Schadenersatz bei Bauverzögerung - Kein Weiterbau bei gerichtlicher Klärung?

1. März 2023 13:04 |
Preis: 95,00 € |

Baurecht, Architektenrecht


Beantwortet von

Rechtsanwalt F Beckmann

Wir haben im April 2021 eine ETW über einen Bauträger erworben, die zum 31.12.22 bezugsfertig sein sollte. Da sie es bis heute nicht ist, haben wir den Bauträger abgemahnt und ihm laufende Kosten (Kaltmiete, Kreditgebühren) in Rechnung gestellt. Er verweist auf höhere Gewalt (Corona, Ukraine) und sieht keine Schuld.

Wir denken, dass bei Vertragsabschluss im April 2021 Corona keine höhere Gewalt ist, der kausale Zusammenhang zwischen höheren Energiepreisen aufgrund des Krieges und den Verzögerungen im Einzelfall nicht begründbar ist. Wir würden daher tendenziell den Rechtsweg gehen, uns aber zunächst ausgiebig informieren und beraten lassen.

Der Bauträger gibt an, dass solange wir nicht vor unserem Schadensersatzanspruch zurücktreten kein Weiterbau erfolgt. Hintergrund: sollten wir zu einem späteren Zeitpunkt den Bauvertrag rück abwickeln wollen, wäre die nach unseren Wünschen fertiggestellte Wohnung schwerer neu zu verlaufen als die Standardvariante.

Ist diese "Drohung" im letzten Abschnitt rechtens? Besteht die Möglichkeit, dass wir offiziell darauf verzichten, den Bauvertrag zu einem späteren Zeitpunkt rück abzuwickeln, so dass der Weiterbau ganz normal erfolgen kann? Nur in dem Fall, dass die Wohnung normal weitergebaut und fertiggestellt wird, würden wir rechtliche Schritte in Betracht ziehen.

Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen wie folgt beantworten:

1.
Zunächst einmal möchte Ihnen die allgemeinen Rechtsgrundsätze aufzeigen, die gelten, wenn ein Bauträger den vereinbarten Fertigstellungstermin nicht einhält:

Ist im Bauträgervertrag gem. § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein nach dem Kalender bestimmter Fertigstellungstermin vereinbart (wie bei Ihnen), gerät der Bauträger mit Ablauf dieser Frist gem. § 286 Abs. 1 BGB in Verzug.

Während für die Fertigstellung der gesamten Bauleistung aus dem Bauträgervertrag, die Herstellung der Bezugsfertigkeit und/oder die Übergabe, also Besitzverschaffung, häufig feste Termine vereinbart sind, fehlt es hieran idR soweit es um die Verschaffung des Eigentums bzw. Erbbaurechts am Bauträgerobjekt geht. Insoweit tritt dann Verzug erst mit Fälligkeit und Mahnung ein.

Zu beachten ist aber folgendes: Kommt es zu Verzögerungen ohne Verschulden des Bauträgers, steht dies dem Verzugseintritt gem. § 286 Abs. 4 BGB entgegen. Der Bauträger hat bei der Bauzeitplanung jedoch angemessene Fristen für die Planung, Genehmigung und Ausführung des Bauvorhabens vorzusehen und dabei auch in üblichem und angemessenem Maße Puffer für Verzögerungen, Schwierigkeiten und unvorhergesehene Ereignisse zu berücksichtigen, mit denen bei der Durchführung von Bauvorhaben stets gerechnet werden muss. 

Ob vor diesem Hintergrund in Ihrer Fallkonstellation von einem fehlenden Verschulden des Bauträgers ausgegangen werden kann, erscheint fraglich, kann aber diesseits nicht rechtsverbindlich beantwortet werden, weil dazu sämtliche Umstände des Einzelfalls zu prüfen wären. Dies obliegt einer gerichtlichen Beurteilung, die diesseits nicht sicher eingeschätzt werden kann. Der Verweis des Bauträgers auf Corona dürfte – bei einem Vertragsschluss über ein Jahr nach Beginn der Pandemie – wohl nicht den Verschuldensvorwurf entkräften. Der Bauträger hat den Vertrag „innerhalb" einer Pandemie abgeschlossen und muss dies bei der Einplanung des oben erwähnten Puffers auch berücksichtigen. Inwieweit der Krieg sich auf den Bauablauf ausgewirkt hat, kann nicht beurteilt werden. Fest steht jedoch, dass der Bauträger sein fehlendes Verschulden in einem gerichtlichen Verfahren darlegen und beweisen müsste.

