Sehr geehrter Herr,
Ihre Frage können wir anhand der von Ihnen gegebenen Informationen wie folgt beantworten:
1.Möglichkeit gegen die Beteiligung der Anlieger gem. KAG vorzugehen.
Die Möglichkeit besteht, wenn und soweit es bspw. keine gesetzliche Grundlage für den Kostenbescheid gibt. Neben dem Kommunalabgabengesetz bedarf es hierzu einer Satzung (vgl. § 2 Abs. 1 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG). Diese Satzung muss also eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Bescheid bieten, d.h. sie muss wirksam sein. Voraussetzung für die Erhebung von Ausbaubeiträgen ist also eine gültige Beitragsregelung in Gestalt einer Abgabesatzung. Ob die jeweilige Satzung rechtswirksam ist, bedarf einer gesonderten Prüfung und sprengt den Rahmen der anwaltlichen Erstberatung.
Ob die Gemeinde die jeweilige Straße tatsächlich "vernachlässigt" hat, ist im Rahmen des § 8 Abs. 1 KAG näher zu betrachten. Beiträge sind Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung und Erweiterung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen im Sinne des § 4 Abs. 2, bei Straßen, Wegen und Plätzen auch für deren Verbesserung, jedoch ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung, dienen. Handelt es sich also um eine laufende Unterhaltung oder Instandsetzung, ist der Begriff des Beitrages nicht erfüllt.
Eine Erneuerung einer (Teil-)Anlage liegt bspw. vor, wenn sie im Wesentlichen entsprechend dem Ausbauzustand wiederhergestellt wird, den sie unmittelbar nach ihrer ersten oder einer etwaigen weiteren Herstellung hatte, indem sie durch eine neue Anlage von gleicher räumlicher Ausdehnung, gleicher funktioneller Aufteilung der Fläche und gleicher Befestigungsart ersetzt wird. Eine Erneuerung unterliegt daher der Beitragspflicht bspw. nach Ablauf der üblichen Nutzungszeit (hier einer Straße) dann, wenn die (Teil-)Anlage verschlissen war. An den Nachweis der Erneuerungsbedürftigkeit sind allerdings desto geringere Anforderungen zu stellen, je länger die übliche Nutzungszeit überschritten ist. Hat diese Überschreitung ein erhebliches Maß angenommen, bedarf es für den Nachweis der Verschlissenheit keiner ins Einzelne gehenden Dokumentation mehr, vielmehr kann dann bereits aus dem bloßen Alter der Anlage auf deren Abgenutztheit geschlossen werden (vgl. OVG Münster, Urteil vom 30. Oktober 2001 - 15 A 4648/99
-, NVwZ-RR 2002, 304
und vom 28. August 2001 - 15 A 465/99
-, NVwZ-RR 2002, 299
;).
Zu prüfen wäre auch, ob der Verteilungsmaßstab korrekt angewendet worden ist und ob es ggf. zu einer Überdeckung, d.h. zu zusätzlichen Einnahmen der Gemeinde gekommen ist.
2."Einspruch" gegen kostentreibende Details
An dieser Stelle bedarf es der Einsicht in die einzelnen Baumaßnahmen, soweit es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die durchgeführten Baumaßnahmen den Anforderungen des § 8 Abs. 4 KAG nicht entsprechen.
3. Einbeziehung von Eckgrundstücken
Die Frage kann durch eine Betrachtung von § 8 Abs. 2 S. KAG beantwortet werden. Es kommt dabei darauf an, ob der Grundstückseigentümer einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, der dann die Beitragspflicht auslöst.
