Pausen einer Nachtwache in einer Behinderten-Wohngemeinschaft

| 15. Dezember 2021 08:05 |
Preis: 100,00 € |

Arbeitsrecht


Beantwortet von


10:18
Guten Tag!
In einem Haus, in dem Menschen mit Behinderungen in Wohngemeinschaften leben, wird die nächtliche Betreuung von einer Nachtwache geleistet. Sie arbeitet von 21 bis 7 Uhr. Innerhalb dieser Zeit hat sie Anrecht auf 3 x 15 Minuten Pause, die nicht bezahlt werden - die sie aber auch nicht wachend verbringen muss. D. h. die elektronischen Überwachungsgeräte, Tablet und Notfallknopf, darf und sollte sie ignorieren, sie kann, wenn sie will, das Haus verlassen. Soweit das Arbeitsrecht. Es gibt Ausnahmeregelungen, allerdings nach Aussage eines Anwalts nur für tarifgebundene Verträge.
Meine Frage ist nun folgende: Wenn der Geldgeber, hier der Landschaftsverband Rheinland, eine Nachtwache genehmigt wegen der Notwendigkeit einer nächtlichen Überwachung (Epilepsie, schwerste Behinderung ohne Kommunikationsmöglichkeit bei mehreren Bewohnern), ist es dann überhaupt rechtens, diese Wache auszusetzen wegen gesetzlich vorgeschriebener Pausenzeiten, zumal die Nachtwache stundenlange Leerlaufzeiten hat? Kann es sein, dass hier Arbeitsrecht und "Ich-weiß-nicht-welches-Recht", auf alle Fälle aber der gesunde Menschenverstand, kollidieren?
Für eine Antwort wäre ich Ihnen sehr dankbar.
15. Dezember 2021 | 09:12

Antwort

von


(2736)
Brandsweg 20
26131 Oldenburg
Tel: 0441-7779786
Web: https://www.jan-wilking.de
E-Mail: info@jan-wilking.de
Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Arbeitsrechtlich ist dies korrekt, wenn es sich um tatsächliche Ruhepausen im Sinne des § 4 ArbZG handelt. Die Ruhepausen müssen also im Voraus feststehen und zu einer vollständigen Unterbrechung der Arbeit führen. Der AN darf dann das Gebäude verlassen und und muss auch nicht für Notfälle zur Bereitschaft stehen.

Diese Anforderung kollidiert in Ihrem Fall aber offensichtlich mit den tatsächlichen Begebenheiten. Denn die Nachtwache kann ja in der Nacht nicht einfach 3x15 Minuten komplett die Arbeit niederlegen, wenn keine adäquate Stellvertretung dafür Sorge trägt, dass in diesem Zeitraum eine Überwachung stattfindet und in Notfällen eingeschritten wird, um die besonders gefährdeten Bewohner vor Schäden zu bewahren. Sollte die Nachtwache das Gebäude in den Pausen nicht verlassen (was ja bei 15 Minuten nachts eher wahrscheinlich ist) und dabei auf einen Notfall aufmerksam werden, darf sie dies auch nicht einfach wie vom AG gewünscht ignorieren, ansonsten kommt sie in den Bereich der unterlassenen Hilfeleistung. Insofern handelt es sich faktisch eher um Bereitschaftsdienst als um wirkliche Pausen, ein komplettes Abschalten während der Pausen ist nicht realistisch umsetzbar.

Dies sollte dem Arbeitgeber auch entsprechend schriftlich mitgeteilt werden und auf die Notwendigkeit einer Vertretung während dieser Pausen hingewiesen werden, da ansonsten die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen nicht wie vom AG erwünscht umgesetzt werden können.

Führt dies nicht zum Erfolg, sollte sich die Nachtwache an den Träger wenden, der ja für den Schutz der Bewohner verantwortlich ist und sich daher um eine lückenlose Nachtwache kümmern muss. Fruchtet auch dies nicht, wäre der letzte Schritt die Information der Heimaufsichtsbehörde.

Solange die Nachtwache aufgrund der tatsächlichen Umstände nicht in der Lage ist, Ruhepausen im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu nehmen, ohne die Gesundheit der Bewohner ernsthaft zu gefährden, liegt auch ein Verstoß gegen das ArbZG vor und es kann die zuständige Arbeitsschutzbehörde eingeschaltet werden. Zudem kann ein Anspruch auf Vergütung der "Pausen" bestehen, wenn sich diese in der Realität aus den oben genannten Gründen als Bereitschaftsdienst einstufen lassen (vgl. z.B. Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 17.02.2016 – 11 Sa 734/15).

Es sollte aber zunächst die Mitteilung an den AG erfolgen und um sofortige Abhilfe (z.B. in Form eines adäquaten Stellvertreters während der Pausen) gebeten werden.

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen


Rechtsanwalt Jan Wilking

Rückfrage vom Fragesteller 15. Dezember 2021 | 09:40

Das System ist so klein - 11 Menschen mit Behinderung -, dass eine Vertretung nicht möglich ist. Dazu müsste eine zweite Person des nachts beschäftigt werden. Das ist nicht realistisch und nicht finanzierbar, es entspricht auch nicht den realen Anforderungen an die Nachtwache, die überwiegend sehr wenig zu tun hat. Kann man eine Ausnahmeregelung einsetzen dergestalt, dass die Nachtwachen 10 Stunden bezahlt bekommen und die Pausen "integriert" werden? Oder ist das außertariflich grundsätzlich nicht möglich?

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 15. Dezember 2021 | 10:18

Vielen Dank für Ihre Nachfrage.

Die Pausenregelung in § 4 ArbZG ist grundsätzlich zwingend, § 7 ArbZG erlaubt abweichende Regelungen nur in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung. Außertariflich ist eine Beschäftigung von 10 Stunden ohne echte Ruhepausen also nicht zulässig, auch nicht bei bezahlten "Pausen".

Mit freundlichen Grüßen

Bewertung des Fragestellers 17. Dezember 2021 | 09:18

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