Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Offensichtlich räumt die Stadt als Bauaufsichtsbehörde dem Gebäude nur einen Bestandsschutz ein. Das bedeutet, dass bestimmte Baumaßnahmen nicht mehr vom Bestandsschutz gedeckt werden. Dazu sagt etwa das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 14. April 2000 – 4 C 5/99
–, Rn. 26, juris):
Aber auch in Fällen, in denen das Erscheinungsbild unangetastet bleibt und das Bauvolumen nicht erweitert wird, können an der Anlage vorgenommene Bauarbeiten das Merkmal einer Änderung aufweisen. Denn nach dem Wortsinn des § 29 BauGB
reicht es aus, dass eine Anlage nach baulichen Maßnahmen als eine andere erscheint als vorher. Der Senat stellt in diesem Zusammenhang maßgeblich auf Art und Umfang der Baumaßnahmen ab. Eingriffe in die vorhandene Bausubstanz qualifiziert er als Änderung im Sinne des § 29 BauGB
, wenn das Bauwerk dadurch seiner ursprünglichen Identität beraubt wird. Ein solcher Identitätsverlust tritt nach der Rechtsprechung des Senats nicht nur ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht, sondern erst recht, wenn die Bausubstanz ausgetauscht wird oder die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Oktober 1974 - BVerwG 4 C 75.71
- BVerwGE 47, 126
, vom 17. Januar 1986 - BVerwG 4 C 80.82
- BVerwGE 72, 362
; Beschlüsse vom 19. April 1991 - BVerwG 4 B 9.91
- und vom 4. Dezember 1992 - BVerwG 4 B 229.92
- Buchholz 406.16 Grundeigentumsschutz Nrn. 56 und 60, sowie vom 27. Juli 1994 - BVerwG 4 B 48.94
- Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 302
).
Es kommt also entscheidend auf den Umfang und die Auswirkungen der geplanten Baumaßnahme an. Die Erneuerung des Dachstuhls dürfte die Genehmigungsfrage neu aufwerfen und nicht mehr vom Bestandsschutz gedeckt sein. Die Beseitigung einer nichttragenden Innenwand dürfte dagegen den Bestandsschutz nicht berühren.
Existiert der Bestandsschutz nicht mehr, darf die Bauaufsichtsbehörde auch den Abriss des umgebauten Gebäudes verlangen, wenn es nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist bzw. geworden ist. Daran fehlt es hier anscheinend.
Unter Umständen kann für den "Schwarzbau" (Bauen ohne Baugenehmigung) ein Bußgeld verhängt werden. Davon kann sich der Bauherr aber nicht freikaufen von der Befugnis der Bauaufsichtsbehörde, die Nutzung zu untersagen oder den Abriss zu fordern. Andererseits ist eine "Strafzahlung" nicht dadurch berechtigt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde nicht vorliegen. Bußgeld und Bauordnungsverfügungen sind also zweierlei und bedingen einander nicht.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben, und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Gero Geißlreiter
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Rechtsanwalt Gero Geißlreiter
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sehr geehrter Herr Geißlreiter,
vielen Dank für ihre Antwort, allerdings ist mir bereits bekannt, dass durch die Grösse der Umbaumaßnahmen der Bestandsschutz entfallen kann. Jedoch handelt es sich bei den vorhanden Materialien um schadstoffbelastete (Holzschutzmittel, PAK). Wenn ein Bestandsschutz entfällt, weil man die schadstoffbelasteten Materialien beseitigt, würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass man zu einem Aufenthalt in den belasteten Räumen genötigt wird. Ausser man untersagt die generelle Nutzung des Hauses.
Meiner Information nach würde eine Abrissverfügung nicht der Verhältnismäßigkeit entsprechen, da für Stadt oder Anwohner kein Nutzen durch den Abriss entstehen würde.
Da einerseits die schadstoffhaltigen Materialien beseitigt werden sollen und andererseits das Haus durch eine Wärmedämmung des Dachs den aktuellen energetischen Vorschriften entsprechen soll, stellt sich die Frage, ob ein Bestandsschutz entfallen würde und eine Abrissverfügung erfolgen kann, alleine weil diese Maßnahmen zum Ausschluss von Gesundheitsgefährdungen sowie zum Erlangen von zeitgemäßen energetischen Maßnahmen führen.
Mit freundlichen Grüssen
Sehr geehrter Fragesteller,
gegen den Austausch belasteter Bauprodukte bestehen erst einmal keine Bedenken, dasselbe gilt für eine energetische Verbesserung des Vorhandenen. Schwierig wird es, wenn bei dieser Gelegenheit auch noch konstruktive Änderungen vorgenommen werden. Das kann aber konkret nur anhand der Baupläne und -vorlagen seriös beurteilt werden. Deshalb empfiehlt sich dringend eine vorherige Abstimmung/Beratung durch die Bauaufsichtsbehörde.
Der Gesetzgeber hat den Bauaufsichtsbehörden die folgenden Aufgaben zugewiesen (§ 61 Abs. 2 HBO):
Die Bauaufsichtsbehörden haben bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und der aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen zu sorgen, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen zu treffen; dies gilt auch, soweit eine präventive bauaufsichtliche Prüfung entfällt.
Das Ziel der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände ist für die Behörde ermessensleitend. Belange des Bauherrn kommen über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als einer gesetzlichen Grenze des Ermessens zum Tragen. Es bedarf aber keiner weiteren Rechtfertigung, dass sich die Behörde bei einem Missstand zum Einschreiten entschließt, denn das ist die Kernaufgabe der Bauaufsichtsbehörde. Der von Ihnen angesprochene Nutzen wäre also schon allein darin zu sehen, dass rechtmäßige Zustände hergestellt werden.
Ich empfehle also, die Maßnahme auf den Austausch belasteter Bauprodukte zu beschränken und sich unter Berufung auf § 25 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) dazu von der Bauaufsichtsbehörde beraten zu lassen, um späterem Streit vorzubeugen.
Beste Grüße von Gero Geißlreiter, Rechtsanwalt