Sehr geehrter Fragensteller,
wenn durch Zeitablauf oder Ähnliches die Unterlagen nicht mehr vorhanden sind, sehe ich keine Beibringungspflichten ihrerseits mehr. Vielmehr müsste die Behörde selbst konkrete Anhaltspunkte vortragen, die gegen einen Bestandsschutz sprechen, und nicht umgekehrt Sie die Legalität der teilweisen Errichtung vor 150 Jahren beweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Saeger
Antwort
vonRechtsanwalt Daniel Saeger
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Ist der Bestandsschutz hier grundsätzlich gegeben? Bitte nennen Sie mir eine gesetzliche Norm.
Sehr geehrter Fragensteller,
im wesentlichen kann man sich auf den Rechtsgedanken des § 35 Abs. 4 BGB berufen.
Mit OVG Münster (7. Senat), Urteil vom 24.02.2016 – 7 A 19/14 ist auch die sehr, sehr lange Nutzung zu berücksichtigen. In ihrem Fall ist es offensichtlich so, dass das Gebäude noch länger als im entschiedenen Fall steht, in dem es wörtlich heißt:
"24Eine weitergehende Abwägung des Für und Wider einer Beseitigungsanordnung ist nur dann geboten, wenn konkrete Anhaltspunkte ausnahmsweise für die Angemessenheit einer vorübergehenden oder dauerhaften Duldung eines rechtswidrigen oder ordnungswidrigen Zustands sprechen. Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28.8.1980 - 4 B 67.80 -, BRS 36 Nr. 93.
25Letzteres ist hier mit Blick auf den Umstand der Fall, dass das streitige Gebäude auch nach Einschätzung des Beklagten bereits zwischen 1936 und 1944 errichtet und seitdem - soweit ersichtlich - durchweg als Wohnhaus genutzt worden ist. Die Bauaufsichtsbehörden sind - anders als der Beklagte offenbar angenommen hat - keineswegs ausnahmslos verpflichtet, die Beseitigung von formell und materiell illegalen baulichen Anlagen ungeachtet der Frage zu betreiben, wann und unter welchen Umständen diese Anlagen errichtet und wie lange sie beanstandungsfrei genutzt worden sind. Es ist in der Rechtsprechung vielmehr anerkannt, dass die Bauaufsichtsbehörden bei der Bekämpfung von Schwarzbauten im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung so genannte Stichtagsregelungen zugrundelegen dürfen. Bei der Ermessensausübung ist den zu beachtenden Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG auch dann genügt, wenn die Behörde nur gegen Schwarzbauten vorgeht, die nach einem bestimmten Zeitpunkt errichtet oder verändert worden sind, um so die Verschlechterung einer vorgefundenen Situation zu verhindern. Nach Art. 3 Abs. 1 GG ist die Festlegung eines Zeitpunkts als Stichtag für das zukünftige Einschreiten jedenfalls dann zulässig, wenn er nach sachlichen Kriterien bestimmt ist. Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.7.2014 - 4 B 34.14 -, BRS 82 Nr. 195 = BauR 2014. 1923, m. w. N.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 2.9.2004 - 1 BvR 1860/02 -, BRS 69 Nr. 190 = BauR 2006, 97.
26Die Frage, ob das Vorgehen durch eine solche Regelung begrenzt werden soll, stellt sich der Bauaufsichtsbehörde nach Überzeugung des Senats mit besonderem Gewicht im Hinblick auf solche Schwarzbauten, die vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges errichtet worden sind. Denn für solche baulichen Anlagen ist in der heutigen Zeit nicht nur in Rechnung zu stellen, dass sie inzwischen seit vielen Jahrzehnten existieren und die Bauaufsichtsbehörde in diesem langen Zeitraum nicht gegen sie eingeschritten ist. Es ist auch zu berücksichtigen, dass vielfach Aktenbestände - sei es bei den Behörden, sei es in der Hand der hinsichtlich einer Baugenehmigung beweisbelasteten privaten Eigentümer oder ihrer Rechtsvorgänger - durch die Kriegsverhältnisse unvollständig geworden oder ganz verloren gegangen sind und es die bis heute verstrichene Zeit regelmäßig ausschließt, sich durch die Vernehmung von Zeugen G. über die Umstände der Errichtung eines Gebäudes zu verschaffen. Diese Gesichtspunkte muss die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung prüfen und in ihre Entscheidung mit angemessenem Gewicht einstellen.
27Diesen Anforderungen genügt die streitige Beseitigungsanordnung nicht. Der Beklagte hat sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht mit der Entscheidungsoption Stichtagsregelung auseinandergesetzt, obgleich dies bei den gegebenen Umständen geboten gewesen wäre. Das Wohnhaus der Klägerin ist - wie dargetan - auch nach den Erkenntnissen des Beklagten vor dem Ende des zweiten Weltkrieges errichtet worden und es wird nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten und der Aktenlage seit über 70 Jahren als Wohngebäude zu Dauerwohnzwecken genutzt. Die Frage der Legalität des Gebäudebestandes wurde erstmalig im Jahr 2011 von dem Beklagten aufgeworfen. In dem angefochtenen Bescheid führte der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensbetätigung lediglich aus, eine Duldung des baurechtswidrigen Zustandes stelle eine Missachtung der im Flächennutzungsplan zum Ausdruck gekommenen Planungsvorstellungen der Gemeinde und dadurch einen Eingriff in deren Planungshoheit dar. Außerdem könne er in gleich gelagerten Fällen nach Art. 3 GG nicht mehr einschreiten; es widerspreche dem Zweck der Landesbauordnung, die Errichtung und die Benutzung solcher illegalen baulichen Anlagen zuzulassen oder zu dulden. Diesen Erwägungen ist zu entnehmen, dass der Beklagte die Möglichkeit des Nichteinschreitens aufgrund einer Stichtagsregelung nicht erwogen hat. Der zuständige Mitarbeiter des Beklagten hat dementsprechend auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich eingeräumt, dass die Möglichkeit einer solchen Regelung nicht bedacht worden sei.
28Der Beklagte hat seine Ermessenserwägungen auch nicht im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO nachträglich ergänzt. Nach § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Dies ist in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich auch noch im Berufungsverfahren möglich. Vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Auflage,§ 114 Rn. 22.
29Ein derartiger ergänzender Vortrag ist nicht erfolgt. Ein Nachschieben der vom Senat vermissten Ermessenserwägungen wäre im Übrigen nach § 114 Satz 2 VwGO unzulässig gewesen, weil es sich dabei nicht lediglich um eine Ergänzung der angestellten Ermessenserwägungen, sondern um wesentlich neue Erwägungen gehandelt hätte.
30Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass aus den vorstehenden Überlegungen, die die Anforderungen an die Ermessensbetätigung betreffen, nicht folgt, dass der Erlass einer rechtmäßigen Beseitigungsanordnung vorliegend ausgeschlossen ist. Ferner sei darauf hingewiesen, dass eine Stichtagsregelung im vorgenannten Sinne nicht zur Folge hat, dass das Einschreiten gegen vor dem gewählten Stichtag errichtete Schwarzbauten stets ausgeschlossen ist; auch eine solche Ermessensrichtschnur ist Ausnahmen zugänglich, die allerdings - gemessen am Gleichheitssatz - hinreichend sachlich begründet sein müssen, etwa im Hinblick auf eine qualifizierte Beeinträchtigung öffentlicher Belange.
31Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.
32Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
33Die Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, beruht auf § 132 Abs. 2 VwGO. Gründe für eine Revisionszulassung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich."
Diese Rechtsgedanken sind wiederum anwendbar im Rahmen eines Wiederaufbaus nach Brand.
MfG RA Saeger