Auftraggeber geht in die Insolvenz - Chance als Scheinselbstständiger ?

29. Januar 2013 14:31 |
Preis: 40€ Historischer Preis
Hier finden Sie einen
Aktuellen Kostenvorschlag
|

Insolvenzrecht


Beantwortet von

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 07.Januar dieses Jahres hat mein Auftraggeber, für den ich seit Juli 2007 als freier Mitarbeiter gearbeitet habe, die Insolvenz beantragt. Dieser schuldet mir bereits seit Oktober bis einschließlich Dezember, die letzten drei Rechnungen meiner Tätigkeit (über 10000 EUR). Für die Rechnungen Oktober und November habe ich zeitgleich mit der Insolvenz noch einen gerichtlichen Mahnbescheid beantragt, welcher aber erst am 18.01. zugestellt wurde.
Bei dieser Tätigkeit habe ich in den letzten 4 Jahren bis zuletzt am 21.12.2012 ausschließlich für diese Firma (GmbH) gearbeitet und dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach sämtlich Kriterien der Scheinselbstständigkeit erfüllen. Ich habe als Kraftfahrer im Außendienst gearbeitet und habe ein Fahrzeug der Firma gestellt bekommen, wie auch ca. 8 andere Mitarbeiter, die jedoch in genau derselbigen Tätigkeit als Festangestellte ihre Arbeit verrichtet haben. Außerdem habe/hatte ich keine Mitarbeiter und keine freie Wahl der Arbeitszeiten, lediglich die Fahrstrecke zu den Kunden der Firma (die auch vorgegeben waren) konnte ich relativ frei wählen.

Macht es Sinn, jetzt im Nachhinein auf Scheinselbstständigkeit zu klagen, um wenigstens einen Teil des Geldes vielleicht noch zu erhalten bzw. wie hoch wäre mein finanzielles Risiko (ohne Rechtsschutz)? Welche Chancen bzw. Risiken ergeben sich dadurch? Ich habe keine Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt.

Kann ich außerdem auf Weiterbeschäftigung klagen?

Die Firma läuft seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im vollem Umfang weiter. Die Mitarbeiter haben ihren Lohn vom Dezember jetzt Mitte Januar über das Arbeitsamt erhalten.

Wie sehen Sie die Sachlage?

MfG
Ein Ratsuchender

29. Januar 2013 | 18:41

Antwort

von


(654)
Heinz-Fangman-Str. 2
42287 Wuppertal
Tel: 0202 76988091
Web: https://www.kanzlei-scheibeler.de
E-Mail:

Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegeben Informationen verbindlich wie folgt beantworten:


Nach Ihrer Schilderung spricht viel dafür, dass Sie Arbeitnehmer sind, da Sie nach Ihrer Mitteilung in den Betrieb eingegliedert waren und Weisungen folgen mussten, genau wie die angestellten Fahrer. Bei einem Frachtführer bzw. Unterfrachtführer wird bei der Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Selbständigem nach dem sog. Berufsgruppenkatalog danach geschaut, ob der Frachtführer ein eigenes Fahrzeug einsetzt und eine Erlaubnis zur Durchführung des Gewerbes nach dem Güterkraftverkehrsgesetz bzw. eine Gemeinschaftslizenz besitzt. Zudem kommt es darauf an, ob Beginn und Ende der Arbeitszeit vorgeschrieben werden und ob die Möglichkeit besteht, Aufträge von Dritten anzunehmen. Ein eigenes Fahrzeug liegt nur dann vor, wenn es auf Sie zugelassen ist und von Ihnen finanziert wurde.

Genau müsste dies im Einzelnen geprüft werden, was hier nicht möglich ist. Nach Ihren Angaben halte ich es aber für wahrscheinlich, dass Sie Arbeitnehmer sind.

In diesem Fall hätten Sie Anspruch auf Insolvenzausfallgeld, Weiterbeschäftigung und im Fall einer Entlassung, die gerade in Insolvenzverfahren auch bei Arbeitnehmern vorkommt, auf Arbeitslosengeld.

Im Hinblick auf das Insolvenzausfallgeld genügt zunächst einmal ein einfacher Antrag beim Arbeitsamt, ggf. ist eine Klage nicht notwendig. Ebenso wird der Insolvenzverwalter Sie ggf. einfach als Arbeitnehmer weiterbeschäftigen, wenn Sie ihm die Situation schildern.

Nach all diesem Positiven jetzt die Risiken: Sie sind vermutlich aktuell privat krankenversichert. Dies werden Sie in Zukunft nicht mehr sein. Sollten Sie aktuell in Behandlung sein, werden Sie Probleme mit der Bezahlung bekommen und ggf. Geld aus eigener Tasche an den Arzt zahlen müssen, der Sie ja als Privatpatient behandelt hab, obwohl Sie in Wahrheit nur Kassenpatient sind. Zudem haben Sie zu Unrecht Umsatzsteuer gezahlt. Der insolvente Arbeitgeber muss rückwirkend über Jahre Lohnsteuer und Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Rentenversicherung nachentrichten.

In Bezug auf die Lohnsteuer könnte der Arbeitgeber, nunmehr der Insolvenzverwalter, bei Ihnen Rückgriff nehmen, da formell Sie Schuldner der Lohnsteuerlast sind. Ggf. könnten Sie sich hier auf tarifliche Ausschlussfristen berufen. Sie könnten hier versuchen entgegenzuhalten, dass der Arbeitgeber in Bezug auf Ihre falsche Einordnung als Subunternehmer seine Fürsorgepflicht verletzt hat. Inwieweit Ihnen dies gelingen wird, bleibt abzuwarten. In Bezug auf die Sozialversicherungsbeiträge sieht es hier etwas besser aus, da ein unterbliebener Abzug nur in den nächstn drei Monaten nachgeholt werden darf. Hier wäre ein Rückgriff nur durch Lohnabzug und nur für drei Monate rückwirkend möglich.

Sie gehen also mit Ihrem Hinweis auf die Scheinselbständigkeit ein hohes Risiko ein im Hinblick auf die Rückabwicklung der letzten Jahre, das Ihre Chancen möglicherweise überwiegt. Genau kann dies im Rahmen der Erstberatung hier nicht beurteilt werden.

Ggf. macht es Sinn, mit dem Insolvenzverwalter zu sprechen und hier eine Weiterbeauftragung oder auch Neueinstellung als Arbeitnehmer zu erreichen, ohne die Vergangenheit rückabwickeln zu müssen.

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Elke Scheibeler, Rechtsanwältin


Rechtsanwältin Dr. Elke Scheibeler
Fachanwältin für Arbeitsrecht

ANTWORT VON

(654)

Heinz-Fangman-Str. 2
42287 Wuppertal
Tel: 0202 76988091
Web: https://www.kanzlei-scheibeler.de
E-Mail:
RECHTSGEBIETE
Fachanwalt Arbeitsrecht, Insolvenzrecht, Miet- und Pachtrecht, Kaufrecht, Vertragsrecht
Durchschnittliche Anwaltsbewertungen:
4,8 von 5 Sternen
(basierend auf 119123 Bewertungen)
Aktuelle Bewertungen
5,0/5,0
Vielen Dank für die verständliche Antwort ...
FRAGESTELLER
5,0/5,0
sehr gut und umfassend. Sehr ausführliche Antwort. Vielen Dank. ...
FRAGESTELLER
5,0/5,0
Danke für die schnelle und umfangreiche Beantwortung meiner Frage ...
FRAGESTELLER