vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich möchte diese anhand des geschilderten Sachverhaltes im Rahmen dieser Erstberatung wie folgt beantworten:
Zu 1) - Ob die Ausführungen des Polizisten korrekt sind
Zu den Aussagen des Polizisten ist zunächst zu sagen, dass diese im Wesentlichen stimmen. Die Rechtsgrundlage für das Kontrollieren einer vorhandenen Fahrkarte, gleich in welcher Form, findet sich zunächst in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen bzw. den Geschäftsbedingungen (AGB) Ihres örtlichen S-Bahn-Betreibers, welche Sie automatisch mit Nutzung des Fahrbetriebs akzeptiert haben.
Schließlich kann ein Fahren ohne gültigen Fahrschein gemäß § 265 a StGB als ein Erschleichen von Leistungen strafrechtlich geahndet werden. Sobald Sie also keine gültige Fahrkarte vorweisen können oder wollen, besteht diesbezüglich zumindest erst einmal ein Anfangsverdacht für eine auf frischer Tat begangene Straftat. In diesem Fall gibt es dann tatsächlich ein so genanntes Jedermann-Festnahmerecht gemäß § 127 Abs. 1 StPO. Danach kann für den Fall, dass jemand auf frischer Tat betroffen ist und z.B. seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festnehmen. Als frisch gilt die Tat, wenn sie mit der aktuellen Situation noch in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang steht, das heißt, der (potentielle) Täter muss noch am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe festgenommen werden.
Bei einer solchen Festnahme kann es natürlich eventuell auch zu einer Körperverletzung kommen. Eine Körperverletzung ist gemäß § 223 StGB ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit einer Person in Form einer körperlichen Misshandlung oder einer Gesundheitsschädigung. Eine körperliche Misshandlung wird dabei als üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt, definiert. Gesundheitsschädigung bedeutet das Hervorrufen eines pathologischen Zustandes. Das bloße Festhalten am Arm wird diese Kriterien in der Regel noch nicht erfüllen, denn einerseits ist dies zumeist noch keine erhebliche Mißhandlung und andererseits bedingt dies nicht zwingend einen krankhaften, also pathologischen Zustand. Im Einzelfall kann diese Beurteilung natürlich aber auch anders ausfallen, wenn es durch die Festnahme im Gegensatz zu Ihrem Fall tatsächlich zu Verletzungen kommen sollte.
Zu 2) - ob ich mich in der Tat hätte ausweisen/festhalten lassen müssen
Die aufgezeigte Rechtsgrundlage des § 127 StPO erlaubt genau das. Erst wenn Sie die gültige Fahrkarte vorzeigen, entfällt auch dieses Festnahme- und Kontrollrecht.
Zu 3) - ob die Vorgänge als Körperverletzung/Nötigung/o.ä. zu werten sind
Durch die Festnhame werden zunächst rein tatbestandlich die Straftatbestände der Nötigung sowie Freiheitsberaubung verwirklicht. Allerdings wirkt das dabei ausgeübte und aufgezeigte Festnahmerecht als Rechtfertigungsgrund, so dasss im Ergebnis eine Straftat in dieser Richtung ausscheidet. Körperverletzungen sind hingegen bei der Festnahme nur dann gerechtfertigt, wenn diese im Zusammenhang mit dieser stehen und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bleiben.
Zu 4) - ob es dabei einen Unterschied macht, ob ich tatsächlich ein Fahrkarte hatte
Für die rechtliche Möglichkeit zur Ausübung des aufgezeigten Festnahmerechts macht es zunächst keinen Unterschied, wenn Sie auf Nachfrage keinen gültigen Fahrausweis vorweisen können. Dies allein reicht wie aufgezeigt für den Verdacht einer Straftat nach § 265 a StGB. Sobald sie einen gültigen Fahrschein allerdings vorweisen können, ist ein solcher Verdacht ausgeräumt und das Festnahmerecht besteht dann natürlich nicht oder nicht mehr.
Zu 5) - welche Chancen eine entsprechende Strafanzeige/Gerichtsverfahren hätte
Zwar können Sie Strafanzeige wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und wenn sie ein ärztliches Attesst vorweisen könnten auch wegen Körperverletzung erstatten. Allerdings stehen die Chancen, dass dies geahndet wird relativ gering. Dies liegt daran, dass wie schon unter 3) aufgezeigt die Festnahme als Rechtfertigungsgrund gilt. Insoweit werden die entsprechenden durch eine Anzeige eingeleiteten Verfahren aus diesem Grund voraussichtlich ziemlich schnell wieder eingestellt werden. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es sich um eine übertriebene Ausübung des Festnahmerechts mit erheblich verursachten Verletzungsfolgen handelt, so genannte Fälle von Polizeigewalt.
Ich hoffe Ihnen einen ersten Einblick in die Rechtslage verschafft haben zu können, wünsche noch einen schönen restlichen Adventsabend und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Joschko
Rechtsanwalt
Vielen Dank für die schnelle und ausführliche Antwort.
Eine Nachfrage hätte ich noch. Auf Ihre Antwort hin habe ich die fraglichen Beförderungsbestimmungen nachgelesen. Dort heisst es:
"Der Fahrgast hat die Fahrkarte bis zur Beendigung der Fahrt aufzubewahren und [... vorzuzeigen ...] Die Fahrt gilt als beendet, wenn der Fahrgast an seiner Zielhaltestelle angekommen ist und das Fahrzeug sowie die Bahnsteiganlage verlassen hat."
Habe ich Sie recht verstanden, dass, wenn die Kontrolle erst außerhalb der Bahnsteiganlage erfolgt, kein Kontrollrecht mehr vorliegt und folglich ein Festhalten unzulässig wäre?
Sehr geehrter Fragesteller,
wenn das so in den Beförderungsbedingungen geregelt ist, dann haben Sie vollkommen Recht. In diesem Fall besteht keine Befugnis mehr, auch außerhealb der Bahnanlage zu kontrollieren, dort besteht also kein Kontrollrecht mehr.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Joschko
Rechtsanwalt