Sehr geehrter Fragesteller,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich aufgrund Ihrer Angaben summarisch wie folgt beantworten möchte.
Vorausschicken möchte ich, dass sich in gemeinschaftlichen Testamenten, d.h. wenn sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben einsetzen, oftmals Regelungen finden, die erschweren sollen, dass die Kinder beim Eintritt des ersten Erbfalles den „Längerlebenden“ mit Pflichtteilsansprüchen konfrontieren. Allerdings sind davon die Fälle erfasst, in denen ein Kind bei Versterben auch des „Längerlebenden“ Erbe werden würde, was bei Ihnen nicht der Fall ist.
Nach § 2303 BGB
sind Sie als Abkömmling pflichtteilsberechtigt. Der Pflichtteilsanspruch gegen Ihren vorverstorbenen Vater ist allerdings bereits mit dessen Erbfall entstanden.
Hierfür gilt grundsätzlich die Verjährungsregelung aus § 2332 Absatz 1 BGB
, wonach der Pflichtteilsanspruch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjährt, in welchem Sie von dem Eintritt des Erbfalls und von der Sie beeinträchtigenden Verfügung (Reduzierung auf den Pflichtteil) Kenntnis erlangten. Da Sie diesen Anspruch nach Ihren Schilderungen nicht rechtzeitig geltend gemacht haben, dürfte ein diesbezüglicher Pflichtteilsanspruch verjährt sein.
Grundsätzlich ist es nach § 202 BGB
zwar möglich, durch Rechtsgeschäft eine längere Verjährung zu vereinbaren. Im Falle eines Pflichtteilsanspruchs könnte eine Verlängerung durch einen Änderungsvertrag zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten vereinbart werden. Allein aus der Tatsache, dass Sie gegenüber Ihrer nachverstorbenen Mutter davon Abstand genommen haben, auf Auszahlung Ihres Pflichtteils zu bestehen, kann meines Erachtens eine solche Vereinbarung nicht begründen.
Der von Ihrem Bruder beantragte Erbschein ist im Übrigen ein Zeugnis, welches vom Nachlassgericht ausgestellt wird und mit dem der potentielle Erbe sich legitimieren kann. Wenn sich beispielsweise Eigentum an einem Grundstück im Nachlass befindet, so verlangt das Grundbuchamt zwecks Nachweises der Erbenstellung einen Erbschein.
Da keine Anhaltspunkte vorliegen, weshalb an der Erbenstellung Ihres Bruders Zweifel aufkommen könnten und auch anscheinend Verfügungsbeschränkungen nicht verheimlicht worden sind, dürfte ihm der Erbschein zu erteilen sein. Wenn Sie dem nicht widersprechen, wird ihm aller Voraussicht nach der Erbschein erteilt werden. Auch ein Widerspruch dürfte hier allerdings wohl zu keinem anderen Ergebnis führen.
Sie sollten Ihren verbleibenden Pflichtteilsanspruch gegen Ihren erbenden Bruder geltend machen. Nach § 2314 BGB
steht Ihnen überdies ein Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu. Ihr Erbteil beläuft sich auf die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils, mithin dürfte dieser 1/6 betragen.
Abschließend bitte ich zu beachten, dass diese Antwort zwar alle wesentlichen Aspekte des von Ihnen geschilderten Falles umfasst, jedoch daneben Tatsachen relevant sein könnten, die möglicherweise zu einem anderen Ergebnis führen würden. Verbindliche Auskünfte sind daher nur im Rahmen einer Mandatserteilung möglich.
Ich hoffe, Ihnen die in diesem Forum angestrebte erste rechtliche Orientierung ermöglicht zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Tobias Kraft
Rechtsanwalt
Der 2-te Sohn hat seinen Erbteil bekommen bevor der Vater verstorben ist, (bei Erstellung des Testamentes) und hat dies in einer Anlage zum Testament auch bestätigt.
Frage:
Müsste dann nicht mein Pflichtteil 1/4 betragen ?
Sehr geehrter Fragesteller,
wenn der zweite Sohn bereits zu Lebzeiten seinen Pflichtteil ausgezahlt bekommen hat, beträgt Ihr gesetzlicher Erbteil 1/2. Der Pflichtteil beläuft sich demnach gemäß § 2303 Absatz 1 Satz 2 BGB
auf die Hälfte davon, mithin auf die von Ihnen zutreffend genannten 1/4.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre Angelegenheit in Kürze zu Ihrer Zufriedenheit regeln können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Tobias Kraft
Rechtsanwalt