Gerne zu Ihrer Frage:
"Ist es rechtens, dass uns die Gemeinde wie angekündigt für die neu gebaute Straße B einen Erschließungsbeitrag (für die Herstellung der Oberfläche) von 2/3 der umlagefähigen Kosten für unser Grundstück berechnen darf, obwohl unser Grundstück seit 1989 als voll erschlossen galt?"
Ihre Frage betrifft das Thema des Grundsatzes der "Einmaligkeit der Beitragspflicht".
Dieser Grundsatz kann aber im bestimmten Konstellationen durchbrochen werden durch eine sog. Mehrfacherschließung, sofern die gesetzlichen und satzungmäßigen Voraussetzunge dies zulassen.
Lehrbuchhaft dazu eine Urteil des VG München (28. Kammer), Urteil vom 17.07.2019 - M 28 K 18.1741
in einem relevanten Auszug:
"Denn durch die Errichtung der Erschließungsanlage „D." mit der FlNr. ... ist für die Kläger - jedenfalls bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise - gegenüber der bereits im Jahr 2009 abgerechneten Erschließungsanlage „D." mit der FlNr. ......ein darüber hinausgehender Erschließungsvorteil entstanden. .....reichte die Privatstraße, die das streitgegenständliche Grundstück vor Errichtung der Erschließungsanlage „D." mit der FlNr. ...mit der Erschließungsanlage „D." mit der FlNr. .... verband, und hierdurch „das Erschlossensein" des streitgegenständlichen Grundstücks sicherstellte, nur etwa bis zum ersten Drittel der Frontlänge des klägerischen Grundstücks. Die u.a. anstelle dieses Privatwegs neu errichtete Erschließungsanlage „D." mit der FlNr. ... reicht hingegen deutlich über das klägerische Grundstück hinaus und endet bezüglich der von der Erschließungsanlage „D." mit der FlNr. ....abzweigenden Stichstraße zum klägerischen Grundstück erst an den Grenzen der FlNr. ... und ... Die neu errichtete Erschließungsanlage „D." mit der FlNr. ....hat somit diese Stichstraße gegenüber dem dort vorher vorhandenen Privatweg deutlich verlängert."
Und:
"Erfolgt aber eine spätere Verlängerung um eine in einem Bebauungsplan vorgesehene Strecke, handelt es sich hierbei um eine neue, selbständige Erschließungsanlage. Ein Grundstück, das sowohl an die früher hergestellte Strecke, als auch an die sich anschließende Verlängerungsstrecke grenzt und von beiden erschlossen wird, ist bei der Abrechnung jeder dieser Anlagen mit den vollen, auf dieses Grundstück nach der satzungsmäßigen Verteilungsregelung entfallenden Bezugsgrößen zu berücksichtigen. Erschließungsbeiträge werden zudem für die „erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage" erhoben, nicht für die „erstmalige Erschließung eines Grundstücks". Um einen Fall der Mehrfacherschließung handelt es sich daher insbesondere auch, wenn ein Grundstück an zwei sich aneinander anschließende selbständige Anbaustraßen (etwa eine bereits endgültig hergestellte Straße und eine Verlängerungsstrecke) grenzt und von beiden im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB
erschlossen wird.
Wenn zwei sich aneinander anschließende, selbständige Anbaustraßen einem Grundstück jede für sich die Bebaubarkeit vermitteln, das Grundstück somit durch jede der beiden Erschließungsanlagen jeweils einmal, insgesamt also zweimal, erschlossen wird, kann eine Belastungsbeschränkung nur nach Maßgabe der satzungsmäßigen Vergünstigungen für mehrfach erschlossene Grundstücke erfolgen."
Sie sollten aber explizit wegen des letzten Absatzes und der von mir durch Unterstreichen hervorgehobenen Option einer potentiell satzungsmäßigen Vergünstigung dies bei der Gemeinde förmlich anfragen.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Krim.-Dir. a.D. Willy Burgmer
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Rechtsanwalt Krim.-Dir. a.D. Willy Burgmer
Sehr geehrter Herr Burgmer,
danke für ihre Antwort.
