Bürgergeld rückwirkend bei Wohngeld Ablehnung

8. Oktober 2025 10:19 |
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Sozialrecht


Beantwortet von


in unter 2 Stunden

Hallo,

wir haben Mitte September einen Antrag auf Wohngeld gestellt.

Ich habe mit der Dame von der Wohngeldstelle telefoniert und sie meinte sie haben aktuell eine Bearbeitungszeit von 4-6 Monaten.

Falls das Wohngeld abgelehnt wird, weil das Einkommen doch nicht ausreicht, kann man dann rückwirkend ab Wohngeld-Antragsstellung Bürgergeld beantragen?

Ich habe beim Jobcenter schon angerufen:

Die erste Dame meinte Ja, das ist kein Problem, wird auch rückwirkend ab Antragsdatum vom Wohngeld gezahlt, solange wir den Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablehnung vom Wohngeld stellen und den Ablehnungsbescheid beifügen.

Die zweite Dame meinte heute (ich wollte lieber zwei Mal nachfragen um auf der sicheren Seite zu sein): Nein, wir übernehmen nur ab dem ersten des Monats in dem sie den Antrag stellen. Also beispielsweise wenn ich im Februar den Antrag Stelle, wird Bürgergeld nur ab Februar berechnet und gezahlt, nicht rückwirkend bis inklusive September, wo wir Wohngeld beantragt haben.

Also: Wird Bürgergeld rückwirkend ab Antragstellung vom Wohngeld gezahlt, wenn Wohngeld abgelehnt wird? Ich bräuchte eine sichere, rechtsverbindliche Antwort.

Jetzt hab ich folgenden Gesetzestext auch noch gefunden:

SGB X § 28 Wiederholte Antragstellung


(1) 1Hat ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrages auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt oder ist sie zu erstatten, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. 2Satz 1 gilt auch dann, wenn der Antrag auf die zunächst geltend gemachte Sozialleistung zurückgenommen wird.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzung unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre.
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Vielen lieben Dank im Voraus!

8. Oktober 2025 | 11:33

Antwort

von


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Sehr geehrter Fragesteller,

gerne beantworte ich Ihre Fragen auf Grundlage des geschilderten Sachverhalts wie folgt:


I. Ausgangspunkt und Problemstellung

Sie haben im September einen Antrag auf Wohngeld gestellt. Die Bearbeitungszeit beträgt nach Aussage der Wohngeldstelle derzeit vier bis sechs Monate. Sollte das Wohngeld wegen zu geringen Einkommens abgelehnt werden, stellt sich die Frage, ob anschließend rückwirkend Bürgergeld nach dem SGB II ab dem Zeitpunkt der Wohngeldbeantragung gezahlt werden kann.

Die telefonischen Auskünfte der Jobcenter-Mitarbeiter widersprechen sich: Während die erste Auskunft eine Rückwirkung ab Antragstellung des Wohngelds bejahte, verneinte die zweite dies. Maßgeblich sind die gesetzlichen Regelungen in § 37 SGB II, § 28 SGB X sowie die Einschränkung des § 40 Abs. 7 SGB II.


II. Gesetzliche Grundlagen


1. Antragserfordernis und Rückwirkung (§ 37 SGB II)

Nach § 37 Abs. 1 SGB II werden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bürgergeld) nur auf Antrag gewährt. § 37 Abs. 2 SGB II bestimmt:

Zitat:
Leistungen nach diesem Buch werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück.


Das bedeutet, dass ein Bürgergeldantrag grundsätzlich erst ab dem Monat seiner Antragstellung wirkt – nicht darüber hinaus.
Ein Antrag, der beispielsweise am 10. Februar eingeht, entfaltet Wirkung ab dem 1. Februar, nicht rückwirkend bis zum Zeitpunkt eines früheren Wohngeldantrags.

Diese Regelung ist zwingend und wird durch ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestätigt.


2. Wiederholte Antragstellung (§ 28 SGB X)

§ 28 SGB X sieht für Fälle, in denen ein Antrag auf eine Sozialleistung nicht gestellt wurde, weil eine andere Leistung beantragt wurde, eine Rückwirkungsmöglichkeit vor:

Zitat:
Hat ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrages auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt oder ist sie zu erstatten, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung bindend geworden ist.


Diese Regelung dient als besondere Form der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, um Nachteile zu vermeiden, wenn jemand aus gutem Grund zunächst einen anderen Sozialleistungsantrag gestellt hat. Sie soll außerdem einen Ausgleich dafür schaffen, dass ein Berechtigter wegen unrichtiger behördlicher Beratung die Antragstellung unterlassen hat (vgl. BeckOK SGB X, § 28 Rn. 2 ff.).

