Überstunden ohne Ausgleich weil höherwertige Tätigkeit gerechtfertigt?

14. Juni 2019 21:58 |
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Arbeitsrecht


Beantwortet von

Details zur Person
- 40h/Woche Arbeitnehmer in einer Agentur
- Programmierer mit Bachelor Abschluss
- Gehalt unter 76.200€/Jahr
- nicht im öffentlichen Dienst
- kein Tarifvertrag
- keine Gewerkschaft
- kein Betriebsrat

Auszug aus dem Arbeitsvertrag:

> 1. Die regelmäßige Wochenarbeitszeit beträgt 40 Stunden. Im Rahmen der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit kann der Arbeitgeber die Lager der Arbeitszeit nach den betrieblichen Notwendigkeiten bestimmen und festlegen. Die tägliche Arbeitszeit kann auf 10 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb eines Zeitraumes von 24 Wochen die regelmäßige Wochenarbeitszeit nicht überschritten wird.
> 2. Der Arbeitnehmer erklärt sich bereit, falls angeordnet, Mehrarbeit zu leisten. Überstunden in angemessenen und branchenüblichen Rahmen sind mit der Vergütung abgegolten.


Frage:

Kann mein Arbeitgeber somit Überstunden auf 10h/Tag festsetzen (und zwar für bis zu 24 Wochen) ohne diese auszugleichen oder zu vergüten?


Mein Arbeitgeber bezieht sich hier auf folgende Regelung:

> Dienste höherer Art sind Tätigkeiten, die ein überdurchschnittliches Maß an Fachkenntnissen, Kunstfertigkeit oder wissenschaftlicher Bildung, eine hohe geistige Fantasie oder Flexibilität voraussetzen (z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Architekten). Solche Arbeitnehmer müssen die Klausel zur Überstundenabgeltung hinnehmen und gehen leer aus.

Frage:

Wie definiert sich dieser "Dienste höherer Art" genauer? Fällt man dort als Programmierer bzw als jemand mit Bachelor Abschluss automatisch drunter oder bezieht sich dieser Absatz eigentlich nur auf den öffentlichen Dienst?

>Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Bedeutet doch eigentlich, dass innerhalb von 24 Wochen oder 6 Kalendermonaten im Durchschnitt pro Tag nur 8h gearbeitet werden darf. Somit muss prinzipiell immer bei Überschreitung dieser 8h (auch bei Anordnung von 10h) ein entsprechender Ausgleich (=weniger Arbeit) an anderen Tagen (innerhalb 24 Wochen/6 Monaten) stattfinden, korrekt?

15. Juni 2019 | 09:15

Antwort

von


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Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Lassen sie uns die Reihenfolge zum besseren Verständnis etwas ändern:

1. Was sind "Dienste höherer Art"?

Dienste höherer Art sind solche, die ein überdurchschnittliches Maßes an wissenschaftlicher Bildung, Fachkenntnissen und Kunstfertigkeit des Dienstverpflichteten aus, dem deswegen regelmäßig eine herausgehobene Stellung innehat. Zu den Diensten höherer Art gehören auch Leistungen, die den persönlichen Lebensbereich des Dienstberechtigten besonders tangieren und ein besonderes Maß an Diskretion und Seriosität voraussetzen, weil sie in besonderem Maße die Privat- und Intimsphäre des Dienstberechtigten berühren, da hier ein besonderer Informationsaustausch Bedingung ist ( BGH, 10.11.2016 - III ZR 193/16 ).

Im Mittelpunkt steht nicht die Ausbildung der Person, sondern die tatsächliche Tätigkeit, und welche Qualifikation für diese vorausgesetzt wird ( BGH, 10.11.2016 - III ZR 193/16 m.w.N), weswegen in der Regel ein besonderes persönliches Verhältnis zwischen den Vertragsparteien vorliegt, weil die Person nicht nur aufgrund ihrer Kenntnisse sondern auch aus persönlichen Gründen ausgewählt wird.

Keineswegs beziehen sich Dienste höherer Art auf Beamte, vielmehr sind oft die Freien Berufe mit besonderem Vertrauensverhältnis (Pflege, Ehe- /Partnervermittelungen, Unternehmensberater, Persönlichkeitscoaches,(Ärzte, Steuerberater, Anwälte ) als Leistende von Diensten höherer Art anzutreffen, weil ihre Kunden sich auf sie ganz besonders verlassen.

Ein abgeschlossenes Hochschulstudium qualifiziert Sie zwar für Dienste höherer Art, aber führt nicht automatisch dazu, dass Sie diese auch leisten. Vielmehr müssen Sie auch aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung ihre Dienste erbringen.

Ob sie verbeamtet oder im öffentlichen Dienst sind oder einem Tarifvertrag unterliegen ist irrelevant, ebenso ob es einen Betriebsrat oder eine Gewerkschaft gibt. Es kommt allein auf die von Ihnen zu erbringenden Dienste an und ob diese ein besonderes Vertrauen erfordern.

Davon gehe ich als "normaler" Programmierer im fixen Arbeitsvertrag mit einer Agentur nicht zwingend aus, Anhaltspunkte für eine herausgehobene Vertrauensstellung zwischen ihnen und dem Arbeitgeber/ Kunden habe ich nicht.

2. Überstundenabgeltung und Dienste höherer Art

Grundsätzlich ist eine pauschale Überstundenabgeltung mit dem Gehalt unwirksam ( ständige BAG-Rechtsprechung, Z.B. BAG, 17. August 2011, Az.: 5 AZR 406/10 ).

Dann sind Überstunden nach § 612 BGB abzugelten, wenn eine Vergütung bei der Art des Dienstes regelmäßig zu erwarten ist. (ständige BAG-Rechtsprechung, z.B. BAG, 17. August 2011, Az.: 5 AZR 406/10 ).

