Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),
vielen Dank für Ihre Frage, die ich anhand des von Ihnen mitgeteilten Sachverhalts beantworten möchte.
Die Benutzung der (vorhandenen und gekennzeichneten) Fahrstreifen werden in den §§ 7
und 8
der StVO geregelt. In § 7 Abs. 1 StVO
wird zudem der Begriff Fahrstreifen definiert. Danach ist ein Fahrstreifen "derjenige Teil der Fahrbahn, den ein mehrspuriges Fahrzeug zum ungehinderten Fahren im Verlauf der Fahrbahn benötigt". Abzustellen ist also maßgeblich auf den Platzbedarf eines PKW oder größeren Kraftfahrzeugs.
In dieser Vorschrift wird nicht gesagt, dass Fahrstreifen nur das ist, was als solches markiert wurde. Die Anzahl der Fahrstreifen richtet sich daher grundsätzlich nicht ausschließlich nach der eindeutigen Fahrbahnmarkierung sondern vorrangig nach den örtlichen Gegebenheiten wie der Breite der Fahrbahn.
Dass die (vollständige/durchgehende) Markierung nicht zwingende Voraussetzung für das Vorhandensein von ein oder mehreren Fahrstreifen je Fahrbahn ist, ergibt sich auch aus der Allgmeinen Verwaltungsvorschrift zur StvO (VwV-StVO) sowie aus der kommentierenden Fachliteratur und Teilen der Rechtsprechung.
Auf die Nutzung der Fahrstreifen geht § 7 VwV-StVO näher ein, der auszugsweise wie folgt lautet:
Zu § 7 Benutzung von Fahrstreifen durch Kraftfahrzeuge
Zu den Absätzen 1 bis 3
I. Ist auf einer Straße auch nur zu gewissen Tageszeiten mit so dichtem Verkehr zu rechnen, dass Kraftfahrzeuge vom Rechtsfahrgebot abweichen dürfen oder mit Nebeneinanderfahren zu rechnen ist, EMPFIEHLT es sich, die für den gleichgerichteten Verkehr bestimmten Fahrstreifen einzeln durch Leitlinien (Zeichen 340) zu markieren. Die Fahrstreifen müssen so breit sein, dass sicher nebeneinander gefahren werden kann.
II.
Wo auf einer Straße mit mehreren Fahrstreifen für eine Richtung wegen ihrer baulichen Beschaffenheit nicht mehr wie bisher nebeneinander gefahren werden kann, ist durch geeignete Markierungen, Leiteinrichtungen, Hinweistafeln oder dergleichen zu zeigen, welcher Fahrstreifen endet. Auf Straßen mit schnellem Verkehr ist zu prüfen, ob eine Geschwindigkeitsbeschränkung erforderlich ist.
Wie Sie dieser Verwaltungsvorschrift entnehmen können, "empfiehlt" es sich, bei mehreren Fahrstreifen, diese zu markieren. Aufgrund des Wortlauts "empfehlen" kann also davon ausgegangen werden, dass eine Fahrbahn auch ohne entsprechende Markierung zweispurig sein kann, wenn sie nur breit genug ist, dass 2 Fahrzeuge nebeneinander fahren können, ohne sich und den sonstigen Verkehr zu behindern.
Daraus folgt, dass die Markierung also keine unbedingte Voraussetzung für die Zweispurigkeit der Fahrbahn ist.
Dies wird auch in der juristischen Fachliteratur und Teilen der Rechtsprechung so anerkannt (z. B. Xanke, LNK-Kommentar zur StVO, § 7 Rn. 7 und KG Berlin, 25.11.2002 - 12 U 110/01
sowie OLG Düsseldorf, 30.04.1990 - 5 Ss [OWi] 151/90). Ich will aber nicht verschweigen, dass andere Gerichte und andere Autoren auch eine gegenteilige oder zumindest abweichende Auffassung vertreten können.
Aufgrund der von Ihnen beschriebenen vorhandenen restlichen Fahrbahnmarkierung, dem Hinweis auf eine Verengung auf eine Spur sowie aufgrund der von Ihnen beschriebenen Breite der Fahrbahn, halte ich es nach derzeitigem Kenntinisstand für durchaus gut vertretbar, dass es sich tatsächlich um eine 2-spurige Fahrbahn handelte und dass Sie dementsprechend auch die zweite Spur nutzen durften.
Zur weiteren Prüfung, ob es sich tatsächlich um eine ein- oder zweispurige Fahrbahn handelt, halte ich es noch für notwendig und sinnvoll, eine Auskunft bei der zuständigen Straßenbaubehörde einzuholen. Diese ist für den Bau der Straßen und die Fahrbahnmarkierungen verantwortlich. Diese Stelle sollte daher auch überprüfen können, wie die frühere Markierung der Fahrbahn aussah und ob es sich (weiterhin) um eine zweispurige Fahrbahn handelt.
Mittels dieser Auskunft könnte dann abschließend geklärt werden, ob Sie die zweite Spur benutzen durften. Mit der Klärung dieser Frage käme man wahrscheinlich auch der Klärung des Verschuldens bei dem Unfall ein großes Stück näher.
Da es sich hier um mehrere, rechtlich nicht ganz unkomplizierte Fragen handelt, rate ich Ihnen zudem dringend an, sich im Weiteren von einem Kollegen oder einer Kollegin vor Ort vertreten zu lassen. Gerade im Bereich der Unfallregulierung und insbesondere bei Klärung der Schuldfrage ist eine kompetente anwaltliche Vertretung oftmals nicht nur hilfreich sondern unerlässlich, um Ansprüche durchsetzen oder abwehren zu können.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort aber erst einmal weiterhelfen und Ihnen eine Orientierungshilfe für das weitere Vorgehen geben konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Silke Jacobi
Rechtsanwältin
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