Wenn der Bauträger mit der Erfüllung der ihm obliegenden Leistungen in Verzug kommt, kann der Erwerber die Rechte und Ansprüche aus dem allgemeinen Schuldrecht geltend machen, also

• gem. § 323 BGB vom Bauträgervertrag zurücktreten; der Bauträgervertrag ist dann als Ganzes rückabzuwickeln; das Recht des Erwerbers zur Geltendmachung von Schadensersatz bleibt gem. § 325 unberührt;

• gem. §§ 280 Abs. 3, 281 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen oder

• gem. § 280 BGB Ersatz des Verzögerungsschadens verlangen.

2.
Sofern der Bauträger angibt, dass solange Sie nicht von Ihrem Schadensersatzanspruch Abstand nehmen, kein Weiterbau erfolgt, ist zunächst einmal anzumerken, dass er damit unter Umständen sogar die Grenze der Strafbarkeit überschreitet (insbes. Nötigung, § 240 StGB).

Diese „Drohung" ist keine zulässige Verhaltensweise und dürfte auch eine Pflichtverletzung des Bauträgervertrags darstellen.

Das Problem, das sich hier stellt ist jedoch, wie Sie am besten mit dieser „verzwickten" Situation umgehen. Nach Ihrer Schilderung des Verhaltens des Bauträgers empfehle ich Ihnen zunächst keine weiteren Eskalationsstufen zu überschreiten, wenn Sie daran interessiert sind, dass der Bauträgervertrag erfüllt wird. Denn, wenn der Bauträger endgültig nicht mehr weiterbaut, bleibt Ihnen praktisch nur noch die Möglichkeit des Rücktritts. Dies kann zu erheblichen Problemen führen (s. hier: https://community.beck.de/2021/01/01/bautraegervertrag-und-schutzlosigkeit-des-erwerbers-was-der-gesetzgeber-schnellstens-aendern-sollte-oder-ein).

3.
Ihre Frage, ob die Möglichkeit besteht, dass Sie "offiziell darauf verzichten, den Bauvertrag zu einem späteren Zeitpunkt rück abzuwickeln, so dass der Weiterbau ganz normal erfolgen kann", möchte ich wie folgt beantworten:

Zitat:
Im Schuldrecht kann auf Einreden und Gestaltungsrechte einseitig verzichtet werden, wie sich für die Einrede des Bürgen aus § 768 Abs. 2 entnehmen lässt […]. Dies gilt [auch für] das Recht zum Rücktritt.

MüKoBGB/Schlüter, 9. Aufl. 2022, BGB § 397 Rn. 19


Ich kann Ihnen davon aber nur dringend abraten. Sie können sich – bei Verzicht auf das Rücktrittsrecht – unter Umständen von dem Vertrag nicht mehr lösen. Bei Bauträgerverträgen gibt es (siehe dazu auch den oben verlinkten Artikel) keine Kündigungsmöglichkeiten.

4.
Ihre Situation ist wirklich ausgesprochen ungünstig für Sie. Ich kann Ihnen daher nur empfehlen, auf eine einvernehmliche Lösung mit dem Bauträger hinzuwirken. Ggf. kann eine finanzielle Lösung gefunden werden, die den Bauträger zum Weiterbau bringt (z.B. Summe X zusätzlich, wenn Fertigstellung zum [Datum] erfolgt). Ich kann verstehen, dass diese Lösung für Sie nicht attraktiv erscheint. Allerdings dürften aktuell wirtschaftliche Gründe bedeutsamer sein als „Recht zu haben", da Sie für den Fall, dass der Bauträger endgültig nicht mehr weiterbaut, praktisch nur noch die Rücktrittsmöglichkeit mit den im verlinkten Artikel beschriebenen Gefahren bleibt.

