Sehr geehrter Fragesteller,
gerne beantworte ich Ihre Fragen auf Grundlage des geschilderten Sachverhalts wie folgt:
Rückforderung des gesamten Wohngeldes bei Einkommensänderung
Nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 WoGG in Verbindung mit § 27 Abs. 4 WoGG ist die Wohngeldstelle verpflichtet, einen bereits erlassenen Wohngeldbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, wenn sich nachträglich herausstellt, dass sich das zu berücksichtigende Gesamteinkommen im Bewilligungszeitraum um mehr als 15 % erhöht hat. Dies gilt unabhängig davon, ob der Wohngeldberechtigte diese Veränderung verschuldet oder beeinflusst hat. Die Rückforderung erfolgt auf Grundlage von § 50 Abs. 1 SGB X, wonach zu Unrecht erbrachte Leistungen grundsätzlich vollständig zu erstatten sind.
Diese Rechtslage erklärt, warum die Behörde nicht nur das Wohngeld für den Monat Juli 2023, in dem Sie ohnehin bereits Ihren Auszug und damit den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen angezeigt hatten, sondern den gesamten Leistungszeitraum vom 01.02.2023 bis 31.07.2023 aufgehoben und zurückgefordert hat. Eine anteilige Rückforderung ist nach der Systematik des Wohngeldgesetzes nicht vorgesehen, da das Wohngeld für den gesamten Bewilligungszeitraum auf einer einheitlichen Einkommensprognose beruht.
Erklärung der verzerrten Einkommenssituation
Sie führen aus, dass Ihr Gewinn laut Einkommensteuerbescheid 2023 künstlich erhöht wurde – zum einen durch zweckgebundene Fördergelder, die Ihnen nur formal, aber nicht wirtschaftlich zur Verfügung standen, zum anderen durch vereinnahmte Umsatzsteuer, deren Abführung das Finanzamt ins Folgejahr verschob. Damit stellen Sie zu Recht die Frage, ob die Einkommensermittlung allein auf Grundlage des Einkommensteuerbescheids sachgerecht ist.
Tatsächlich sieht das Wohngeldrecht vor, dass das zu berücksichtigende Gesamteinkommen grundsätzlich anhand der steuerlichen Verhältnisse festgestellt wird. Abweichungen hiervon sind möglich, wenn besondere Umstände vorliegen, insbesondere dann, wenn sich aus anderen Unterlagen (z. B. Kontoauszügen) ein differenzierteres Bild der Einkommenssituation ergibt. Dass die Behörde Ihren Vorschlag, die tatsächlichen Einnahmen durch Kontoauszüge nachzuweisen, ignorierte, könnte als Ermessensfehler gewertet werden, da § 23 Abs. 2 WoGG grundsätzlich auch andere geeignete Belege zulässt.
Sie sollten im Widerspruch daher erneut konkret darlegen, dass die zugrunde gelegten Einnahmen nur formal erzielt wurden und wirtschaftlich nicht zur Verfügung standen. Dies betrifft insbesondere die nicht abgerufenen Fördermittel sowie die nicht abgeführte Umsatzsteuer. Die Möglichkeit, mit ergänzenden Unterlagen (z. B. Kontoauszügen, Erläuterung der Verwendungszwecke, Zahlungsbelegen der Leasingbank etc.) den tatsächlichen Zufluss und Abfluss von Mitteln darzulegen, sollten Sie nochmals betonen.
Zur Frage des Investitionsabzugsbetrags
Investitionsabzugsbeträge nach § 7g EStG sind steuerlich zulässige Gewinnminderungen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung, finden aber im Wohngeldrecht grundsätzlich keine unmittelbare Berücksichtigung. Die Wohngeldbehörde orientiert sich an dem Einkommen, das im Einkommensteuerbescheid festgestellt wurde, berücksichtigt jedoch regelmäßig nicht die Möglichkeit, einen Investitionsabzugsbetrag nachträglich zu beantragen oder rückwirkend zu ändern. Die nachträgliche „Neutralisierung" zweckgebundener Einnahmen durch Geltendmachung eines Investitionsabzugsbetrags wäre allenfalls dann wohngeldrechtlich relevant, wenn dies im Steuerbescheid selbst nachvollziehbar und verbindlich berücksichtigt worden ist. Dies scheint in Ihrem Fall nicht geschehen zu sein.
Fazit und Empfehlung
Sie sollten im Rahmen Ihres Widerspruchs mit Nachdruck deutlich machen, dass die Einkommenssteigerung im Jahr 2023 aus Ihrer Sicht nicht dem tatsächlichen wirtschaftlichen Zufluss entsprach und daher das ursprüngliche Wohngeld im Kern zu Recht bewilligt wurde. Dabei ist es hilfreich, die besondere Situation der Fördermittel und der Umsatzsteuerbuchungen präzise zu erläutern und mit geeigneten Nachweisen zu untermauern. Ergänzend sollte darauf hingewiesen werden, dass eine vollständige Rückforderung unter Vertrauensschutzgesichtspunkten (§ 45 Abs. 2 SGB X) unverhältnismäßig sein könnte, sofern Sie im Vertrauen auf den ursprünglichen Bewilligungsbescheid Dispositionen getroffen haben.
Ob ein Erfolg des Widerspruchs realistisch ist, hängt letztlich von der Bereitschaft der Wohngeldstelle ab, die pauschale Anwendung des Einkommensteuerbescheids zu hinterfragen und alternative Einkommensnachweise zuzulassen. Die Argumentation sollte daher faktenbasiert, sachlich und nachdrücklich erfolgen. Bei Ablehnung bleibt die Möglichkeit der Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Ich hoffe diese Informationen helfen Ihnen weiter und stehe für Rückfragen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Hussein Madani
Rechtsanwalt
Antwort
vonRechtsanwalt Hussein Madani
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Vielen lieben Dank für Ihre schnelle und ausführliche Antwort!