Demnach kann § 28 SGB X eine rückwirkende Leistungsgewährung (bis zu einem Jahr) ermöglichen, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

1. Der Antragsteller hat die Stellung eines Antrags auf eine Leistung (hier: Bürgergeld) unterlassen,
2. weil er eine andere Sozialleistung (hier: Wohngeld) beantragt und auf deren Bewilligung vertraut hat,
3. diese andere Leistung wurde versagt oder zurückgefordert,
4. der Bürgergeldantrag wird innerhalb von sechs Monaten nach Bindung der Ablehnung gestellt.


3. Einschränkung durch § 40 Abs. 7 SGB II

Für Leistungen nach dem SGB II hat der Gesetzgeber die Anwendung des § 28 SGB X jedoch eingeschränkt. § 40 Abs. 7 SGB II lautet:

Zitat:
§ 28 SGB X gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats nachzuholen ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist.


Das bedeutet: Der Bürgergeldantrag muss unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB analog), nach dem Monat gestellt werden, in dem die Ablehnung des Wohngelds bestandskräftig geworden ist. Wird er erst Monate später gestellt, entfällt die Rückwirkung.

Diese Spezialregelung verdrängt § 28 SGB X in seinem allgemeinen Umfang.
Die Rechtsprechung sieht § 28 SGB X daher im Bereich des SGB II nur eingeschränkt anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 19. 10. 2010 – B 14 AS 16/09 R, Rn. 27; BSG, Urteil vom 2. 4. 2014 – B 4 AS 29/13 R, Rn. 16 ff.).


4. Keine Anwendung bei „zu niedriger" anderer Leistung

Das Bundessozialgericht hat zudem entschieden, dass § 28 SGB X nicht anwendbar ist, wenn die beantragte andere Sozialleistung (z. B. Arbeitslosengeld I oder Wohngeld) bewilligt, aber der Betrag zu niedrig ist, um den Lebensunterhalt zu sichern.

In diesen Fällen fehlt es an einer „Versagung" der Leistung im Sinne des § 28 SGB X (BSG, 2. 4. 2014 – B 4 AS 29/13 R; BSG, 19. 10. 2010 – B 14 AS 16/09 R). Eine bloß unzureichende Bewilligung löst keine Rückwirkungswirkung aus.

Auch hier zeigt sich, dass § 28 SGB X restriktiv auszulegen ist und nur in Ausnahmefällen greift.


III. Bewertung und praktische Anwendung

Für Ihren Fall ergibt sich folgendes:

1. Grundsatz:
Bürgergeld kann erst ab dem Monat der Antragstellung gezahlt werden (§ 37 Abs. 2 SGB II).

2. Ausnahme nach § 28 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 7 SGB II:
Wenn der Wohngeldantrag abgelehnt wird, weil kein Anspruch besteht, und Sie unverzüglich nach der Ablehnung Bürgergeld beantragen, kann der Antrag ausnahmsweise rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Wohngeldantrags wirken.
Voraussetzung ist, dass Sie glaubhaft machen können, den Bürgergeldantrag nur deshalb nicht gestellt zu haben, weil Sie auf die Gewährung des Wohngelds vertraut haben.

3. Fristen:
Der Antrag auf Bürgergeld muss innerhalb von sechs Monaten nach der bindenden Ablehnung des Wohngelds gestellt werden (§ 28 Satz 1 SGB X), und nach § 40 Abs. 7 SGB II zusätzlich unverzüglich nach Ablauf des Monats der Ablehnung.
Eine verspätete Antragstellung führt dazu, dass die Rückwirkung entfällt und Bürgergeld nur ab dem Monat der Antragstellung gewährt wird.

4. Keine Anwendung bei unzureichendem Wohngeld:
Sollte das Wohngeld zwar bewilligt, aber zu niedrig sein, ist § 28 SGB X nach der Rechtsprechung des BSG unanwendbar. Bürgergeld wird in diesem Fall nur ab Antragstellung bewilligt.


Zusammenfassung:
Eine rückwirkende Bewilligung von Bürgergeld ab Wohngeld-Antrag ist nur ausnahmsweise möglich und setzt eine fristgerechte und unverzügliche Antragstellung nach Ablehnung des Wohngeldes voraus. Im Regelfall beginnt der Anspruch erst ab dem Monat der Antragstellung des Bürgergeldes (§ 37 Abs. 2 SGB II).


Ich hoffe diese Informationen helfen Ihnen weiter und stehe Ihnen für Rückfragen gerne zur Verfügung.


Mit freundlichen Grüßen

Hussein Madani
Rechtsanwalt


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