Sie sollten aber auf keinen Fall auf etwaige Ansprüche verzichten. Sollten Sie dies tun, können Sie diese – auch nach Fertigstellung – nicht mehr geltend machen. Machen Sie daher dem Bauträger – stets – deutlich, dass Sie sich die Geltendmachung Ihrer Ansprüche vorbehalten. Sollten Sie dem Bauträger gegenüber den Anschein erwecken, dass Sie auf die Geltendmachung verzichten (z.B. im Fall der von mir vorgeschlagenen außergerichtlichen Einigung), kann sich dieser in einem gerichtlichen Verfahren auf ein widersprüchliches Verhalten Ihrerseits berufen (Venire contra factum proprium (lat. für „Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten", vereinfacht: widersprüchliches Verhalten, Selbstwiderspruch)), was dazu führen kann, dass die Geltendmachung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen kann und Sie die Ansprüche somit nicht geltend machen können.

Ihre Schadensersatzansprüche würde ich dann nach Fertigstellung (gerichtlich) geltend machen. Behalten Sie jedoch die Verjährungsfristen im Auge.

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Beckmann

Rückfrage vom Fragesteller 1. März 2023 | 14:42

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Was heißt "Geltendmachung Ihrer Ansprüche vorbehalten" im konkreten Fall? Der Bauträger schreibt: "[i]m Interesse einer Übergabe der Wohnung bei Fertigstellung [...] dürfen wir um schriftliche Bestätigung bitten, dass Ihre Forderung gemäß Schreiben vom [...] gegenstandslos ist und auf eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verzögerung der vertraglich vereinbarten Fertigstellung aufgrund höherer Gewalt unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt verzichtet wird."

Wie ist in diesem Fall im Sinne Ihres Vorschlags zu antworten? Wie geschrieben, der Bauträger hat angekündigt, den Weiterbau zu stoppen, falls diese Bestätigung von uns nicht erfolgt. Also so lange, wie der Fall nicht geklärt ist und somit im schlimmsten Fall bis eine gerichtliche Entscheidung vorliegt.

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 1. März 2023 | 15:06

Sehr geehrter Fragesteller,

diese Forderung sollten Sie meines Erachtens NICHT schriftlich bestätigen. Wie oben erwähnt empfehle ich, auf eine einvernehmliche Lösung hinzuwirken, ohne dass Sie auf Ihre Ansprüche verzichten. Wie genau diese auszusehen hat, hängt von Ihrer Bereitschaft, dem Bauträger entgegen zu kommen ab. An dieser Stelle gibt es keine mustergültige Antwort. Es kommt auf Ihr „Verhandlungsgeschick" an.

Natürlich könnten Sie dem Bauträger seine Forderung auch schriftlich bestätigen, wenn es Ihnen „egal" ist und Sie die Ansprüche nicht mehr geltend machen wollen. Dies obliegt allein Ihrer Bereitschaft, dem Bauträger entgegenzukommen. Sie sollten sich aber bewusst sein, dass Sie Ihre Ansprüche dann auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr geltend machen können.

Wägen Sie ab, ob es Ihnen wichtiger ist, dass der Bauträger schnellstmöglich weiterbaut oder ob Sie Ihre finanziellen Einbußen zu 100% geltend machen möchten. Es geht an dieser Stelle nicht um die Rechtslage (die ich Ihnen oben aufgezeigt habe), sondern um praktische Erwägungen. Vielleicht können Sie auch darauf hinwirken, dass Sie auf Ihre Ansprüche, so wie es der Bauherr fordert, verzichten und dafür eine Geldsumme X erhalten. Einigen Sie sich zudem auf einen neuen Fertigstellungstermin. Achten Sie dabei allerdings darauf, dass eine solche Einigung folgenden Passus enthält (Hervorhebung):

Auf eine Geltendmachung von bereits entstandenen Schadensersatzansprüchen wegen der Verzögerung der vertraglich vereinbarten Fertigstellung aufgrund höherer Gewalt wird unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt verzichtet. Nicht erfasst sind künftige Schadensersatzansprüche, insbesondere nicht solche, die in Bezug auf den neuen Fertigstellungstermin am [Datum] entstehen (können).

Sie könnten auch versuchen, Ihrer Geltendmachung zunächst „zurückzunehmen". Dann muss aber der Satz fallen: Die Geltendmachung der Ansprüche wird vorbehalten.
Dann können Sie diese nach Fertigstellung geltend machen.

Ich hoffe, Ihnen damit weitergeholfen zu haben! Überlegen Sie es sich in jedem Fall gut, wenn Sie Erklärungen abgeben, mit denen Sie auf Ihre Rechte verzichten.

Beste Grüße
Rechtsanwalt Beckmann

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