Eine Sache verstehe ich noch nicht. Sie schreiben: „…wenn sich nachträglich herausstellt, dass sich das zu berücksichtigende Gesamteinkommen im Bewilligungszeitraum um mehr als 15% erhöht hat."
Wie wird denn ‚Bewilligungszeitraum‘ definiert?
Das Amt schreibt: „Ihnen wurde für den Zeitraum vom 01.02.2023 bis 31.07.2023 Wohngeld bewilligt." Ich lese daraus, der Bewilligungszeitraum war vom 01.02.2023 bis 31.07.2023, in dem ich nachweislich nicht mehr als 15% gegenüber der Prognose verdient habe.
Eine Feststellung meines Einkommens anhand alternativer Nachweise (wie Kontoauszüge) wäre also nur sinnvoll, wenn das Amt eine Bewertung erlaubte, die sich nur auf die Zeit beschränkt, in der ich tatsächlich Geld erhalten habe, richtig? Das scheint das WoGG nicht vorzusehen.
Ich möchte es gerne verstehen. Ich war bedürftig und habe Gelder beantragt. Dann war ich nicht mehr bedürftig und habe die Gelder abgelehnt. Was habe ich falsch gemacht?
Zum Investitionsabzugsbetrag
Die KI behauptet ich könne einen Investitionsabzugsbetrag nachträglich geltend zu machen, auch wenn der Einkommensteuerbescheid bereits ergangen ist, wenn ich eine Änderung meiner Steuererklärung beantrage.
Falls ich diesen Weg einschlagen möchte, könnte ich die Wohngeldbehörde im Wiederspruch um Aufschub bitten, da der eingereichte Einkommensteuerbescheid fehlerhaft ist?
Mir scheint wir haben es mit einem realitätsfremden Gesetz zu tun. Wenn der Widerspruch abgelehnt wird, lohnt sich eine Klage?
Vielen Dank und mit besten Grüßen!
Sehr geehrter Fragesteller,
vielen Dank für Ihre Rückfragen, die ich gerne wie folgt beantworte:
1. Begriff des „Bewilligungszeitraums" im Wohngeldrecht
Der Begriff des „Bewilligungszeitraums" ist gesetzlich definiert. Gemäß § 25 Wohngeldgesetz soll das Wohngeld für einen Bewilligungszeitraum von 12 Monaten gewährt werden. Je nach konkretem Einzelfall kann der Zeitraum aber auch länger bzw. kürzer sein, wie dies bei Ihnen der Fall ist.
Entscheidend ist: Das gesamte Einkommen, das während dieses Zeitraums tatsächlich erzielt wurde oder als zu berücksichtigend gilt, wird ins Verhältnis zur ursprünglichen Einkommensprognose gesetzt. Die 15 %-Grenze des § 27 Abs. 2 Nr. 3 WoGG bezieht sich nicht auf einzelne Monate, sondern auf das Gesamteinkommen im Bewilligungszeitraum im Vergleich zur ursprünglichen Prognose für denselben Zeitraum.
In Ihrem Fall wird also geprüft, ob Ihr tatsächliches Einkommen im Zeitraum Februar bis Juli 2023 um mehr als 15 % höher lag als das prognostizierte Einkommen für diesen Zeitraum.
Fazit: Ihre Interpretation ist richtig – eine Bewertung auf Monatsbasis sieht das Gesetz nicht vor. Daher ist es zwar sachlich nachvollziehbar, dass Sie nur im Juli überhöhtes Einkommen hatten und deshalb den Anspruch selbst verneint haben. Das Gesetz jedoch setzt für die Aufhebung eine Gesamtabweichung für den Bewilligungszeitraum voraus – und nicht nur für einen Teilzeitraum.
2. Investitionsabzugsbetrag nachträglich geltend machen – steuerlich und wohngeldrechtlich
Wenn Sie Ihre Steuererklärung entsprechend berichtigen und beim Finanzamt eine Änderung des Bescheids beantragen, könnte sich Ihr steuerlicher Gewinn rückwirkend mindern. Sollte das Finanzamt dem Antrag stattgeben und ein neuer Einkommensteuerbescheid ergehen, wäre dies gegenüber der Wohngeldstelle ein neues Beweismittel, das berücksichtigt werden müsste.
In diesem Fall könnten Sie im Widerspruch anregen, das Verfahren nach § 88 SGG bzw. § 363 AO auszusetzen, bis über die Änderung Ihrer Steuerfestsetzung entschieden wurde.
Fazit: Ja, es ist zulässig, im Widerspruch um Aufschub oder eine vorläufige Entscheidung zu bitten, wenn Sie glaubhaft machen, dass der zugrunde liegende Steuerbescheid derzeit überprüft wird und voraussichtlich geändert wird.
3. Lohnt sich eine Klage?
Eine Klage kann Erfolg haben, wenn die Behörde eine individuelle Prüfung verweigert und rein formalistisch auf den Steuerbescheid abstellt. Ihre Argumente – insbesondere zu zweckgebundenen Einnahmen und realer Bedürftigkeit – können dabei überzeugend sein. Es käme letztlich auch auf die Begründung im Widerspruchsbescheid an. Abschließend können die Erfolgsaussichten aktuell daher nicht seriös bewertet werden.
Ich hoffe Ihre Rückfragen beantwortet zu haben und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Hussein Madani
Rechtsanwalt