Kenntnis desjenigen ausreicht, der die zentrale E-Mailadresse verwaltet. Das ist etwa dann der Fall, wenn sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB
) eine Pflicht zur Organisation eines Informationsaustausches innerhalb des Betriebes ergibt (BGHZ 132, 30
). Eine abschließende Beurteilung kann jedoch anhand Ihrer Angaben nicht mit hinreichender Sicherheit gegeben werden.
Wenn man nun zum Ergebnis kommt, dass eine Wissenszurechnung vorlag und man damit von positiver Kenntnis ausgehen kann, dann stellt sich auch die Frage des Rechtsmissbrauchs. Rechtsmissbräuchliches Verhalten kann dadurch gegeben sein, dass der Versicherer konkludent auf die Anfechtung/Rücktritt verzichtet hat. Soweit der Verzicht jedoch nicht ausdrücklich erklärt wird, sind an die Feststellung eines in der Erklärung zum Ausdruck kommenden Verzichtswillens strenge Anforderungen zu stellen. Dabei kann etwa allein durch die Einziehung der Prämie ein solcher Verzichtswille nicht entnommen werden, auch dann nicht, wenn die Prämie eingezogen wird, nachdem der Versicherer die Anfechtung erklärt hat (OLG Köln VersR 1998, 85
). In Ihrem Fall wurden Ihnen die offenen Beiträge zu Ihren Versicherungen genannt und eine Einzugsermächtigung mitgegeben. Insoweit würde das nicht für einen Verzichtswillen sprechen, wenn man die OLG Entscheidung heranziehen würde. Der Verzicht auf das Anfechtungsrecht ist dabei vom Versicherungsnehmer nachzuweisen.
Eine andere Möglichkeit ist die Verwirkung der Jahresfrist. Das kann etwa dann vorliegen, wenn der Versicherer in ganz ungewöhnlicher Weise den Versicherungsnehmer in der Annahme bestärkt hat, der Vertrag werde nicht angefochten (BGH NJW 1971, 1795
). Ob in der Antwort Ihres Versicherers eine Bestärkung liegt, den Vertrag nicht anzufechten, ist ebenfalls Auslegungssache. Dafür sprechen könnte etwa, dass Ihr Versicherer sich in der Antwort per Post auf Ihre E-Mail und Vertragsfortf./Rechtssicherung bezieht. Dagegen sprechen könnte etwa, dass keine weiteren Angaben dazu gemacht wurden, sondern nur auf die Beiträge eingegangen wird. Eine abschließende Beurteilung kann ich dazu nicht treffen.
Es tut mir Leid, dass ich Ihnen kein abschließendes Ergebnis liefern kann. Es handelt sich in Ihrem Fall um eine sehr schwierige Rechtslage, die im Rahmen dieser Erstberatung nicht abschließend zu beurteilen ist. Daher würde ich Ihnen dazu raten, sich an einen Rechtsanwalt zu wenden.
Ich hoffe jedoch, dass ich Ihnen hiermit eine bessere Einschätzung geben konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Katrin Preusser