Das BAG geht jedoch davon aus, dass bei Diensten höherer Art eine besondere Flexibilität der Leistungserbringung vorausgesetzt wird und daher nicht regelmäßig eine Vergütung für Überstunden vorausegsetzt wird (ständige BAG-Rechtsprechung, z.B. BAG, 17. August 2011, Az.: 5 AZR 406/10 ). Aber einen Dienst höherer Art sehe ich bei Ihnen nicht, hierzu müsste der Dienstgeber ( die Agentur) vortragen, welche besondere persönliche Vertrauensstellung zwischen Ihnen maßgeblich sein soll.

Aber auch in anderen Konstellationen verneint die Rechtsprechung, dass eine weitere Überstundenvergütung zu erwarten ist. Dafür werden alle Umstände des Einzelfalls jeweils zu beleuchten sein. Beurteilt werden unter anderem Verkehrssitte, Art, Umfang und Dauer der Arbeitstätigkeit sowie der Position des Arbeitnehmers. Das wichtigste Kriterium ist jedoch meist, ob die Vergütung des Arbeitnehmers die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Diese beträgt im Jahr 2019 6700 € (West) bzw. 6150,00 € (Ost). Übersteigt die durchschnittliche Vergütung des Arbeitnehmers diese Beitragsbemessungsgrenze, kann dieser im Regelfall keine gesonderte Vergütung von Überstunden verlangen, weil er neben diesem hohen Gehalt nicht auch noch die Vergütung von Zusatzstunden erwarten kann.

Sie schreiben, dass sie im Jahr unter 76200 € verdienen. Dies entspricht 6350 €, liegt also unter der Beitragsbemessungsgrenze der RV im Westen.

Somit müssen alle anderen Umstände angeschaut werden, ob sie Überstundenvergütung erwarten dürfen oder nicht. In der Regel wird dies häufiger zu bejahen als zu verneinen sein, wenn sie keine leitende oder besonders herausgehoben Stellung beim Arbeitgeber haben oder sonst herausgehobenes Vertrauen bei ihm in Anspruch nehmen.

3. Kann mein Arbeitgeber somit Überstunden auf 10h/Tag festsetzen (und zwar für bis zu 24 Wochen) ohne diese auszugleichen oder zu vergüten?

A) Zur Vergütung:

Hier wären wie oben dargelegt alle Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. In der Regel ist eine Überstundenvergütung, die über die im Vertrag vorausgesetzten 40 Stunden/ Woche hinausgeht, zu erwarten.


Die Klausel: "Der Arbeitnehmer erklärt sich bereit, falls angeordnet, Mehrarbeit zu leisten. Überstunden in angemessenen und branchenüblichen Rahmen sind mit der Vergütung abgegolten." die der Arbeitgeber nutzt ist zu unbestimmt und intransparent, es ist ein genaues Stundenmaß anzugeben, damit der Arbeitnehmer weiß, worauf er sich einlässt. Folglich ist die Klausel unwirksam und es kommt darauf an, ob sie Überstundenvergütungen erwarten dürfen, § 612 BGB .

Das Argument ihres Arbeitgebers:
"> Dienste höherer Art sind Tätigkeiten, die ein überdurchschnittliches Maß an Fachkenntnissen, Kunstfertigkeit oder wissenschaftlicher Bildung, eine hohe geistige Fantasie oder Flexibilität voraussetzen (z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Architekten). Solche Arbeitnehmer müssen die Klausel zur Überstundenabgeltung hinnehmen und gehen leer aus."
verfängt aber nicht, da nur die Bildung nicht ausschlaggebend ist, sondern wie oben dargelegt auch die persönliche Vertrauensstellung bzw. die besonders hervorgehobene Tätigkeit im Unternehmen.
Hierfür habe ich keine Anhaltspunkte , so dass ich davon ausgehe, dass von Ihnen eine Vergütung der Überstunden durchaus erwartet werden darf.

Absichern ließe sich dies bezüglich der bejahten Erwartungshaltung jedoch nur durch eine genaue Einzelfalluntersuchung ihrer Dienstpflichten und Stellung und Vertrauensstellung im Unternehmen, die den Rahmen dieses Forums sprengen würde.

b. Ausgleich
>Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Bedeutet doch eigentlich, dass innerhalb von 24 Wochen oder 6 Kalendermonaten im Durchschnitt pro Tag nur 8h gearbeitet werden darf. Somit muss prinzipiell immer bei Überschreitung dieser 8h (auch bei Anordnung von 10h) ein entsprechender Ausgleich (=weniger Arbeit) an anderen Tagen (innerhalb 24 Wochen/6 Monaten) stattfinden, korrekt?

Ja, ihre Auffassung ist korrekt. Diese Regelung entspricht § 3 des ArbZG . Dies gilt übrigens unabhängig davon, ob Sie Dienste höherer Art erbringen oder nicht, allenfalls leitenden Angestellten kommt das Gesetz nach § 18 ArbZG nicht zu Gute, aber hierfür haben Sie die Regelung im Arbeitsvertrag, die ihnen den gleichen Anspruch gewährt. Im Mittel von 24 Wochen darf Ihre Arbeitszeit 8 Stunden pro Tag nicht überschreiten, es ist also ein Freizeitausgleich zu gewährleisten, wenn 10 Stunden am Tag angeordnet werden ( so z.B. BAG 11.11.1997, Az. 9 AZR 566/96 ; BAG 23.01.2001, Az. 9 AZR 26/00 ); BAG 04.05.1994, Az. 4 AZR 445/93 ).

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen


Rechtsanwältin Doreen Prochnow

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