Entnehme ich dieser Richtig das es sich bei der satzungsmäßigen Vergünstigung um diesen Auszug aus der örtlichen Erschließungsbeitragssatzung handelt:
"Für Grundstücke, die von mehr als einer Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauBG erschlossen werden, ist die Grundstücksfläche bei Abrechnung jeder Erschließungsanlage nur mit zwei Dritteln anzusetzen.
Dies gilt nicht,
1. wenn ein Erschließungsbeitrag nur für eine Erschließungsanlage erhoben wird und Beiträge für weitere Anlage zu deren erstmaligen Herstellung weder nach dem geltenden Recht noch nach vergleichbaren früheren Rechtsvorschriften erhoben worden sind oder erhoben werden,
2. für Grundstücke in Kern-, Gewerbe- und Industriegebieten sowie für Grundstücke, die überwiegend gewerblich genutzt werden."
Somit würden wir trotzdem für die Straße B anteilig 2/3 entrichten müssen.
Und die bereits vom Vorbesitzer entrichteten 3/3 für Straße A werden hierbei nicht beachtet.
Widerspricht sich dies nicht trotzdem mit dem Auszug der Erschließungsbeitragsatzung, dass je Erschließungsanlage nur 2/3 angerechnet werden?
Danke
Gerne zu Ihrer Nachfrage:
Ja, genau. Das ist der Prototyp einer solchen "satzungsmäßigen Vergünstigungen für mehrfach erschlossene Grundstücke", die das zitierte VG München meinte.
Ob das aber nun für Ihren Fall nach der dortigen Ziff. 1 (oder 2) "nicht gilt", lässt sich aus der Ferne ohne örtliche Anschauung und Kenntnis aller relevanten Umstände nicht abschließend bewerten:
Im zitierten Fall trugen die Kläger nämlich den folgenden Sachverhalt vor, unterlagen aber mit ihrer Klage.
"Den Klägern sei lediglich nach § 5 Abs. 11 der gemeindlichen Erschließungsbeitragssatzung eine Eckgrundstücksvergünstigung mit der Begründung gewährt worden, dass das Grundstück durch zwei eigenständige Erschließungsanlagen erschlossen sei. Angesichts dessen, dass die Erschließungsstraße „D." bereits im Jahr 2009 als erstmalig endgültig fertiggestellte Erschließungsanlage abgerechnet worden sei und damals bejaht worden sei, dass das streitgegenständliche Grundstück durch diese Erschließungsstraße erschlossen sei, bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, aufgrund des Baus der neuen Erschließungsstraße für einige zusätzliche Bauparzellen davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Grundstück durch diese neu gebaute Erschließungsstraße über eine zweite Erschließungsanlage neu erschlossen worden sei. Eine Rechtsgrundlage bestehe nur dann, wenn man davon ausgehe, dass die im Jahr 2009 vorgenommene Abrechnung zu Unrecht erfolgt sei, weil die Erschließungsstraße „D." damals noch nicht endgültig fertiggestellt gewesen sei und deshalb nicht hätte abgerechnet werden dürfen. Die Erschließungskosten hätten dann für die gesamte Erschließungsanlage „D." ermittelt werden müssen und gegenüber sämtlichen Grundstückseigentümern, die Anlieger dieser Erschließungsanlage seien, abgerechnet werden müssen. Dann sei aber der von Klägern in der Vergangenheit bereits bezahlte Betrag von 7.712,99 € als Vorauszahlung auf die tatsächlich angefallenen Erschließungskosten anzusehen, die von dem bei dieser Abrechnung ermittelten Erschließungsbeitrag in Abzug gebracht werden müsse."
Sie sollten deshalb sich von der Gemeinde dezidiert erläutern lassen, warum "die bereits vom Vorbesitzer entrichteten 3/3 für Straße A hierbei nicht beachtet werden" und ggf. nach Maßgabe einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung die Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels durch eine/n Kollegen/in vor Ort prüfen lassen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Willy Burgmer
- Rechtsanwalt