Für die Annahme eines wirtschaftlichen Vorteils bedarf es bspw. nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einer Steigerung des Gebrauchswertes des Grundstücks (Urteil vom 6. September 2006 - OVG 9 B 24.05
-, juris, im Anschluss an OVG Brandenburg, Urteil vom 3. Dezember 2003 - 2 A 417/01
-, juris; kritisch dazu: Becker Bbg KAG, § 8 Rn. 116 f. und Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 276 f., die auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage abstellen). Dabei kommt es nicht auf eine konkret messbare Steigerung des Wertes eines Grundstücks an, maßgeblich ist vielmehr die Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Straße und eine Nutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, als Anlieger von der Straße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann (Driehaus, a. a. O., Rn. 273a). Wenn beide Voraussetzungen vorliegen wird die Erschließungssituation des Grundstücks in der Regel vorteilhaft verändert und damit den anliegenden Grundstücken bzw. deren Eigentümern sowohl eine verbesserte Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage, als auch eine Steigerung des Gebrauchswertes vermittelt. Wird eine gemeindliche Verkehrsanlage i. S. v. § 8 Abs. 2 Satz 1 KAG erneuert, erweitert oder verbessert, indiziert also bereits dieser Umstand regelmäßig den besonderen wirtschaftlichen Vorteil für die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke (OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. September 2003 - 9 ME 120/03
-, juris; Driehaus, a. a. O. Rn. 275, 281). Es kommt nicht darauf an, ob der Verkehrswert des Grundstücks messbar gestiegen ist oder ob wegen des Ausbaus für das Grundstück eine höhere Miete erzielbar wäre. Unerheblich ist auch, ob der Eigentümer des Eckgrundstücks das Grundstück selbst nutzt.
4. Einbeziehung von unbebauten Grundstücken
Ich gehe davon aus, dass die Regelung in der Satzung wie folgt lautet:
"Bei unbebauten Grundstücken, für die ein Bauvorhaben genehmigt ist, gilt die Zahl der genehmigten Geschosse."
Diese Regelung per Satzung ist rechtlich grundsätzlich zulässig. Das OVG Rheinland-Pfalz hat bereits mehrfach entschieden, dass ein Verteilungsmaßstab, der das Nutzungsmaß unter Berücksichtigung der Bebaubarkeit mit Vollgeschossen bestimmt, regelmäßig zwischen ein- und zweigeschossig bebaubaren Grundstücken unterscheiden muss (Urteil vom 19.5.2015 - 6 A 11006/14
; Urteil vom 13.12.2011 - 6 A 10870/11
; Urteil vom 26.5.2010 - 6 C 10151/10 u.a.). Mit Blick hierauf ist davon auszugehen, dass die Erfassung der baurechtlich zulässigen Nutzbarkeit der beitragspflichtigen Grundstücke eine Differenzierung hinsichtlich des Vollgeschosszuschlags im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung gebietet.
Ich hoffe, Ihnen einen ersten hilfreichen Überblick in der Sache verschafft zu haben. Ich weise darauf hin, dass die Beantwortung Ihrer Frage ausschließlich auf Grundlage Ihrer Schilderung erfolgt. Die Antwort dient lediglich einer ersten rechtlichen Einschätzung. Das Weglassen oder Hinzufügen weiterer Sachverhaltsangaben kann möglicherweise zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen.
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Mit freundlichen Grüßen,
Christian Reckling
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Vielen Dank für Ihre Antwort, die mir erstmal sehr weiterhilft.
Eine kleine Nachfrage zu Ihrer Formulierung zu 3.
" maßgeblich ist vielmehr die Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Straße und eine Nutzung ..... "
Wenn für den Eigentümer eines Eckgrundstücks von zwei Strassen A und B die Nutzung, d.h. Zuwegung des Grundstücks asschliesslich über Strasse A erfolgt, das Grundstück ist zu Strasse B mit einer Hecke abgegrenzt, besteht dann dennoch Beitragspflicht bei Erneuerung der Strasse B? (Bei eindeutig "Ja", reicht "Ja" als Antwort)
Sehr geehrter Herr,
Eine Satzungsbestimmung wie bspw. § 8 Abs. 13 ABS (Vergünstigung für Eckgrundstücke, Ansatz von 2/3 der Grundstücksfläche) findet sich in einer Vielzahl von – verwaltungsgerichtlich überprüften – Ausbaubeitragssatzungen in Bayern und ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urt .v. 03.08.1989 – 6 B 88.2795
) zulässig.
Allerdings ist im Straßenausbaubeitragsrecht die Aufnahme einer Eckgrundstücksvergünstigung in die Ausbaubeitragssatzung keineswegs zwingend (BayVGH, Beschl. v. 18.02.2008 – 6 CS 07.3172
– juris Rn. 9, vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 36 Rn. 15 ff.).
Wenn also die gegenständliche Satzung eine solche Ermäßigung nicht vorsieht, ist die volle Berechnung rechtmäßig. Die Antwort lautet in diesem Falle daher "Ja".
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Reckling
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht