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Auskunft über Betriebsvereinbarungen

27. September 2022 20:26 |
Preis: 80,00 € |

Arbeitsrecht


Beantwortet von

Rechtsanwalt C. Norbert Neumann

Zusammenfassung

Nach § 77 Absatz 2 Satz 3 BetrVG hat der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarungen (BV's) an einer geeigneten Stelle im Betrieb auszulegen. Er hat dem Arbeitnehmer spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses einen allgemeinen schriftlichen Hinweis auf die anwendbaren BV's zu geben.

Ich bin schwerbehindert und mein Arbeitgeber hat Probleme mich loszuwerden. Kollektiv bin ich ordentlich unkündbar. Ich war seit Jahren nicht im Betrieb (arbeite also gar nicht mehr), bin aber derzeit in ungekündigtem Arbeitsverhältnis (Bestandsstreitigkeiten gewonnen).
Ich will von dem Arbeitgeber zunächst die Auskunft über alle Betriebsvereinbarungen erhalten, um im zweiten Schritt den Arbeitgeber um Herausgabe der BV nach Auskunft zu zwingen.

Der anwaltlich vertretene Arbeitgeber vertritt vor dem Arbeitsgericht die Auffassung, dass es keine Anspruchsgrundlage für diesen Auskunftsanspruch gibt.

Der amtierende Richter hat - ohne abschließendes Votum - geäußert, dass auch der Betriebsrat mir diese Unterlagen geben könnte. Der Betriebsrat macht es aber nicht.

Auf welche Anspruchsgrundlage kann ich mich gegenüber dem Arbeitgeber stützen oder muss ich gegen den Betriebsrat vorgehen.

Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Nach § 2 Absatz 1 Satz 2 Nr. 15, Satz 4 NachweisG hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Niederschrift auszuhändigen, die einen allgemein gehaltenen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Betriebsvereinbarungen enthält. Diese Verpflichtung kann durch Aushändigung eines schriftlichen Arbeitsvertrages erfüllt werden, der diese Angabe enthält (§ 2 Absatz 5 NachweisG). Allerdings gilt dies nicht bei einer nachträglichen Änderung der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Betriebsvereinbarungen (§ 3 Satz 2 NachweisG) Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich nicht, ob der Abschluss neuer Betriebsvereinbarungen nach Aufnahme des Arbeitsverhältnisses der Änderung bestehender Betriebsvereinbarungen gleichsteht. (Das NachweisG ist erst kürzlich in Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union vom 20. Juni 2019 [„Arbeitsbedingungenrichtlinie"] in nationales Recht vom Bundestag geändert worden. Allerdings gilt diese Richtlinie nicht unmittelbar in nationalem Recht, sondern nur in der vom Bundestag im NachweisG beschlossenen Fassung.)

Wie auch immer - einen unmittelbaren Auskunftsanspruch über den Inhalt aller bestehenden Betriebsvereinbarungen hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber nicht.

Nach § 77 Absatz 2 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz hat der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.

Die Auslegungspflicht macht nur dann einen Sinn, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mitteilt, wo er die Betriebsvereinbarungen ausgelegt hat, falls dies für den Arbeitnehmer nicht offenkundig erkennbar ist. Ein solcher Auskunftsanspruch ergibt sich aus § 242 BGB, wenn der Arbeitnehmer über den Ort der Auslegung entschuldbar im Unklaren ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarungen an einer versteckten, für den Arbeitnehmer nicht erkennbaren Stelle niedergelegt hat. Der Arbeitnehmer hat an der Auskunftserteilung ein berechtigtes Interesse, und der Arbeitgeber ist zur Auskunftserteilung unschwer in der Lage.

Im anhängigen Arbeitsgerichtsprozess sollte daher der Klageantrag dahingehend geändert werden, den Arbeitgeber zur Auskunft zu verurteilen, wo er die bestehenden Betriebsvereinbarungen ausgelegt hat, und falls eine solche Auslegung bisher nicht erfolgt ist, den Arbeitgeber zu verurteilen, alle mit dem Betriebsrat abgeschlossenen und noch geltenden Betriebsvereinbarungen in ihrer aktuellen Fassung an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen, und Ihnen als Kläger den Ort der Auslegung mitzuteilen.

Ferner ist der Arbeitgeber zumindest verpflichtet, Ihnen einen allgemeinen Hinweis auf die zu Beginn des Arbeitsverhältnisses geltenden Betriebsvereinbarungen in schriftlicher Form zu erteilen.

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen

Rückfrage vom Fragesteller 27. September 2022 | 22:35

Die Sache mit dem Nachweisgesetz kenne ich. Allerdings ist mein Arbeitsvertrag schon vor ueber 20 Jahren (im Jahr 2001) geschlossen worden. Mich interessieren hier nicht die damaligen BV, sondern die aktuellen BV, zumal diese gehaltserhöhungen und jährliche variable Sonderzahlungen regeln. Die damaligen BV habe ich übrigens bis zum Zeitpunkt des Hausverbots vor 10 Jahren.

Zweitens ist es so, dass ich seit über 10 Jahre Hausverbot habe und gar nicht in den betrieb reinkomme. Deswegen ist es für mich nutzlos, wenn der AG sagt, wo er die BV hingehängt hat. vermutlich werden diese im Intranet veröffentlicht, zu dem ich ebenfalls keinen Zugang habe.

Das ganze nutzt mir nichts, zu Recht ziehe Sie den § 242 heran (O-Ton des Richters: Wenn nix mehr hilft holt der Jurist den 242 raus). Gibt es hierzu Rechtsprechung etc. Ich habe in den einschlägigen Kommentaren zum BetrVG nichts gefunden zu diesm Spezialfall.

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 27. September 2022 | 23:53

Sehr geehrter Fragesteller,

die Konstellation, dass ein Arbeitnehmer seit 10 Jahren Hausverbot im Betrieb hat und das Arbeitsverhältnis immer noch nicht beendet ist, ist in der Tat so selten und ungewöhnlich, dass diese Konstellation keinen Eingang in die arbeitsrechtliche Kommentarliteratur gefunden hat.

Eines ist klar: Es geht nicht, dass einerseits das Arbeitsverhältnis inhaltlich in wesentlichen Beziehungen durch Betriebsvereinbarungen geregelt wird, der Arbeitnehmer andererseits keine Möglichkeit erhält, sich über den Inhalt nach Aufnahme des Arbeitsverhältnisses abgeschlossener Betriebsvereinbarungen zu informieren.

Die Regelung des BetrVG ist insoweit eindeutig: Es ist nicht Aufgabe des Betriebsrats, sondern des Arbeitgebers, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich über den Inhalt von Betriebsvereinbarungen zu informieren. Dies ist Sinn und Zweck des § 77 Absatz 2 Satz 3 BetrVG. (Der Betriebsrat kann allenfalls beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber ein Ordnungsgeld bis zu 10.000€ aufzuerlegen, falls der Arbeitgeber gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG in grober Weise verstößt, § 23 Absatz 3 BetrVG. Allerdings handelt es sich hier um eine "kann"-Bestimmung, d.h. es steht im Ermessen des Betriebsrats, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.)

Der Ansatzpunkt ist hier m.E. die Formulierung "an geeigneter Stelle" in § 77 Absatz 2 Satz 3 BetrVG. Der Arbeitgeber muss also eine geeignete Stelle im Betrieb schaffen, an der alle Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, in ausgelegte Betriebsvereinbarungen Einsicht zu nehmen. Der Arbeitgeber muss dann im Betrieb eine Stelle schaffen, zu der auch ein Arbeitnehmer zum Zweck der Einsichtnahme Zutritt erhält, gegen den ein Hausverbot verhängt worden ist. Oder der Arbeitgeber muss Ihnen zum Zweck der Einsichtnahme Zugang zum betrieblichen Intranet gewähren.

Neben § 77 Absatz 2 Satz 3 BetrVG gibt es noch den allgemeinen zivilrechtlichen Einsichtnahmeanspruch aus § 810 BGB: Wer ein rechtliches Interesse daran hat, eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde einzusehen, kann von dem Besitzer die Gestattung der Einsicht verlangen, wenn die Urkunde in seinem Interesse errichtet oder in der Urkunde ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist. Soweit eine schriftliche Betriebsvereinbarung einem Arbeitnehmer unmittelbare Ansprüche, etwa auf erhöhte Gehaltszahlungen, vermittelt, ist die beurkundete Betriebsvereinbarung auch in seinem Interesse errichtet worden. Nach § 77 Absatz 2 Satz 1 BetrVG sind Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat schriftlich niederzulegen. Wurde die Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber in elektronischer Form geschlossen (§ 77 Absatz 2 Satz 2 BetrVG), besteht ein Anspruch auf "Besichtigung" des Datenträgers, auf den die Betriebsvereinbarung abgespeichert ist, aus § 809 BGB:

Zitat:
Wer gegen den Besitzer einer Sache einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, kann, wenn die Besichtigung der Sache aus diesem Grunde für ihn von Interesse ist, verlangen, dass der Besitzer ihm die Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet.

Unter "Besichtigung" ist im Fall eines Datenträgers dessen Benutzung zum Zweck des Lesens des abgespeicherten Inhalts zu verstehen.

Nach § 811 Absatz 1 BGB hat die Vorlegung in den Fällen des §§ 809, 810 BGB an dem Ort zu erfolgen, an welchem sich die vorzulegende Urkunde befindet. Jeder Teil kann die Vorlegung an einem anderen Ort verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.

Die Verhängung eines Hausverbots am Ort des Befindens der Urkunde durch deren Besitzer - dies ist der Arbeitgeber - ist sicherlich ein solcher wichtiger Grund. In diesem Fall kann der zur Einsichtnahme Berechtigte die Vorlegung der Urkunde z.B. in seiner Wohnung verlangen.

Die Gefahr und die Kosten hat derjenige zu tragen, welcher die Vorlegung verlangt. Der Besitzer kann die Vorlegung verweigern, bis ihm der andere Teil die Kosten vorschießt und wegen der Gefahr Sicherheit leistet (§ 811 Absatz 2 BGB). In der Praxis ist es üblich, in solchen Fällen dem Besitzer der Urkunde anzubieten, dass er seine Vorlagepflicht dadurch erfüllt, dass er eine Kopie der Urkunde an den zur Einsicht Berechtigten gegen Übernahme der Kopier- und Versandkosten übersendet.

Hierbei ist zu berüclsichtigen, dass eine Übersendung der Urkunde (oder von Kopien) nur deshalb erforderlich geworden ist, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer pflichtwidrig den Zugang zur Urkunde zum Zweck der Einsichtnahme entgegen § 77 Absatz 2 Satz 3 BetrVG verweigert.

Falls diese Vorschriften im Prozess noch nicht gesehen wurden, sollte das Arbeitsgericht hierauf hingewiesen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Ergänzung vom Anwalt 28. September 2022 | 09:56

Noch ergänzend zur Auskunftspflicht:

Aus § 242 BGB ergibt sich eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung es mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Unklaren ist, und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (BGH, Urteil vom 06.02.2007 – X ZR 117/04, NJW 2007, S. 1806; Urteil vom 01.08.2013 – VII ZR 268/11, NJW 2014, S. 155; BAG, Ur­teil vom 27.05.2020 - 5 AZR 387/19 - Randnr. 31; BAG, Urteil vom 02.08.2017 - 9 AZB 39/17 - Randnr. 6, BA­GE 160, 37; Urteil vom 01.12.2004 - 5 AZR 664/03 - zu II 1 b und c der Gründe, BA­GE 113, 55; BGH, Urteil vom 08.02.2018 - III ZR 65/17):

Es handelt sich hierbei schon seit langem um die ständige und höchstrichterliche Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofs als auch des Bundesarbeitsgerichts. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass es sich hierbei um einen Rechtsgrundsatz handelt, der mittlerweile zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist (Köhler, NJW 1992, S. 1480). Dies ist jedem Juristen - und selbstverständlich auch dem Arbeitsrichter in Ihrem Prozess - bekannt. Lassen Sie sich deshalb vom Richter mit irgendwelchen flapsigen Sprüchen nicht aufs Glatteis führen.

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