10. Oktober 2025
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15:11
Antwort
vonRechtsanwalt Mohamed El-Zaatari
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Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Aus rechtlicher Sicht stellt der von Ihnen geschilderte Fall eine klassische Konstellation dar, in der es auf die vertragliche Auslegung der Ausschlussklausel sowie auf die Wirkung der gesetzlichen Pflegereform 2017 ankommt. Maßgeblich ist, welche Regelung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2011 galt und ob die spätere Überleitung in Pflegegrade die vertragliche Risikoeinschätzung nachträglich verändern durfte.
Nach der damaligen Rechtslage galt: Personen mit Pflegestufe 2 oder höher waren vom Versicherungsschutz in der privaten Unfallversicherung ausgeschlossen. Ihre Mutter hatte Pflegestufe 1, war also versichert. Mit der Pflegereform 2017 (Zweites Pflegestärkungsgesetz, PSG II) wurden die bisherigen Pflegestufen in Pflegegrade überführt (§ 140 SGB XI). Diese Überleitung erfolgte automatisch und ohne erneute Begutachtung – stattdessen wurden vorhandene Daten (insbesondere zur „eingeschränkten Alltagskompetenz" bei Demenz) in das neue System übertragen. Pflegebedürftige mit Pflegestufe 1 und eingeschränkter Alltagskompetenz erhielten dabei Pflegegrad 3, während Personen ohne diese Einschränkung Pflegegrad 2 bekamen.
Rechtlich bedeutsam ist, dass diese Überleitung nicht als Veränderung des tatsächlichen Pflegeaufwands gilt, sondern nur eine administrative Anpassung an die neue Systematik darstellt. Die frühere Pflegestufe 1 blieb inhaltlich vergleichbar mit dem heutigen Pflegegrad 2. Das bedeutet: Wenn Ihre Mutter objektiv weiterhin nur den Pflegeaufwand einer früheren Pflegestufe 1 (entspricht heute Pflegegrad 2) hatte, ist sie tatsächlich nicht „neuerdings" pflegebedürftiger geworden, sondern nur nach dem neuen Bewertungsmaßstab höher eingestuft worden.
Vor diesem Hintergrund ist entscheidend, wie der Versicherungsvertrag auszulegen ist:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gilt der Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung nicht, sondern Versicherungsbedingungen sind kundenfreundlich auszulegen – also so, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie verstehen durfte (§§ 133, 157 BGB).
2. Wenn im Vertrag von 2011 die Rede war von „Pflegestufe 2 oder höher", durfte der Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass eine Pflegestufe 1 – auch nach späteren gesetzlichen Änderungen – weiterhin versicherbar bleibt, sofern sich der Pflegeaufwand nicht real verschlechtert.
3. Die Versicherung kann sich daher nicht ohne weiteres darauf berufen, dass die automatische Überleitung in Pflegegrad 3 gleichbedeutend mit „Pflegestufe 2 oder höher" sei, wenn die inhaltliche Bewertung des Pflegezustands unverändert blieb.
Der von Ihnen zitierte Beitrag über die BGH-Rechtsprechung (u. a. BGH, Urteil vom 06.07.2016 – IV ZR 44/15) bestätigt, dass eine automatische Gleichsetzung von Pflegegrad und Pflegestufe unzulässig ist, wenn dadurch der Versicherungsschutz ohne sachliche Grundlage entfällt. Der BGH hat mehrfach betont, dass die Versicherungsbedingungen nicht nachträglich durch Gesetzesänderungen verschärft werden dürfen, sofern der Versicherer keine entsprechende Anpassung mit Zustimmung des Versicherungsnehmers vorgenommen hat.
Im Ergebnis spricht daher viel dafür, dass ein vertraglicher Bestandsschutz besteht: Ihre Mutter bleibt so zu stellen, als hätte sie weiterhin Pflegestufe 1 (bzw. Pflegegrad 2). Nur wenn sich ihr tatsächlicher Pflegezustand nachweislich verschlechtert hätte (z. B. durch den Unfall 2025), könnte die Versicherung den Eintritt der „Nichtversicherbarkeit" begründen. Der reine Wechsel in die neue Pflegesystematik rechtfertigt den Verlust des Versicherungsschutzes nicht.
Die Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Durchsetzung des Leistungsanspruchs sind als durchaus gut einzuschätzen – insbesondere, wenn Sie ärztliche oder pflegefachliche Nachweise vorlegen können, dass sich der tatsächliche Hilfebedarf Ihrer Mutter seit 2015 nicht wesentlich verändert hat. Die Demenzbedingte Einstufung in Pflegegrad 3 wäre dann nur ein formaler Effekt der Reform, der nicht zum Wegfall des Versicherungsschutzes führen darf.
Ich empfehle, die Versicherung zunächst unter Berufung auf die ursprünglichen Vertragsbedingungen und die Übergangsregelung nach § 140 SGB XI zur Leistung aufzufordern. Sollte sie ablehnen, wäre ein Widerspruch mit anschließender Klage vor dem Zivilgericht (Leistungsprozess nach § 1 VVG i.V.m. §§ 194 ff. VVG) aussichtsreich.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
El-Zaatari
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Mohamed El-Zaatari